COVID-19: Vittorio Gregotti (1927-2020)
Der italienische Architekt, Stadtplaner und Architekturtheoretiker Vittorio Gregotti ist das erste prominente Opfer des Coronavirus. Gregotti verstarb im Alter von 92 Jahren am 15. März in Mailand an den Folgen einer Lungenentzündung.

Mit Vittorio Gregottis Tod geht einer der letzten großen Protagonisten des italienischen Razionalismo.
Architekt und Lehrer
Vittorio Gregotti wurde am 10. August 1927 in Novara, Piemont geboren. Am Politecnico Milano war er Schüler von Ernesto Nathan Rogers und arbeitete als Student im Pariser Büro von Auguste Perret. Gregotti hatte 1951 am CIAM VIII, Congrès Internationaux d’Architecture Moderne in Hoddesdon, England „The Heart of the City“ teilgenommen. 1952 eröffnete er sein eigenes Atelier Gregotti Associati; Mit Pierluigi Carri, Augusto Cagnardi, Hiromichi Matsui und Bruno Viganò gründete er 1974 Gregotti International in Mailand. Neben architektonischen Projekten entstanden auch Entwürfe von Möbeln und Lampen. An der Università IUA di Venezia hatte er die Professur für Entwurf inne und er unterrichtete an den Architekturfakultäten in Mailand und Palermo[] sowie an der International Academy of Architecture in Sofia, und er war Gastprofessor in Tokyo, Buenos Aires, São Paulo, Lausanne, Harvard, Philadelphia, Princeton, Cambridge (UK) und am MIT in Cambridge (USA) tätig.
Weltweit tätig
Mit etwa 1.600 Projekten, war er ein äußerst produktiver Architekt, der für eine gewisse Strenge der Firm eintrat. Zu seinen bekanntesten Werken gehöre die Kirche von San Massimiliano Kolbe in Bergamo, die Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea Accademia Carrara, in derselben Stadt, die Torre in der via Pirelli alla Bicocca e das Stadtviertel Zen am nördlichen Stadtrand von Palermo, das 1969 entstand, ein viel kritisiertes Projekt, über das auch heute noch debattiert wird. Seine letzte Arbeit die Restrukturierung und Revitalisierung einer ehemaligen Fabrik Teatro Fonderia Leopolda in Follonica datiert aus dem Jahr 2012. 2018 widmete ihm das PAC – Padiglione d´Arte Contemporanea in Mailand eine wichtige anthologische Ausstellung. Gregotti wurde vielfach ausgezeichnet und geehrt, so erhielt er etwa 2012 die Goldmedaille der italienischen Architektur für seine Karriere der Triennal di Milano gemeinsam mit Gae Aulenti und Maria Guiseppina Grasso Canizzo.
Die zahlreichen Projekte des Ateliers Gregotti widerspiegeln eine berufliche Karriere höchster Vielfalt, mit dem Können, sich an heterogenen Funktionsprogrammen in diversen Kontexten stets aufs Neue beweisen zu können. So entstanden Ausstellungsgestaltungen, Wohnkomplexe, städtebauliche Entwürfe, Stadien – darunter das Olympiastadion von Barcelona und das Stadion Luigi Ferraris in Genua – Bürobauten und Universitäten – etwa die Universität von Kalabrien in Cosenza, Shops, Kreuzfahrtschiffe oder Designprodukte. Außerdem plante er das Kulturzentrum von Bélem in Lissabon oder das Teatro degli Arcimboldi in Mailand oder das Pariser Konzerthaus „La Gaîté de Paris“ und das Guggenheim Museum in Venedig.
Erfolgreich und produktiv
Er war verantwortlich für die Einführungssektion der XIII. Triennale in Mailand (1964), die den Internationalen Großen Preis gewann. Von 1974 bis 1976 war er Direktor der Sektion Bildende Kunst und Architektur der Biennale di Venezia. Von 1979 bis 1998 leitete er das Kunstmagazin „Rassegna“, von 1981 bis 1996 war Gregotti Herausgeber der Architekturzeitschrift „Casabella“ und Redakteur von „Lotus International“. Er verfasste zahlreiche Artikel in verschiedenen Tageszeitungen wie im „Corriere della Sera“ und „La Repubblica“ und schrieb mehrere Bücher. Seit 1976 war er Mitglied der Accademia di San Luca und seit 1995 der Accademia di Brera. 2000 wurde er für sein Wirken mit dem Verdienstorden der Italienischen Republik ausgezeichnet. Ehrendoktorate erhielt er durch die Universitäten in Prag (1996), Bukarest (1999) und Porto (2003). 2006 folgte der Manfredo-Tafuri-Preis der Architekturbiennale in Venedig und 2007 der Millennium Award der Trienal de Arquitectura de Lisboa. 1997 wurde er Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten (BDA) und 1999 schließlich auch des American Institute of Architects (AIA).
Seinen 90. Geburtstag hatte er 2017 zum Anlass genommen, um sich aus der aktiven Tätigkeit zurückzuziehen und sein Büro zu schließen. Damals hatte er in einem Interview in der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ seinen Schritt nicht mit seinem Alter begründet, sondern bedauernd gemeint, niemand würde sich mehr für Architektur interessieren.
Literaturauswahl
- New Directions in Italian Architecture, Littlehampton (968)
- Questioni di Architettura (1986)
- Dentro l’Architettura (1991)
- Inside Architecture, The MIT Press (1996) ISBN 978-0-262-57115-9
- Racconti di Archi tettura (1998)
- Identità e Crisi dell’ Architettura Europea (1999)
- L’ Architettura del Realismo Critico (2004)
- Architecture, Means and Ends (Übersetzung: Lydia Chochrane) University of Chicago Press (2010) ISBN 978-0-226-30758-9
- Il territorio dell’architettura, Feltrinelli (2014) ISBN 978-88-07-88480-1 (Erstveröffentlichung 1966)