Interview und Podcast

Was ist Social Urban Mining?

21.02.2025

Thomas Matthias Romm ist Experte für Kreislaufwirtschaft: Im Gespräch erklärt er das Konzept des Social Urban Mining und spricht über die Notwendigkeit für mehr Empathie auf der Baustelle.

Arch. DI Thomas Matthias Romm ist Experte für Kreislaufwirtschaft und gründete die Genossenschaft BauKarussell für Bauteilwiederverwendung. Er unterrichtet „Ökologie für Architekten“ an der Akademie der bildenden Künste, der Universität für angewandte Kunst Wien und der Montanuniversität Leoben.

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Thomas Matthias Romm
Thomas Matthias Romm (C) Kurt Patzak

Thomas Matthias Romm: Architektur und Bau FORUM: Bau-Karussell ist eine Genossenschaft für Social Urban Mining. Dabei geht es um die Kreislaufwirtschaft im Bausektor. Was hat es mit Social Urban Mining auf sich?
Als Architekturbüro sind wir verbunden mit den Bauträgerwettbewerben in Wien und dem großvolumigen sowie geförderten Bauen. Im Zuge dieser Aufgaben erledigen wir oft große Rückbauaufgaben auf Brownfields, die wir seit vielen Jahren als Urban Mining Projekte durchführen. Dabei sind uns immer wieder Dinge aufgefallen, die in der Re-use-Rückführung möglich wären. Gleichzeitig wurde offenbar, dass sich das am Markt mit den Playern, die im Rückbau tätig sind, nicht abbilden lässt.

In der Recycling-Baustoff-Verordnung gibt es einen Gesetzestext, der die Bauherrenschaft auffordert, erstens Dinge, die zur Wiederverwendung geeignet sind, zu dokumentieren und zweitens sie bei Nachfrage Dritter weiterzugeben oder zumindest die Vorbereitung zur Wiederverwendung nicht zu verunmöglichen. Wir haben mit Baukarussell einen Nachfrager kreiert, der die Wiederverwendung im Zusammenhang mit beschäftigungs- sowie umweltpolitischen Maßnahmen und Zielen verbindet. Das führt zur Einbindung von sozialwirtschaftlichen Betrieben im vorbereitenden Rückbau, bevor dann das maschinelle Abbrechen beginnt.

Wenn nicht renoviert, saniert und umgebaut werden kann, muss man die Abbruchhäuser zumindest als Ressourcen verwenden. Gibt es eine steigende Tendenz, diese Ressourcen zu erkennen?
Kreislaufwirtschaft legt einen Fokus auf die Dauerhaftigkeit der Gebäude. Das bedeutet Renovieren, Refurbishing und Weiterbauen des Bestandes. Nichtsdestotrotz sind Teilabbrüche oder Anpassungen notwendig. Social Urban Mining schließt das Weiterbauen nicht aus.

Die Ressource Grundstück ist in allen wachsenden Städten der treibende Faktor für den fortschreitenden Abbruch im urbanen Ballungsraum. Wir empfehlen, die Nachverdichtungsnotwendigkeit in städteplanerische und widmungstechnische Rahmenbedingungen mitzunehmen.

Die gründerzeitliche Stadt ist bereits um ein bis zwei Geschosse aufgestockt. Wie wird das in der Zukunft sein? Bestandsnutzung ist nicht nur ein Aspekt, den wir rückwärts, sondern auch vorwärts bedienen müssen mit den Planungen, die wir jetzt durchführen.

Mit einem zirkulären Weltbild avisiert man langfristige Projekte. Gibt es seitens derer, die Aufträge vergeben, ein Gefühl der Verantwortung?
Man muss Marktplätze und Nachfrage schaffen, dazu Player generieren. Das Angebot ist riesig! Im vorbereitenden Rückbau gibt es eine Vielzahl von Gewerken und Bauteilen, die zur Vorbereitung und Wiederverwendung einen Abnehmer brauchen.

Man sieht jedoch, dass viel abgerissen und überall neue Wohnboxen aufgestellt werden, und hat nicht den Eindruck, als würden die Abbruchmaterialien wiederverwendet. Existiert das Gesetz nur am Papier?
So lange die Nachfrage nicht existiert, ist der Bauherr nicht verpflichtet, die Materialien zur Verfügung zu stellen. Ressourcen zu schonen hat nicht nur Umweltpotenzial, sondern auch Beschäftigungs-, Integrations- und letzten Endes Qualifizierungspotenzial. Das Jammern über Fachkräftemangel seitens der Wirtschaft hat damit zu tun, dass Strukturen der Integration und der Qualifikation nicht funktionieren. Genau das versuchen wir mit unseren Social Urban Learning-Projekten zu verbinden – und erzeugen neue Fachmitarbeiter*innen auf dem Bausektor.

Gibt es Ausschreibungen oder Bewerber*innen, die in dem Bereich tätig sind und sich qualifizieren wollen?
Neben unserem Architekturbüro und der Ökologieinstituts-Tochter Pulswerk ist Repanet ein integraler, mitinitiierender Teil von Baukarussell. Repanet ist der Dachverband der sozialwirtschaftlichen Reparaturnetzwerke in Österreich. Diese Unternehmen unterstützen Transit-Arbeitskräfte. Wir arbeiten mit AMS-gestützten Integrationsmaßnahmen für Menschen mit Benachteiligung am sogenannten “ersten Arbeitsmarkt” zusammen. Die Betriebe haben zwar einen Eigenanteil zu erwirtschaften, sind aber wegen der Förderungen nicht ausschließlich darauf angewiesen.

In einer Diskussion erwähnten Sie, dass mehr Empathie im Bereich des Bauens notwendig sei. Heißt das, man geht mit der Umwelt und mit den anderen Menschen und Tieren sorgsamer um, die dort vielleicht ihren Lebensraum haben?
Die Ausrichtung eines empathischen Bauens hat viele Schattierungen. Animal-Aided-Design, das Mitbauen von Biotopen für eine Flora und Fauna, die eine städtische Umwelt auch für uns Menschen viel erträglicher macht, ist in aller Munde. Die gebaute Dichte muss sich in einer ökologischen Dichte widerspiegeln.

Empathie für unsere Umwelt ist ein Selbstnutz. Wir leben alle lieber in einer funktionierenden Umwelt als in einer Betonwüste. Das Mindset, das Sie ansprechen, hat mit einer Philosophie zu tun, die erkannt hat, dass die Ausrichtung unserer Moderne in vielfachen Konflikten endet mit dem, was wir Natur nennen, wenn wir es nicht schaffen, diese Aspekte in unser Tun zu integrieren.

Ökosystemleistungen sind essenziell mit Bodenschutz verbunden. Aushübe machen über 60 Prozent der Abfallströme in Österreich aus. Die tägliche Versiegelung von elf Hektar geschieht zur Hälfte auf lebenden Böden, also auf der Grundlage unserer Ernährung und einer funktionalen Umwelt.

Wir schlagen Bodenbesicherungsstrategien vor, Rekultivierungsverpflichtungen für Oberböden, so dass die Aushübe nicht deponiert und als Abfall behandelt werden, denn das sind sie schlicht und einfach nicht. Sie sind wichtige Ressourcen. Und jeder Boden, der versiegelt wird, kann oben auf dem Dach mit 1,20 Meter Überdeckung als entsiegelt betrachtet werden.

Unsere Städte brauchen eine funktionale Begrünung. Regenwassermanagement kann man als lebendigen Bestandteil eines kreislandwirtschaftlichen Betriebes einer Stadt funktionalisieren. Dazu gehört das Schwammstadtprinzip, das große Wassermassen, auch für Pflanzen, verfügbar hält.

Diese Art Empathie mag technisch klingen, gehört aber in Regulativen und Stadtplanungsrahmenbedingungen festgeschrieben.

Man könnte vielleicht durch die Erkenntnis, dass alle mit betroffen sind, Empathie herstellen.
Bruno Latour spricht vom “Parlament der Dinge”. Wenn wir Klimaschutz betreiben, können wir nicht zwischen Nationen verhandeln, sondern wir müssen den “Dingen” – damit meint er die Weltmeere oder Wertvorstellungen indigener Völker oder die Fauna schlechthin – einbeziehen. Wenn es uns nicht gelingt, anderen “Dingen” eine Stimme zu geben, wird es keine Klimaschutzvereinbarung geben, die diese Weltsicht mittransportiert, dass wir nicht alleine sind.

Welche Best-Practice-Beispiele hätten Sie für gelungene Bauunternehmungen beziehungsweise Rückbau- oder Stadtplanung?
Die erste Biotop City, eine von Helga Fassbinder entwickelte Vision, ist auf den Coca-Cola-Gründen entstanden, damals 50.000 Quadratmeter komplett versiegelte Industriefläche. Durch verdichteten Wohnraum und Integration von Biotopen sowie intensiver vertikaler und horizontaler Begrünung hat man es geschafft, 600 Wohnungen zu bauen und die Fläche weitgehend zu entsiegeln.

Ein städtebauliches Projekt unseres Büros waren die ersten 3.000 Wohnungen in Aspern, die aus dem Seeaushub, also aus einem lokalen Baustoff, ohne jeden Transport vor Ort errichtet worden sind. So, wie man traditionell gebaut hat, mit möglichst geringen Transportwegen und möglichst lokalen Materialien. Das ist selbst für das globale Bauen mit Beton möglich.

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