Smart: Wohnen mit Verstand

Redaktion Architektur & Bau Forum
14.05.2013

Was ist schlau am „schlauen“ Wohnen? Die Bauträger, die eine günstige Form der Finanzierung gefunden haben? Die Architektinnen und Architekten, die flexible Grundrisse für alle Lebenslagen entwickeln? Oder am Ende gar die zukünftigen Bewohner?

Rund ein Drittel aller geförderten Neubauwohnungen werden in Wien in den nächsten Jahren im Rahmen des Smart-Programms errichtet. Durch die derzeit günstigen Kreditkosten bewegen sich diese Wohnungen preislich auf dem Niveau von Gemeindewohnungen mit Bruttomieten von maximal 7,50 Euro pro Quadratmeter. Die Smart-Strategie, relativ kleine Wohnungen in hoher Dichte zu entwickeln und damit kostengünstig anbieten zu können, ist durchaus umstritten. Was für die einen ein Schritt in Richtung Suffizienz ist, also zur Reduktion auf das ökologisch und ökonomisch Vertretbare, ist für die anderen ein Rückschritt in Richtung Wohnen für das Existenzminimum, noch dazu in gefährlich dichter Packung. Ob das Smart-Programm tatsächlich schlau ist, kann man seit den Bauträgerwettbewerben für das Sonnwendviertel am Wiener Hauptbahnhof, in dem der überwiegende Teil des Angebots diesem Typus folgt, etwas besser beurteilen.

Ein Aspekt, mit dem die Smart-Strategie als „smart“ verkauft wird, ist die Flexibilität der Grundrisse, die es erlauben soll, mehrere Lebensphasen auf derselben Fläche bequem einrichten zu können, von der Loftwohnung zu Beginn über das Wohnen mit Kindern bis zur bequemen Seniorenwohnung. Ob diese Flexibilität tatsächlich so genutzt wird, wird sich zeigen. Ihre Qualitäten kann sie aber auch bei der Erstbelegung eines Hauses ausspielen, weil sie bis zu einem sehr späten Zeitpunkt der Planung, theoretisch noch bis zum Rohbau, auf unterschiedliche Nachfrage zu reagieren erlaubt.

Kinayeh und Markus Geiswinkler, die mit ihrem „Wohnregal“ für das Sonnwendviertel einen der innovativsten Beiträge zum Thema geliefert haben, können über die Wünsche der zukünftigen Bewohner relativ genau Auskunft geben. Zu ihrem Wohnbau haben sie unter der Adresse www.smartwohnenwien.at eine Homepage eingerichtet, auf der Interessenten einen Wohnungsgrundriss wählen und zusätzlich den gewünschten Bauteil und das gewünschte Stockwerk angeben konnten. Das Ergebnis entsprach der Vorhersage des Bauträgers: 50 Prozent der Anfragen entfielen auf den C-Typ mit 70 Quadratmetern, 37 Prozent auf den B-Typ mit 55 Quadratmetern und 13 Prozent auf den C-Typ mit 40 Quadratmetern. Wohnungen in den obersten Geschoßen sind naturgemäß begehrt, aber auch das erste Obergeschoß dürfte sich in der Meinung der Wiener noch etwas vom Beletage-Charme früherer Zeiten erhalten haben oder zumindest eine nicht unerhebliche Gruppe von Lift-Skeptikern anziehen.

Wohnregal nach Loftprinzip
Die Flexibilität im Grundriss ist – das haben alle bisherigen Smart-Projekte im Sonnwendviertel gezeigt – eine beachtliche Herausforderung für die Planer. Geiswinkler & Geiswinkler haben ihr „Wohnregal“ nach einem Loftprinzip mit einhüftiger Erschließung über einen Laubengang angelegt, bei dem die Geschoßplatten zwischen zwei tragenden Außenwänden gespannt sind. Das langgezogene Gebäude schließt zwar den Blockrand, lässt aber an der für die Durchwegung des gesamten Areals gedachten Stelle einen breiten Durchgang und bildet dahinter einen kleinen Hof, der von zwei quer zum „Wohnregal“ in den Hof hineinragenden Seitentrakten begrenzt wird. Diese Querbewegung in den Hof ist hier auch im kleineren Maßstab zu finden: Von den Laubengängen aus ragen teilweise mächtige Boxen in den Hofraum, in denen für alle Bewohner des Geschoßes gemeinsam nutzbare Flächen zur Aneignung einladen.

Konstruktiv folgen der Laubengang nach innen und die Balkonzone nach außen unterschiedlichen Prinzipien: Während der Laubengang vor die Fassade gestellt ist und seine Lasten über Stützen in die Tiefgarage abträgt, besteht das Gerüst, das straßenseitig die Balkone trägt, aus thermisch getrennten Stahlbetonbügeln, die ihre Lasten in die Geschoßdecken übertragen. Die Konstruktionsraster für die beiden Systeme sind entsprechend unterschiedlich und betragen 5,8 Meter im Hof und 3,8 Meter auf der Straßenseite. Ihre Tiefe ist mit einem Maß von zwei Meter auf beiden Seiten gleich, die Wohnungen dazwischen haben eine Tiefe von acht Metern.

Die Grundrisstypologie bietet gut geschnittene Wohnungen mit der Option, im C-Typ mit 70 Quadratmetern eine Wohnküche, ein Elternschlafzimmer und zwei Kinderzimmer unterzubringen, Letztere allerdings nur mit den schon beim Wohnen für das Existenzminimum beliebten verschachtelten Stockbetten und einer waghalsigen Stellung des Ehebetts, die allerdings kein Geringerer als Adolf Loos schon in seinem Haus für Alexander Moissi am Lido von Venedig vorgeschlagen hat. Viel wichtiger als diese akrobatischen Übungen zur Ausreizung des Grundrisses ist aber das Angebot an unmittelbar der Wohnung zugeordneten Freiflächen. Alle straßenseitigen Öffnungen sind Fenstertüren, die auf einen umlaufenden Balkon mit 80 Zentimeter Lichte hinausführen, der sich vor dem Wohnraum auf gut nutzbare 2,4 Meter aufweitet, in unterschiedlicher Breite je nach Wohnungstyp.

Räumlich ästhetische Funktionalität
Damit diese tiefen Balkone die Wohnungen nicht verschatten, sind sie so gegeneinander versetzt, dass über den Balkonen in der Regel ein zweigeschoßiger Luftraum liegt. Hier zeigt sich, dass Flexibilität nicht nur eine funktionelle Seite hat, sondern auch eine räumliche und ästhetische. Ohne die Flexibilität im Grundriss würde das „Wohnregal“ Gefahr laufen, einen monotonen Anblick zu bieten, während es nun mit seinen unterschiedlichen Raumhöhen und einer raffinierten Tiefenschichtung, für die auch die Bepflanzung eine wichtige Rolle spielt, lebendig aussieht.

So einfach und selbstverständlich das Ergebnis am Ende wirkt, so anspruchsvoll ist es in der Planung. Scheinbar banale Details können in der Umsetzung das ganze Konzept gefährden. So sind etwa die Notkamine eines der größten Hindernisse für Flexibilität, da sie nach den aktuellen Richtlinien nur einen minimalen Versatz zwischen den Geschoßen erlauben. Hier das Optimum auszuloten verlangt minutiöse Planung in Bereichen, in denen es auf den ersten Blick keinen Architekturpreis zu gewinnen gibt. (Ein Staatspreis für die originellste Lösung eines „hässlichen“ Problems wäre sicher eine Bereicherung). Ähnliches gilt für die neuen Erdbebennormen, die angesichts der weichen, langgestreckten und kernlosen Loftstruktur bei diesem Projekt einiges aufzulösen gaben. Das Ergebnis sind massive außenliegende Betonwände rund ums Stiegenhaus und den Lift, die mit dem Tragwerk des Wohntrakts durch Rohre aus Hochleistungsstahl verbunden sind. Dieses Exoskelett ist auf den zarten Perspektiven der Wettbewerbspläne noch nicht zu sehen. In natura wird es sich nicht verstecken, sondern seine stützende Wirkung in sattem Schwarz zur Wirkung bringen.

So wie es sich in diesem Projekt zeigt, ist „Smartes Wohnen“ tatsächlich ein schlaues Konzept. Es wird dann erfolgreich sein, wenn es konsequent den Weg geht, den die besten unter den Wiener Wohnbauarchitekten im Moment verfolgen, nämlich die Stadt ins Haus zu holen, die Erdgeschoße zu beleben und halb öffentliche Erschließungszonen bis in die obersten Geschoße als Begegnungszonen auszubilden. Selbst wenn die Bewohner dieses Angebot nicht sofort annehmen, ist es essenziell, um die Dichte in dieser Art von Bebauung nicht nur erträglich, sondern auch im positiven Sinn aktivierend zu empfinden. Urbanität in der dritten Dimension ist eine Praxis, die wahrscheinlich geübt werden muss, die auch Erfindungsreichtum braucht, umgesetzt in Bereichen, deren Nutzung noch nicht klar ausformuliert ist. Hier brauchen die Bauträger auch als Verwalter ihrer Häuser Mut zum Experiment, das auch im sozialen Bereich immer mit dem Risiko des Scheiterns verbunden ist. „Smart“ kann aber gar nichts anderes bedeuten als anpassungsfähig, neugierig und innovativ. Smarte Bewohner in smarten Häusern? So viel Vertrauen in die Zukunft sollten wir uns schon leisten.