Interview und Podcast

Die Transformation der Bauwirtschaft

12.02.2025

Die Bauwirtschaft steht vor der größten Transformation ihrer Geschichte. Nachhaltigkeit allein reicht nicht mehr – es braucht einen radikalen Wandel. Katharina Kothmiller von nonconform und Markus Zilker von einszueins architektur setzen auf neue Planungsprozesse, konsequente Ökobilanzierung und den Einsatz klimafreundlicher Materialien. Warum selbst preisgekrönte Gebäude nicht mehr genügen und welche Lösungen wirklich Zukunft haben, erklären sie im Gespräch.

Die Bauwirtschaft ist für rund 40 Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Jahrzehntelang lag der Fokus auf Energieeffizienz im Betrieb – also auf besseren Heizsystemen, Photovoltaikanlagen und Dämmstandards. Doch dieser Ansatz reicht nicht mehr aus. Markus Zilker erklärt, warum: „Wir haben viel zu lange nur auf die Betriebsenergie geschaut und dabei ignoriert, wie viel CO₂ schon in den Materialien steckt. Selbst Gebäude, die wir vor wenigen Jahren entworfen haben, genügen den heutigen Anforderungen nicht mehr.“

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Graue Emissionen

Katharina Kothmiller ist Geschäftsführerin und Partnerin bei nonconform
Katharina Kothmiller ist Geschäftsführerin und Partnerin bei nonconform (Copyright: nonconform)

Ein entscheidender Faktor dabei sind die sogenannten grauen Emissionen – jene Emissionen, die bei der Herstellung, dem Transport und der Errichtung von Gebäuden entstehen. Sie machen mittlerweile rund die Hälfte der gesamten Emissionen aus. Katharina Kothmiller beschreibt den Moment des Umdenkens: „Wir haben auf einer Konferenz unsere Projekte präsentiert – alle nachhaltig, innovativ und teilweise preisgekrönt. Aber als wir sie bilanzierten, war klar: So geht es nicht mehr. Wir müssen anders bauen.“ Die zentrale Frage lautet also: Wie kann man heute noch bauen, ohne die Klimaziele zu verfehlen?

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Es gibt konkrete Lösungen. Und wenn man ins Tun kommt, gibt das Kraft. Katharina Kothmiller

Die Transformation der Bauwirtschaft

Markus Zilker, Architekt, Gründer und Gesellschafter von einszueins architektur
Markus Zilker, Architekt, Gründer und Gesellschafter von einszueins architektur (Copyright: einszueins architektur)

Eine radikale Wende ist notwendig – doch sie kann nicht von Einzelnen getragen werden. Deshalb haben sich Kothmiller und Zilker mit anderen Akteur*innen aus der Bauwirtschaft im Netzwerk Habitat 2030 zusammengeschlossen. Dort arbeiten Architektinnen, Bauträger, Forschende, Behörden und Bauunternehmen gemeinsam an neuen Wegen. Ein entscheidendes Werkzeug ist die Zukunftswerkstatt, ein dreitägiges Format, das sich mit der Zukunft des Bauens beschäftigt. Hier entstehen Strategien für klimaneutrale Architektur. Eine zentrale Erkenntnis aus diesem Prozess: Es braucht eine konsequente Ökobilanzierung. „Wir haben 28 Bauprojekte bilanziert – mit den gleichen Kriterien, den gleichen Rahmenbedingungen. Und es wurde klar: Viele Bauweisen, die als nachhaltig gelten, sind es in der Gesamtbilanz nicht. Es braucht ein radikales Umdenken“, sagt Kothmiller. Das bedeutet: Die bisherigen Standards reichen nicht mehr aus. Klimaneutrales Bauen muss neu definiert werden.

Klimafreundliche Baustoffe

Eine der wichtigsten Stellschrauben für eine klimafreundliche Bauweise ist die Wahl der Materialien. Beton und Stahl haben eine katastrophale Klimabilanz. Eine Lösung liegt in nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, Lehm oder Stroh. Markus Zilker erklärt: „Wir haben in Österreich ausreichend Stroh, um sämtliche Neubauten damit zu dämmen. Es wächst jährlich nach, speichert CO₂ und kann am Ende seiner Lebensdauer kompostiert oder wiederverwendet werden.“ Im Vergleich dazu verursachen synthetische Dämmstoffe enorme Emissionen in der Produktion und enden meist als Sondermüll. Doch obwohl die Vorteile auf der Hand liegen, werden diese Materialien noch immer kaum eingesetzt. Der Grund liegt laut Zilker in der wirtschaftlichen Struktur der Bauindustrie: „Synthetische Dämmstoffe sind oft günstiger als nachhaltige Alternativen. Das liegt nicht daran, dass sie besser sind, sondern daran, dass Umweltkosten nicht eingepreist werden.“ Hier müsse die Politik dringend eingreifen.

Wir wissen nicht, ob wir die Klimaziele noch schaffen – aber wir müssen es versuchen. Markus Zilker

Was die Politik jetzt tun soll

Damit die Transformation gelingt, braucht es klare gesetzliche Vorgaben. Kothmiller und Zilker fordern drei zentrale Maßnahmen:

  • CO₂-Grenzwerte für Gebäude: Jedes Bauprojekt sollte verpflichtend bilanziert werden und gesetzliche Emissionsgrenzen einhalten.
  • Kostenwahrheit bei Baumaterialien: Klimaschädliche Baustoffe wie Beton und Stahl sollten höher besteuert, nachhaltige Alternativen sollten gefördert werden.
  • Förderungen für Bestandssanierungen statt Neubau: Abriss ist in den meisten Fällen die schlechteste Option. Sanierungen und Umnutzungen müssen wirtschaftlich attraktiver werden.

Dänemark zeigt, dass solche Maßnahmen funktionieren. Dort gibt es bereits CO₂-Grenzwerte für Neubauten, die schrittweise verschärft werden. In Österreich fehlen solche Regelungen noch.

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Emotion und Verantwortung

Die Klimakrise ist nicht nur eine technische Herausforderung – sie ist auch eine emotionale. Wer sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, steht oft vor der Frage: Wie bleibt man handlungsfähig, ohne angesichts der Zahlen zu verzweifeln? Katharina Kothmiller beschreibt ihre persönliche Erfahrung: „Ich habe mich lange bewusst abgeschottet, um nicht in eine Ohnmacht zu fallen. Aber durch unser Netzwerk habe ich gesehen: Es gibt konkrete Lösungen. Und wenn man ins Tun kommt, gibt das Kraft.“

Markus Zilker sieht eine große Verantwortung, die Transformation jetzt voranzutreiben: „Es ist zu spät für blinden Optimismus. Aber wir können aktiv hoffen. Hoffnung heißt, das Richtige zu tun, ohne zu wissen, ob es am Ende reicht. Wir wissen nicht, ob wir die Klimaziele noch schaffen – aber wir müssen es versuchen.“

Der Wandel ist möglich

Trotz der Herausforderungen sehen Kothmiller und Zilker eine große Chance. Die Baubranche ist einer der größten Emissionsverursacher – aber genau deshalb kann hier besonders viel bewegt werden. „Wir haben die Möglichkeit, einen positiven Kipppunkt zu erreichen. Wenn nachhaltige Bauweisen wirtschaftlich vorteilhaft sind, wird sich der gesamte Markt rasch drehen“, sagt Kothmiller. Und Zilker ergänzt: „Es bringt nichts, sich auf China oder Saudi-Arabien auszureden. Wir müssen in Österreich alles tun, was in unserer Macht steht.“ Die Architektur der Zukunft muss radikal neu gedacht werden – und genau daran arbeiten Kothmiller und Zilker mit Nachdruck.


Zur den Personen

Katharina Kothmiller ist Architektin bei nonconform, einem Büro für partizipative Raumentwicklung. Das Unternehmen wurde 1999 gegründet und entwickelt mit innovativen Beteiligungsformaten nachhaltige Stadt- und Dorfentwicklungsprozesse.

Markus Zilker ist Mitbegründer von einszueins architektur, das seit 2006 partizipative Bauprojekte realisiert. Ein Schwerpunkt liegt auf gemeinschaftlichen Wohnformen und der Entwicklung nachhaltiger Stadtquartiere.

Beide engagieren sich im Netzwerk Habitat 2030, das den Wandel der Bauwirtschaft hin zur Klimaneutralität vorantreibt.

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