Nachgeschlagen – Eine moderne Schleiferei in der Zwischenkriegszeit

17.02.2015

Diesmal blickt Elfriede Zahlner hinter die Fassade einer Wiener Glasschleiferei in der Zwischenkriegszeit und präsentiert den damals modernen Maschinenpark.  

In Wien Ottakring findet man zwei zusammengehörige, schön renovierte Häuser im typischen Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Adresse: Kirchstetterngasse 26-28. Über dem Einfahrtstor ein untypisches Schild „Rupert Mayer-Haus“. An sich nichts Ungewöhnliches. Hier ist jedoch Glasergeschichte von Jahrzehnten verborgen, und fast niemand mehr weiß etwas davon. Mit Erzählungen von älteren Kollegen und einer Original-Werbebroschüre, von Ing. Gerhard Peutl dankenswerterweise zur Verfügung gestellt, können wir ein wenig hinter die alte Fassade blicken.

Im Jahr 1920 kaufte die in Wien Ottakring Menzelgasse 15 ansässige Glasschleiferei Tiefenthaler & Adamek den gesamten Betrieb der Glasschleiferei und Spiegelfabrik von Johann Arminger, der neben vielen Ämtern und Aufgaben Mitte der Zwanzigerjahre auch Genossenschafts-Vorsteher war. Durch den Zusammenschluss dieser Firmen mit moderner Ausstattung und gut geschultem Personal konnte man den Kunden nun Glasgroßhandel, Schleiferei, Kunstverglasung und Metallarbeiten für Auslageneinrichtungen anbieten. Am 26. April 1920 ging das Haus Kirchstetterngasse 26-28 in den 

Besitz der Tiefenthaler & Adamek GmbH, wo die beiden Herren neue Werkstätten einrichteten.

Die Zeiten waren aber für Schleifereibetriebe denkbar schlecht, so dass 1932 im Grundbuch die Einleitung eines Ausgleichsverfahrens eingetragen wurde. Dazu kam es jedoch nicht. Im Zuschlagsverfahren ging der Betrieb an die „Socièté anonyme de Glaceries et Charbonnages de Bohême (ancienne firme Andreas Ziegler’s Sohn)“. „Der Ziegler“, wie wir ihn auch heute noch der Einfachheit halber nennen, wurde 1933 neuer Besitzer und verlegte den Firmensitz hierher. Er wurde zu einem bedeutenden Großbetrieb mit Handel, Verglasung, Schleiferei und Spiegelbelegerei. 

Mein Schwiegervater Gustl Zahlner war der erste Glasschleiferlehrling in dieser neuen Firma. „Wir hatten schon einen großen Vorteil gegenüber der Konkurrenz mit unseren modernen Maschinen“, erzählte er gerne. Nun, was war damals modern? Welche Maschinen waren hier im Einsatz? Ich habe mitgeschrieben, als er über die Einrichtung seines Lehrbetriebs nachdachte. Dazu muss man wissen, dass beispielsweise das Facettenschleifen damals aufwändig in vier Arbeitsgängen erfolgte:

1. „Reißen“ auf der Eisenscheibe mit nassem Quarzsand,

2. „Feinmachen“ auf einem Sandstein,

3. „Polieren“ mit Bims oder Bergkreide auf einem Pappelholzrad,

4. „Hellpolieren“ mit Polierrot auf Filz.

Für das Reißen von Facetten gab eine Schleifwalze aus Eisen, wobei der Sand händisch aufgestrichen wurde. Zum Feinmachen gab es auch eine Walze aus Natur-Sandstein mit einer Wipp-Vorrichtung. Zum Polieren hatten sie etwas Hochmodernes, eine „Langpolier“, drei Meter lang. Filzpackeln in einer Reihe, abwechselnd links und rechtsdrehend, wurden mit Hebeln niedergedrückt und polierten die Facetten. Vermutlich wurde sie auch für die berühmten alten „Walzfacetten“ verwendet. Nahe den Kanten eine seichte eingeschliffene Welle, damals eine billige Imitation und heute eine Rarität. Das Poliermittel nannten auch wir noch „Rouge“, ein rotes Pulver, hartnäckig anhaftend, wo immer es hinspritzte. Poliert wurde daher in einem eigenen Raum.

Auf zwei separaten Sandstein-Walzen wurden die gewöhnlichen Kantenschliffe ausgeführt.

Für die „kleineren“ Glasscheiben gab es Maschinen, die auch in jeder anderen kleinen Schleiferei Standardausrüstung war: drei Flachmaschinen, davon eine Eisenscheibe zum Reissen, eine Eisenscheibe zum Feinmachen, dazu verwendete man Feinmachsand und einen Feinmach-Sandstein. Zum Polieren ein Holzrad und ein Filzrad.

Für den Schliff geschweifter Kanten mit Innenradien verwendete man eine Hohlmaschine, das ist eine wenige Zentimeter breite Schleifscheibe mit großem Durchmesser, die vertikal läuft. Zwei Kuglerzeuge standen für die feinsten Arbeiten zur Verfügung.

Die Maschinen wurden über eine Transmission betrieben, wobei die Kraft von einem Motor ausgeht und mittels Wellen und Riemen zu den einzelnen Geräten übertragen wird. Die Firma hatte auch eine eigene Sandwäscherei mit drei Bottichen. Der Schleifsand wird immer feiner, je länger er in Gebrauch ist. Es war eine der ersten Arbeiten für Lehrlinge den Sand in den mit Wasser gefüllten Bottichen kräftig umzurühren und aufzuwirbeln. Der setzte sich dann je nach Korngröße geschichtet ab und wurde entsprechend weiterverwendet. Die oberste Schlammschicht war noch zum Polieren geeignet. Für ein schnelleres Absetzen war an den Bottichen ein Klopfwerk angebracht.

Unser lieber Glasermeister-Freund Ernst Mislik wechselte nach seiner Lehrzeit zur Firma Ziegler und begann 1958 hier als Zuschneider. Vor einiger Zeit waren wir in der Nähe, worauf uns die Neugier plagte. Der Portier gestattete uns, uns ein wenig umzusehen. Es kamen viele freundliche Leute auf uns zu, die unseren Erzählungen interessiert lauschten. 

Das Haus ist heute ein Caritas-Heim für wohnungslose Frauen und Männer. Klar zu erkennen ist noch die Anordnung der Räume. Links der Einfahrt waren die Sozialräume für das Personal, rechts davon das Glaslager und die Zuschneiderei, danach die Büros. Im ersten Stock befand sich die Spiegelbelegerei. Dort wo einst die Glasschleiferei war, befindet sich jetzt ein idyllischer, von den Bewohnern liebevoll gepflegter Garten.

Eine Kleinigkeit erinnert doch noch an die frühere Zeit, die doch noch zu deuten ist: drei kleinere Glasscheiben oberhalb des Einfahrtstors. In der Mitte ein auf dem Kuglerzeug eingeschliffenes „Z“ – für Ziegler. Daneben kunstvoll geätzt einmal „19“ und einmal „12“.  1912 – das Gründungsjahr der Firma des August Adamek.

Kontakt

Für Fragen und An­regungen zu historischen Glasthemen steht Autorin Elfriede Zahlner gerne zur Verfügung: elfriede.zahlner@gmx.at

Branchen

Glas

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