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Holz oder Beton?

10.03.2025

Die Bauzeitung lud zu einem Streitgespräch über Nachhaltigkeit am Bau. Die beiden Kontrahenten: Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ) und der Wiener Architekt Martin Aichholzer. Das Ergebnis: durchaus überraschend.

 

 

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Meine Herren, Sie treten beide für die Dekarbonisierung der Bauwirtschaft ein – aber Sie stehen auch für zwei Lager, die weit voneinander entfernt zu sein scheinen: Sie, Herr Spaun, vertreten den Baustoff Zement. Sie, Herr, Aichholzer, machen sich für den Holzbau stark. Daher meine erste Frage: Wie weit liegen Sie eigentlich auseinander?

Sebastian Spaun: Den Enkeln in die Augen schauen.© Bauzeitung.
Sebastian Spaun: Den Enkeln in die Augen schauen.
© Bauzeitung.

Sebastian Spaun: Ich glaube, dass wir beide das Gleiche wollen. Wir wollen beide einmal unseren Enkelkindern in die Augen schauen und Ihnen sagen können: „Als wir vor vielen Jahren erkannt haben, dass wir mit Business as Usual unseren Planeten aus den Angeln heben, haben wir begonnen zu handeln – mit dem Ziel, Euch eine lebenswerte Welt zu übergeben.“ Für mich heißt das: Die Emissionen radikal reduzieren und gleichzeitig darauf achten, dass wir die natürlichen Emissions-Senken dieser Welt schützen und bewahren.

Martin Aichholzer: Ich kann das nur unterstreichen. Ich denke, wir wollen wirklich alle das Gleiche. Wobei ich meine Bedeutung nicht überbewerten will. Ich bin nur einer von mehr als 3.000 Architekten in Wien. Ich persönlich verfüge über keinen großen Hebel. Da hat Herr Spaun eine viel größere Rolle. Aber jeder ist wichtig. Und ich versuche, das, was ich seit 30 Jahren mache, weiterzuverfolgen – nämlich nachhaltig zu bauen, neue Ideen und Lösungen zu finden und sie in Lehre und Forschung zu verbreitern und in der Praxis umzusetzen.

Das klingt ja recht einvernehmlich. Aber Sie haben unterschiedliche Vorstellungen, wie man dieses Ziel erreichen soll. Herr Aichholzer, wo sehen Sie die wichtigsten Hebel, um eine nachhaltige Bauwirtschaft zu realisieren?

Martin Aichholzer: Wir wollen alle das Gleiche.© Bauzeitung.
Martin Aichholzer: Wir wollen alle das Gleiche.
© Bauzeitung.

Aichholzer: Nicht bauen. Das klingt hart, ist aber so. Nicht zu bauen, wäre eigentlich der größte Hebel. In der Realität ist das natürlich nicht machbar. Wir sind alle im Wirtschaftsleben und wissen, wie wichtig der Bau ist und wie viel Wertschöpfung er generiert. Der nächste Ansatz ist aber sehr gut umsetzbar: Das ist der Bestand. Was meine ich damit? Möglichst viel Bestand zu erhalten – ihn nicht abzureißen und neu zu bauen, sondern ihn sanieren, ergänzen und umbauen. Damit leisten wir auch einen Beitrag zur Reduktion des Flächenverbrauchs. Es geht ja nicht nur um die CO₂-Emissionen und das Klima, sondern um den sparsamen Umgang mit allen Ressourcen.

Herr Spaun, nicht oder weniger bauen: Was sagt man als Vertreter einer Baustoffbranche dazu?

Spaun: Ich glaube, wir können uns auf klug oder klüger bauen einigen – also so effizient mit Material umgehen wie irgendwie möglich. Das ist vor allem ein Thema bei der Konstruktion, also für die Planer. Und ich glaube, ein Thema, das viele in der Zunft noch gar nicht so erkannt haben. Aber ich möchte mich nicht von dem ablenken, was meine Branche tun kann. Als meistverwendeter Baustoff der Welt, ist uns natürlich klar, dass wir einen Beitrag zu leisten haben. Uns ist bewusst, dass der meistverwendete Baustoff auch der meist kritisierte ist. Wir haben daher als österreichische Zementindustrie vor fünf Jahren einen Roadmap-Prozess eingeleitet und uns zu einem klaren Ziel verpflichtet: Wir wollen bis 2050 CO₂-neutral sein. Das fängt bei der Reduktion des Zementklinkers an, geht weiter über Energieeffizienzprojekte bis zum forcierten Einsatz von alternativen Roh- und Brennstoffen. Ganz am Ende steht das Abscheiden von CO₂ aus unseren Öfen.

Wir können schon ein bisschen stolz darauf sein, was unsere Branche erreicht hat.

Sebastian Spaun

Wo stehen Sie hier derzeit?

Spaun: Wir können schon ein bisschen stolz darauf sein, was unsere Branche erreicht hat: Es weiß kaum jemand, dass das kleine Österreich den Zement mit dem niedrigsten CO₂-Anteil der Welt produziert. Wir haben schon in den vergangenen Jahren einiges richtig gemacht und liegen derzeit im Durchschnitt bei ungefähr 500 Kilogramm CO₂ pro Tonne Zement. Das sind immer noch 500 Kilogramm zu viel. Das wissen wir. Vor uns liegt noch ein langer Weg.

Herr Aichholzer, diese Zahlen sind Ihnen sicher bekannt. Dennoch setzen Sie bei Ihren Projekten nicht nur, aber vorzugsweise auf Holz. Warum eigentlich?

Martin Aichholzer
Martin Aichholzer © ÖWV/SB

Aichholzer: Das gibt es einerseits emotionale Gründe. Mein erstes Projekt als Student war ein Holzbau. Damals habe ich die Liebe zu diesem Baustoff entwickelt. Er ist ein bisschen wie ein Rennpferd, das man gut im Griff haben muss. Aber abgesehen von diesen Emotionen: Der Holzbau hat ein riesiges Potenzial, das wir noch nicht ansatzweise ausgeschöpft haben. Die Menschen bauen seit tausenden Jahren mit Holz. Aber mit dem Aufkommen von Stahl und Beton im 19. Jahrhundert wurde der Holzbau immer mehr verdrängt. Seit den 80er Jahren ist er dann wieder in Schwung gekommen. Das bedeutet: Den modernen Holzbau gibt es erst seit 50 Jahren. Daher gibt es noch viele Möglichkeiten und Chancen, die wir bislang noch gar nicht nutzen.

Einen großen Vorteil des Holzbaus sehen seine Befürworter in der besseren CO₂-Bilanz. Wie schaut es hier mit belastbaren Zahlen aus?

Aichholzer: Daran wird derzeit gearbeitet. Um möglichst verlässliche Werte zu bekommen, benötigt man die sogenannten EPDs zu den einzelnen Baustoffen – das sind Umweltproduktdeklarationen, in denen detailliert aufgelistet wird, welche Auswirkungen ein Baustoff auf die Umwelt hat. An diesen EPDs arbeiten die Baustoffhersteller derzeit. Man geht bei der Ökobilanzierung daher derzeit noch von generischen Werten aus – also Durchschnittswerten. Ich arbeite derzeit in dem EU-weiten Projekt „Indicate“ mit. Hier haben wir in Österreich 30 unterschiedliche Wohnbauten erfasst und vergleichen nun die Daten. Dabei gibt es eine Tendenz: Je schwerer der Baustoff ist, desto höher die CO₂-Emissionen. Da Holz deutlich leichter als Beton ist, schneiden Holzbauten deutlich besser ab. Unseren Berechnungen nach liegen die Treibhausgas-Emissionen bei einem Holzbau im Schnitt bei rund 75 Prozent der Emissionen eines Betonbaus. Dieses Projekt wird von mehreren Instituten österreichweit und europaweit wissenschaftlich begleitet. Wir haben es Ende Februar an der Universität für Bodenkultur in Wien vorgestellt.

Spaun: Ich durfte bei dieser Präsentation am Podium sitzen und habe mich natürlich mit dieser Studie auch befasst. Wie Herr Aichholzer schon gesagt hat: Man arbeitet hier mit generischen Daten. Und genau das ist der Grund, warum ich meine Branche stark dazu angetrieben habe, die EPDs für ihre Produkte zu erstellen. Wir können seit dem vergangenen Jahr für jeden einzelnen Zement das EPD von jedem einzelnen Zementwerk vorlegen. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Unterschied von 25 Prozentpunkten deutlich reduziert, wenn man mit den aktuellen Daten aus diesen EPDs rechnet. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel: Wir haben in den vergangenen zwei Jahren einen neuen CO₂-reduzierten Zement für den Hochbau entwickelt. Er nennt sich CEM II/C. Dieser Zement enthält deutlich weniger Klinker und hat nur mehr einen CO₂-Anteil von 325 Kilogramm – der resultierende Beton damit bei rund 120Kilogramm pro Kubikmeter. Selbst wenn man die Bewehrung dazurechnet, dann liegt eine Betondecke mit diesem Zement in etwa auf dem Niveau von Brettsperrholz, das bei großen Bauwerken im Holzbau vorwiegend eingesetzt wird.

Kommen wir zu einem anderen Aspekt: Der Wald gilt als wichtige CO₂-Senke, weil Bäume CO₂ aus der Atmosphäre entnehmen. Kritiker argumentieren: Ein Baum, der gefällt wurde, kann kein CO₂ mehr entnehmen. Spricht das gegen die Forcierung des Holzbaus?

Sebastian Spaun
Sebastian Spaun ©ÖWV/SB

Spaun: Wir sehen derzeit eine dramatische Entwicklung in den österreichischen Wäldern, aber auch in Deutschland und Tschechien. Laut „National Inventory Report“, den wir jährlich an die UNO schicken müssen, ist der Wald in Österreich 2023 zu einer CO₂-Emissionsquelle geworden. Er hat unter dem Strich nicht nur nicht gefiltert, sondern 5,3 Millionen Tonnen CO₂ emittiert. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Wir haben in Österreich eine sozialromantische Vorstellung von Wald. Aber es gibt große Probleme: Die Entnahme ist sehr hoch. Die Monokulturen der Fichtenwälder sind sehr anfällig für Sturm. Dazu kommt noch der Borkenkäfer, der auf den Wald hereingebrochen ist. Mein Professor an der Boku hat schon vor 35 Jahren gesagt: „Monokulturen sind sehr anfällig für Sturm, Trockenheit und Kalamitäten.“ Letztlich haben die erhöhten Temperaturen im Zuge des Klimawandels in den vergangenen 40 Jahren zu einem starken Wachstum des Waldbestands geführt. Und viele haben geglaubt: Das wird immer so weiter gehen. Das ist eine unerschöpfliche Quelle. Jetzt sehen wir, dass das nicht so ist.

Aichholzer: Ja, das ist ein großes Problem. Wir haben einen enormen Umbau des Waldes vor uns. Wir müssen die Monokulturen beseitigen, die Diversität des Waldes und damit seine Resilienz deutlich erhöhen. Die Fichte wird in manchen Lagen auf Dauer verschwinden, in anderen zurückgedrängt und durch robustere Arten ersetzt, weil es der Borkenkäfer und die Trockenheit so wollen. Ein dann diverser, resilienter Wald wird auch wieder zum CO₂-Speicher. Wobei ein Hinweis hier interessant ist: Der Wald ist als CO2-Senke wichtig. Noch wichtiger ist aber der Boden. Er speichert zusammen mit dem Meer bei weitem am meisten CO2. Aber ich möchte zurück zum Holzbau kommen. Denn der Holzbau ist nicht das Problem für den Wald…

Ungefähr zehn Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung stammen vom Rohstoff Holz.

Martin Aichholzer

Warum nicht?

Aichholzer: Der Großteil des geschlägerten Holzes geht nicht in den Holzbau, sondern wird für andere Anwendungen genutzt. Das zeigt der Waldbericht, der jährlich erstellt wird, sehr deutlich: Der Großteil des Holzes geht an die Papierindustrie. Alle Welt redet vom papierlosen Büro, aber davon sind wir noch weit entfernt. Weitere große Mengen Holz werden zur Energiegewinnung genutzt und verbrannt. Dazu kommt, dass wir sehr viel Holz exportieren – vor allem als halb veredeltes und veredeltes Holz in Form von Möbeln. Das bedeutet: Es gibt ausreichend Potenzial, um den Holzbau weiter auszubauen. Das ist eine strategische Frage, die man beantworten muss. Dazu gehört ein weiteres Faktum, dessen man sich bewusst sein sollte: Holz ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ungefähr zehn Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung stammen vom Rohstoff Holz.

Spaun: Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich halte kein Plädoyer dafür, die Wälder nicht zu nutzen. Ich komme aus der Wirtschaft und weiß um ihre wirtschaftliche Bedeutung. Ich bin hier aber auf Zahlen des Biomasseverbandes gestoßen: Um einen Kubikmeter Holz als Werkstoff zu gewinnen, fallen derzeit sechs Kubikmeter Nebenprodukte an. Die werden größtenteils verbrannt, von der Papierindustrie genutzt oder gehen in die Spanplattenindustrie. Hier benötigen wir neue, effizientere Technologien.

Aichholzer: Ja, hier sind wir uns einig. Hier komme ich zurück auf meine Aussage vom Anfang: Weniger Bauen und den Bestand nutzen. Das bedeute nichts anderes, als die Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Ich halte auch nichts von einer Heiligsprechung eines bestimmten Baustoffs. Neben Holz gibt es auch andere Materialien, wie Lehm oder Ziegel. Und natürlich baue ich auch mit Beton.

Spaun: Ich glaube, wir sollten unsere Marketingabteilungen ein bisschen zurückpfeifen und über das reden, worum es wirklich geht: Nämlich mit allen Werkstoffen vernünftig, effizient umzugehen. Da sollten beide Seiten aufeinander zugehen. Es ist sicherlich besser, miteinander als übereinander zu reden.

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Meine Herren, ich danke Ihnen für das angeregte Gespräch.

Hier geht es zur ungekürzten Fassung des Gesprächs!

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