Forschungsprojekte

Make Lehm great again

29.03.2023

Ein Baustoff, der aus seinem Nischendasein geholt wird: Zahlreiche Forschungsprojekte sollen dem jahrtausendealten Baustoff Lehm zu einem Comeback verhelfen.

Lehm als Baustoff der Zukunft: Das Gemisch aus Sand, Ton und Schluff könnte bald sein Comeback feiern. Denn Expert*innen wollen den Baustoff wieder salonfähig machen, wie Andrea ­Rieger-Jandl vom Institut für Kunst­geschichte, Bauforschung und Denkmalpflege an der ­Technischen Universität Wien berichtet: „Lehm liegt uns nicht nur in Massen zu Füßen, in vielen Fällen ist er sogar bereits ausgegraben und wartet als Aushub­material nur darauf, wiederverwertet zu werden.“ Verschiedene Projekte rücken folglich die Besonderheiten des Naturbaustoffes immer mehr in den Fokus, insbesondere Forschungsinstitute gehen hier zügig voran. Was das Gemisch zu bieten hat und wo es noch Aufholbedarf gibt, haben wir recherchiert.

Der Naturbaustoff Lehm gilt als nachhaltige Alternative in Bauverfahren. © amàco
Der Naturbaustoff Lehm gilt als nachhaltige Alternative in Bauverfahren. © amàco

Argumente für den Einsatz von Lehm

Naturbaustoffe erleben eine Renaissance, neben Lehm werden heutzutage auch Stroh und Holz vermehrt bei Bauvorgängen eingesetzt. Dabei stellt sich nun die Frage, warum Baustoffe mit jahrtausende­langer ­Geschichte im 21. Jahrhundert wieder im Trend sind, gibt es doch mittlerweile unzählige Industriebaustoffe. Ein Grund dafür ist der Beitrag zum Klima­schutz: Lehm soll etwa eine passable Klimabilanz aufweisen und somit deutlich mehr zur angestrebten CO₂-­Neutralität beitragen können. Führt man sich beispielsweise nur die Klimabilanz von Ziegeln und Beton vor Augen, wird klar, dass weder das eine noch das andere wenig CO₂-intensiv ist. Lehm wäre also in Sachen Nachhaltigkeit eine gute Alternative.

Andrea Rieger-Jandl, Institut für Kunst­geschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, ­Technischen Universität Wien © TU Wien
Andrea Rieger-Jandl, Institut für Kunst­geschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, ­Technischen Universität Wien © TU Wien

Neben den klimafreundlichen Vorteilen gibt es weitere Argumente für den jahrtausendealten Bau­stoff: „Wir untersuchen seit Jahren Lehmbauten auf der ganzen Welt, und dabei zeigt sich: Man kann mit ungebranntem Lehm einen ganz ausgezeichneten Wohnkomfort erreichen. Ähnlich wie ­Ziegel können Wände aus Lehm die Temperatur gut speichern – wenn man zum Beispiel im Winter den Raum kurz lüftet, ist er danach sehr schnell wieder warm, weil die Wände nicht auskühlen“, so Rieger-Jandl. Außerdem ist die Fähigkeit, die Luftfeuchtigkeit zu regulieren bzw. zu stabilisieren, vorteilhaft. „Lehm kann pro­blemlos Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben. Im Badezimmer zum Beispiel beschlagen nach dem Duschen die Spiegel nicht, weil die Feuchtigkeit automatisch reguliert wird.“

Wo es noch Aufholbedarf gibt

Nachhaltigkeit, Verbesserung des Raumklimas durch Feuchteregulierung, Wärmespeicher: Die Gründe für den Einsatz von Lehm sprechen für sich. Was noch dazukommt: Der Baustoff ist regional verfügbar, bedarf keiner aufwendigen Verarbeitung und ist vollständig recyclebar. Trotzdem ist Lehm immer noch ein Nischenprodukt. Aber warum? Ein Hauptthema: Die aktuell geltenden baubehördlichen Rahmenbedingungen machen dem Bauen mit Lehm einen Strich durch die Rechnung. An der Technischen Universität Wien ist man aber zuversichtlich, denn ein neues EuGH-Urteil könnte Reformen beschleunigen. Ein weiteres Manko soll darüber hinaus das fehlende Fachwissen sein, für Architekt*innen und Baumeister*innen sollte es mehr Schulungsmöglichkeiten geben, um Lehm gezielter einzusetzen und somit energie­intensive Materialien zu ersetzen. Zudem gibt es Rieger-Jandl zufolge weiteren Aufholbedarf: „Wir müssen dringend einen Bauteilkatalog entwickeln, in dem Wand- und Bodenaufbauten aus Lehm dargestellt und die notwendigen bauphysikalischen Daten wie Brandschutz, Schallschutz mit­geliefert werden.“ Es gilt also abzuwarten und Weichen zu stellen, in der Zwischenzeit werden bereits verschiedene Forschungsprojekte durchgeführt. 

Den Einsatz von Lehm prüfen und optimieren

Vier Institute des Austrian-Cooperative-­Research-Netzwerks forschen derzeit am Projekt „Clay to stay – Aus­weitung der Lehmanwendung im ­Bausektor durch Aufbau eines Prüfnetzwerks“, unter Leitung des ­Österreichischen Instituts für Baubiologie und -ökologie IBO. Das Ziel: eine Dienstleistung zur ­raschen Prüfung von Ortlehm aufzubauen. Außerdem soll ein Netzwerk aus Expert*innen in ­Planung, ­Material-, Bauteilprüfung und Bauphysik zur Lehm­anwendung gebildet werden. Ein Teil der Forschung sind unter anderem die gesundheitlichen Auswirkungen von Lehm. Daher sollen bereits durchgeführte Studien zur Luftqualität in Wohngebäuden ausgewertet und Rückschlüsse daraus gezogen werden. Gebäude­simulationen werden durchgeführt, um Aussagen über die Dauerhaftigkeit der Konst­ruktion sowie über Bauschäden mit gesundheit­lichen Auswirkungen machen zu können. In ­diesem Forschungs­projekt wird Lehm also auf Herz und ­Nieren geprüft.

Lehm als Zukunftsalternative

Ein weiteres Projekt unter der Leitung vom IBO ist „Erdbewegung – Lehm als klima- und ressourcenschonender Baustoff“. Hier erforscht das Projektteam die Anwendung von Lehm im Baubereich, die Nutzung von Lehm soll vorangetrieben werden. Angestrebt wird unter anderem die Schaffung einer veränderten Rechtslage in Österreich, indem der Ist-Stand der bestehenden regulatorischen Rahmen­bedingungen in einem ersten Schritt erarbeitet wird. Außerdem soll die Zusammenarbeit zwischen Aushub- und Baufirmen optimiert werden, damit das Aushubmaterial als Baustoff weiterverwendet werden kann. Ebenso wichtig wie Kooperation und Rechtssicherheit ist die Aus- und Weiterbildung. Im Rahmen des Forschungs­projekts wird das Ziel verfolgt, Schulungsinitiativen im Umgang mit Lehm auszubauen. Es ist von einer Ausbildungsschiene mit eigenem Zertifikat die Rede. 

Es wird weiter an der Lehm-Anwendung geforscht

Harald Kloft, Leitung Institut für Tragwerksentwurf, TU Braunschweig © TU Braunschweig
Harald Kloft, Leitung Institut für Tragwerksentwurf, TU Braunschweig © TU Braunschweig

Abgesehen vom traditionellen Naturbaustoff Lehm, steht Stampflehm – eine massive Lehmbauart – im Fokus der Forschung. Am Institut für Tragwerks­entwurf der Technischen Universität Braunschweig läuft seit Anfang des Jahres das Projekt „Stampflehm­beton: Kombinierte, additive Fertigung von Stampflehm und Stampfbeton“. Im Forschungsvorhaben soll durch die sortenreine Integration von Stampf­betonverstärkungen die Festigkeit von Stampflehmbauteilen gezielt verbessert werden. 

Das Ziel: eine robotische Stampflehmtechnik zu entwickeln, die Schalen und Verdichten zu einem automatisierten Prozessschritt vereint. „Im Forschungsprojekt wird Stampflehm mit Stampfbeton in einem Bauteil kombiniert, aber nicht vermischt. Die Leistungsfähigkeit der Stampflehmbauweise kann somit gesteigert werden“, erklärt der Projekt­leiter Harald Kloft. Zudem wird an zementfreien Binde­mitteln für Stampfbeton geforscht. Ein Vorteil an der Stampflehmbeton-Technik laut Kloft: Beide Bauteile können sortenrein getrennt und recycelt werden.

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