Fokus Tiefbau

Durchbruch im Gebirge

11.02.2025

Beim Bau des Semmering Basistunnels wurden vor kurzem die Vortriebsarbeiten abgeschlossen. Hinter den beteiligten Tunnelbauern liegen enorme technische Herausforderungen – und vor ihnen noch viel Arbeit.

Gerhard Grobiet weiß noch genau, was er am 26. Oktober 2024 gemacht hat: So wie tausende anderer Österreicherinnen und Österreicher schnürte er am Nationalfeiertag die Wanderstiefel. Während die meisten seiner Mitbürger*innen allerdings das milde Herbstwetter für eine ausgedehnte Tour an der frischen Luft nutzten, trieb es Grobiet tief unter die Erde – genauer gesagt unter den Semmering: Er ging am Nationalfeiertag zum ersten Mal die gesamte Strecke des Semmering Basistunnels zu Fuß ab – 27 Kilometer in acht Stunden. „Das war ein sehr erhebendes Erlebnis“, erinnert er sich.

Gänsehaut beim finalen Durchschlag

Seine Emotionen sind verständlich. Grobiet ist als Projektleiter bei der ÖBB-Infrastruktur AG für das Bauvorhaben verantwortlich. Ende 2024 wurden nach einer Bauzeit von zwölf Jahren die Vortriebsarbeiten beendet. Vor wenigen Wochen fand die offizielle „Tunneldurchschlagsfeier“ statt – ein ganz zentraler Meilenstein bei einem Tunnelbauprojekt. Bei dieser Feier sparte auch Manuela Waldner, Finanzvorständin der ÖBB-Holding, nicht mit großen Gefühlen: Sie sprach von „Gänsehaut beim finalen Durchschlag. Die Beteiligten haben unter Einsatz ihres Lebens Großartiges geleistet.“

Die Vokabel „großartig“ ist bei der Beschreibung des Projekts durchaus angebracht: Der Semmering Basistunnel gräbt sich in zwei Röhren auf einer Länge von exakt 27,3 Kilometern unter dem Semmering. Er führt vom niederösterreichischen Gloggnitz Richtung Südwesten ins steierische Mürzzuschlag. Die gesamte Beton-Innenschale der beiden Röhren hat eine Länge von 55 Kilometern. Mit den Bauarbeiten wurde 2012 begonnen. 2030 soll der Tunnel in Betrieb genommen werden.

Die Baukosten für das Mega-Projekt liegen bei 4,2 Milliarden Euro. 1.200 Beschäftigte sind am Bau beteiligt. Die ÖBB-Infrastruktur hat rund 400 Unternehmen aus der heimischen Bauwirtschaft beauftragt. Beteiligt ist mehr oder weniger jeder, der im Tunnelbau in Österreich und Umgebung einen Namen hat. Die Tunnelvortriebsarbeiten wurden in drei Baulose unterteilt: Baulos 1 „Tunnel Gloggnitz“ mit einem Volumen von 450 Millionen Euro ging an eine Arge bestehend aus Implenia, Hochtief Infrastructure Austria und Thyssen Schachtbau. Baulos 2 „Fröschnitzgraben“ mit einem Volumen von 700 Millionen Euro erhielt die Arge Swietelsky und Implenia. Und Baulos 3 „Grautschenhof“ mit Baukosten von 300 Millionen Euro vergaben die ÖBB an die Firma Marti. Die großen Tunnelbauunternehmen wiederum bedienen sich in der Ausführung rund 300 kleinerer Subunternehmen und Lieferanten. „Von diesen Subunternehmen sind rund zwei Drittel aus Österreich, rund ein Drittel sogar direkt aus der Region“, so die ÖBB.

Der Aufwand lohnt sich

Der enorme Aufwand wird der Bedeutung des Projekts gerecht. Aus Sicht von ÖBB-Managerin Waldner ist das Jahr 2025 sogar der „Startschuss für eine Revolution des Bahnsystems“. Der Semmering Basistunnel soll die historische Semmeringbahn entlasten und die Fahrzeit für die Reisenden deutlich verkürzen: Ab 2030 soll die Zugfahrt von Wien nach Graz nur mehr eine Stunde und 50 Minuten betragen. Derzeit sind es zwei Stunden und 40 Minuten. Die Fahrt von Wien nach Klagenfurt soll sich von heute vier Stunden auf zwei Stunden und 40 Minuten verkürzen. Aus Sicht von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner handelt es sich bei dem Projekt um eine „Win-Win-Situation“, denn „2030 haben wir mit dem Semmering Basistunnel eine moderne Verbindung Richtung Süden, von der wir alle stark profitieren werden.“

Der gewaltige Tunnel ist Teil der neuen „Südstrecke“, die von der nördlichen Staatsgrenze über Wien nach Süden Richtung Graz, Klagenfurt und Villach führt. 200 Kilometer Bahnlinie werden modernisiert, 170 Kilometer neu gebaut und rund 90 Bahnhöfe modernisiert. Gesamtes Investitionsvolumen: 13 Milliarden Euro. Auf dieser neuen Südstrecke befindet sich auch die Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt mit dem 33 Kilometer langen Koralmtunnel. Sie soll bereits in diesem Jahr in Betrieb gehen.

Die technischen Herausforderungen, die die beteiligten Unternehmen beim Bau des Semmering-Basistunnels zu bewältigen haben, sind – zurückhaltend gesagt – enorm. Deutlicher formuliert das ÖBB-Finanzchefin Waldner: Sie spricht von einer „der größten ingenieurtechnischen Herausforderungen der heutigen Zeit“. Diese Einschätzung dürfte auch Projektleiter Gerhard Gobiet teilen. Denn an Herausforderungen hat es in den vergangenen zwölf Jahren nicht gemangelt.

Die geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse im Semmering sind durchaus tückisch. Wassereinbrüche waren keine Seltenheit. Zudem drückte das Gebirge in der Vortriebsphase massiv auf die Tunnel-Baustelle. Besonders im Bereich der Schlaglstörung, einem Gebiet westlich von Gloggnitz, kam es zu starken Verformungen der Tunnelaußenschale während der Vortriebe von bis zu zwei Metern. Um dem entgegen zu wirken, wurde ein Vorausstollen errichtet, der die Erstverformungen übernehmen kann, und anschließend mit einem entsprechenden Übermaß der Tunnelquerschnitt duktil ausgebaut, um den großen Verformungen Herr zu werden. In diesem Abschnitt gruben die Tunnelbauer als Bauhilfsmaßnahme auch einen sogenannter Zwischenangriff in der Göstritz. Dafür gruben sie dort eigens ein 1 Kilometer langer Tunnel in den Berg und teuften zwei 250 Meter tiefe Schächte ab.

Im Abschnitt Fröschnitzgraben wurden mit einem weiteren Zwischenangriff im Tunnel 400 Meter tief im Berg zwei Tunnelvortriebsmaschinen zusammengebaut, die sich dann Richtung Gloggnitz durch den Fels gruben. Auch in Grautschenhof bei Mürzzuschlag wurde ein Zwischenangriff errichtet. Durch diese Maßnahmen konnten im allen drei Baulosen des Semmering Basistunnels insgesamt 14 Tunnelvortriebe gleichzeitig durchgeführt werden. Gobiet: „Das war eine wichtige Entscheidung. Mit den Zwischenangriffen sind wir dann deutlich schneller vorangekommen und haben die Bauzeit und das Risiko wesentlich verringern können.“

In einem anderen Fall – im Bereich der Grasberg-Nordrandstörung, die sich ebenfalls im Baulos Gloggnitz befindet – war man phasenweise mit starken Wasserdrücken konfrontiert. Die Lösung: „Das Gebirge musste verbessert werden“, so Gobiet. Darunter verstehen die Tunnelbauer eine Reihe von aufwendigen Injektionsmaßnahmen, die das Wasser zurückdrängen und das Gebirge verfestigen. Dabei werden Zement- und PU-Suspension in das Gebirge gepumpt, um die Tragfähigkeit des Bergs zu erhöhen und einen sicheren und stabilen Tunnelvortrieb zu ermöglichen.

Mit dem Durchbruch Ende 2024 sind die Vortriebsarbeiten nun abgeschlossen. Baubeginn für die Tunnelausrüstung ist im Sommer 2025. Die ersten Züge sollen 2030 durch den Tunnel fahren und die neue Südbahnstrecke damit in Betrieb genommen werden – aus Sicht von ÖBB-Finanzchefin Waldner ein „Gamechanger für Österreich und Europa.“

 

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