Der Mittellohnpreis oder Die Gefahr von Eigentoren

08.06.2016

Wer bisher schon der Ansicht war, dass im Vergaberecht viele Falltüren lauern, der muss sich angesichts einer aktuellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts fragen, ob außer Falltüren überhaupt noch fester Boden übrig bleibt.   

Im Falle der Entscheidung vom 25. 4. 2016 (W 123 2122272-1) war das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit der Anfechtung der Zuschlagsentscheidung durch den zweitgereihten Bieter konfrontiert, was noch nicht ungewöhnlich ist, ebenso wenig, wie der Auftraggeber vorbrachte, dass das Angebot des Antragstellers selbst auszuscheiden wäre und diesem daher gar keine Antragslegitimation zukäme.

Wenn alle recht bekommen, gewinnt niemand?

Das BVwG gab nach sorgfältiger Prüfung beiden recht, was zum Ergebnis führte, dass beide Bieter auszuscheiden sind. Die Gründe dafür liegen insbesondere in der jüngsten Judikatur des Europä­ischen Gerichtshofs (EuGH), die besagt, dass auch ein auszuscheidender Bieter das Recht hat, die Zuschlagsentscheidung überprüfen zu lassen, wenn es zumindest potenziell möglich ist, dass auch alle anderen Angebote auszuscheiden sind. Das Angebot des erstgereihten Bieters war auszuscheiden, weil dieser auf Referenzen eines „Subunternehmers“ zurückgriff, der tatsächlich keiner war: Nach dessen „Subunternehmer“-­Erklärung wollte er nämlich nicht selbst Tätigkeiten ausführen, sondern stellte nur Referenzen zur Verfügung. Dieser bloße „Referenz­handel“ ist aber laut BVwG unzulässig. Ein Unternehmer, der Referenzen zur Verfügung stellt, muss auch selbst an der Ausführung des Auftrags mitwirken.

Überdies war die Zuschlagsentscheidung unrechtmäßig, da der erstgereihte Bieter sein Angebot als Bietergemeinschaft abgegeben hatte, die Zuschlagsentscheidung aber nur auf eines der Mit­glieder der Bietergemeinschaft lautete. Dieser Fehler des Auftraggebers allein hätte in einer neuerlichen Zuschlagsentscheidung noch „repariert“ werden können, aber der oben erwähnte Ausscheidensgrund lässt dies nicht zu.

Strenge Sichtweise der ÖNorm

Das Angebot des zweitgereihten Bieters wiederum war wegen fehlerhafte Preiszusammensetzung auszuscheiden. Hier präsentierte das BVwG eine strenge Sichtweise der ÖNorm B 2061: Der Bieter hatte ein K3-Blatt mit einem durchschnittlichen Mittellohn für den gesamten Auftrag abgegeben, den K7-Blättern wurden je nach Leistung unterschiedliche Mittellöhne zugrunde gelegt. Das BVwG schloss insbesondere aus 

●    Punkt 7.1 der ÖNorm B 2061, der unter dem Titel Mittellohnkosten festlegt, dass aus den Lohnkosten je nach Bedarf ein oder mehrere Mittellöhne zu bilden sind, 

●    Punkt 9.2.1 der ÖNorm B 2061, nach dem sich der Preisanteil „Lohn“ u. a. aus den Einzellohnkosten für die zutreffende Leistung berechnet, und 

●    Punkt 13.2.2 (6) der ÖNorm B 2061, nach dem das K7-Blatt u. a. zur Ermittlung der Kosten beziehungsweise der Preise von Einzelleistungen dient, dass die K7-Blätter mit den K3-Blättern hinsichtlich des Mittellohns konsistent sein müssen. Mit anderen Worten: Wenn in den K7-Blättern mit verschiedenen Mittellöhnen kalkuliert wird (entweder wegen verschiedener Kollektivverträge oder unterschiedlicher Zusammensetzung der Arbeitskräfte), müssen ebenso viele verschiedene K3-Blätter vorgelegt werden.

Der Praxistipp?

Aufgrund der erwähnten Judikatur des EuGH steigt das Risiko für Auftraggeber, ihren präsumtiven Zuschlagsempfänger oder gleich mehrere (im Extremfall: alle) Bieter in einem Nachprüfungsverfahren zu verlieren. 

Allerdings muss sich auch jeder, der eine Zuschlagsentscheidung bekämpfen will, vorher überlegen, wie sicher er selbst ist, dass sein eigenes Angebot fehlerfrei ist. Sonst kann es wie im vorliegenden Fall dazu führen, dass vielleicht ein nachgereihter Bieter, der gar nicht am Nachprüfungsverfahren beteiligt war, in den Genuss des Auftrags kommt; oder – falls alle Bieter auszuscheiden sind – dass das Verfahren zu widerrufen und neu auszuschreiben ist. Ob es das wert ist, ist im Einzelfall zu überlegen. 

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