Nachträgliche Änderung von Bewertungskriterien
Welchen Spielraum hat ein Auftraggeber bei der Bewertung der Angebote? Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs schafft zumindest ansatzweise Klarheit.
Dies ist eine zentrale Frage des Vergaberechts, weil davon die Glaubwürdigkeit von Auftragsvergaben und die praktische Funktion des Vergaberechts überhaupt abhängt.
Die grundsätzliche Rechtslage
Der Auftraggeber muss sämtliche Bewertungskriterien in der Ausschreibung festlegen und darf sie nachträglich nicht abändern. Die Bieter müssen bei ihrer Angebotslegung wissen, wie die Angebote bewertet werden, damit sie in der Lage sind, ihre Angebote den Erwartungen des Auftraggebers anzupassen und ein möglichst wettbewerbsfähiges Angebot zu legen.
Dies umfasst die Zuschlagskriterien samt etwaiger Subkriterien, inklusive deren Gewichtung (dem „Verhältnis der ihnen zuerkannten Bedeutung“) und sonstiger Bewertungsaspekte. Wenn ein Angebot mit einer Begründung bewertet wird, die in der Ausschreibung so nicht vorgesehen und offengelegt war, ist die Bewertung rechtswidrig.
Dazu gibt es auf Basis des Bundesvergabegesetzes (BVergG) folgende Einschränkungen:
- Die Gewichtung der Kriterien kann auch nur „im Wege der Festlegung einer Marge, deren größte Bandbreite angemessen sein muss“, erfolgen. Nach herrschender Meinung sollte der Auftraggeber davon allerdings Abstand nehmen, wenn nicht im Einzelfall eine sachliche Begründung vorliegt, warum das notwendig ist; und auch dann sollte die Marge nur sehr klein sein.
- Wenn eine Gewichtung nicht festgelegt werden kann, dürfen die Zuschlagskriterien nur in der Reihenfolge ihrer Bedeutung festgelegt werden. Auch davon ist aber abzuraten, weil kaum denkbar ist, die Unmöglichkeit einer Gewichtung sachlich zu begründen.
- Zuschlagskriterien mit subjektiven Bewertungselementen (z. B. für gestalterische Qualitäten, Konzepte) sind zulässig. Allerdings müssen diese Kriterien ausführlich in der Ausschreibung beschrieben, die Angebote müssen kommissionell bewertet und die Bewertung muss verbal begründet werden.
Die Einschränkung durch den EuGH
Der Europäische Gerichtshof (z. B. EuGH 20.12.2017, C-677/15 P) hat insbesondere die Zulässigkeit einer nachträglichen Gewichtung von Subkriterien bestätigt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Zuschlagskriterien gemäß Ausschreibung dürfen nicht geändert werden.
- Die nachträgliche Änderung darf nichts enthalten, das, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitung hätte beeinflussen können.
- Es darf dadurch kein Bieter diskriminiert werden.
Diese EuGH-Judikatur wurde an dieser Stelle bereits kritisiert. Sie wurde, jedenfalls in Österreich, vielfach mit Überraschung und Unverständnis aufgenommen.
Die Erleuchtung?
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hatte in einem Anlassfall über dieses Thema zu entscheiden (VwGH 27.2.2018, Ra 2016/04/0103). Der Auftraggeber hatte in der Ausschreibung ein qualitatives Zuschlagskriterium mit 15 % gewichtet und dieses in drei Subkriterien unterteilt, die (zunächst) nicht gewichtet waren. In der ersten Zuschlagsentscheidung wurde bekanntgegeben, dass die Subkriterien mit 9 % / 5 % / 1 % bewertet wurden. Diese Zuschlagsentscheidung wurde vom Verwaltungsgericht für nichtig erklärt, die Angebote wurden nochmals bewertet, und zwar diesmal mit einer Gewichtung der Subkriterien von je 5 %.
Diese Zuschlagsentscheidung wurde vom Verwaltungsgericht und dann im Revisionsverfahren auch vom VwGH bestätigt. Der VwGH hat dies als im Einklang mit der EuGH-Judikatur bezeichnet.
Daraus lässt sich ableiten (wenn man auch mit allgemeinen Schlussfolgerungen vorsichtig sein muss, da solche Entscheidungen einzelfallbezogen sind), dass eine nachträgliche Gewichtung von Subkriterien zulässig ist, wenn die Subkriterien gleich groß bewertet werden; oder, anders gesagt: Wenn die Subkriterien nachträglich unterschiedlich gewichtet werden, wird dies mit einiger Wahrscheinlichkeit unzulässig sein.
Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, wird die künftige Judikatur zeigen. Ungeklärt wird die Frage bleiben, was manche Auftraggeber zu solch „mutigen“ Vorgangsweisen bewegt, die geradezu zur Anfechtung provozieren.