Architekturtage 2024
Die Architektur läutet die Alarmglocke
Wie lange können wir - auch und gerade im Bausektor – so weitermachen wie bisher? Antwort auf Basis der Fakten: eigentlich schon lange nicht mehr. Der Realitätscheck zeigt aber wenig von der Umsetzung dieses Wissens. Die „Nach mir die Sintflut“-Mentalität in weiten Teilen des Bausektors verhindert die Umsetzung von Erkenntnissen, auf die Forscher*innen und engagierte Architekt*innen seit Jahrzehnten hinweisen. Aus den bisherigen Praktiken den Schluss zu ziehen, dass unreflektiert gehandelt wird, ist naheliegend. Zurecht lässt sich infrage stellen, wie weit die Irrationalität weiter getrieben werden soll, die häufig im Bauwesen herrscht, etwa, wenn täglich weiter Boden versiegelt wird.
Gesellschaft im Umbruch
Die erheblichen Auswirkungen der Bodenversiegelung sind mittlerweile bekannt. Schlechtere Regenwasserversickerung, verminderte Grundwasservorräte, steigendes Überschwemmungsrisiko, Überlastung der Kanalisation. Schlechtere Wasserverdunstung, dadurch weniger Kühlung bei Hitze. Weniger Pflanzen, die Feuchtigkeit verdunsten und Schatten spenden. Reduzierte Fruchtbarkeit durch Absterben der Bodenfauna. Immer noch wird so getan, als sei Boden eine unendliche Ressource. Daher erinnert der Untertitel der Veranstaltung daran, dass es jetzt um das „Planen und Bauen für eine Gesellschaft im Umbruch“ gehen muss.
Was war nun bei den 16. Architekturtagen (7. - 8. Juni) zu erwarten? Man möchte das Thema in die Öffentlichkeit bringen, so formuliert es der Verein der Architekturtage, vertreten durch Barbara Frediani-Gasser, Verena Konrad und Christian Kühn. Die Kammer geht aktiv nach außen und wartet nicht mehr auf Einladungen. Ein Positionspapier der Kammer verhandelt die Frage nach dem Umgang mit Boden und Altbestand. Umbau, Nachnutzung, Verdichtung sind die Stichworte. Längst bekannt, dennoch zögerlich umgesetzt.
Keine Zeit, zu warten
Das Thema ist zu brisant, um noch länger zu warten. Alle Berufe, die am Planen Anteil haben, müssen daher zu Themenbotschafter*innen werden. Denn, wenn es so weitergeht, wird es zu sozialen Unruhen kommen, auch im privilegierten Europa.
Die aktuelle Auflage der Architekturtage bietet weitaus mehr, als zwei Tage Programm. In allen Bundesländern werden mehr interaktive Veranstaltungen angeboten, um mehr Outreach zu schaffen und Dialoge zu motivieren. Es gab einen Open Call an die Öffentlichkeit, in dem Ideen und Vorschläge zu weiteren Aktionen gesammelt werden, wie man mit der Klimakrise umgehen kann. Fragestellungen sind etwa: „Wie können heutige und zukünftige Generationen das gebaute Erbe erhalten und weiterentwickeln? Welche Antworten geben Architektur, Raumplanung, Bauingenieurwesen, Umwelttechnik, Landschaftsplanung und andere Disziplinen auf die aktuellen Herausforderungen?” Die Eingaben sind auf der Homepage der Architektur Stiftung Austria öffentlich einsehbar.
Perspektivwechsel nötig
Im Panelgespräch diskutierten Lena Kohlmayr (Akteurin beim Architekturkollektiv AKT), Heidi Pretterhofer (Professorin für Baukultur in Linz) und Thomas Romm (Initiator der „Baukarussels“), moderiert von Maik Novotny (ÖGFA Vorstand) über Möglichkeiten, die Öffentlichkeit mit Hands-on Praktiken zu individuellem Engagement zu bringen. Empathie war ein Kernthema, denn emotionale Betroffenheit führt zum Handeln. Die Menschen müssen ein Gefühl für ihre Umwelt, für die direkten Auswirkungen der gebauten Umgebung auf Menschen, Tiere und Pflanzen bekommen. Sehr anschaulich wird die Bestandsaufnahme in der Keynote von Werner Sobek. Das Bauwesen besitzt mit seinem stolzen Emissionsanteil von 50 Prozent des Gesamtaufkommens den größten Hebel. Der Nachhaltigkeitsexperte fordert, den Fokus verstärkt auf den Sektor Energie und Material zu legen. Sich klarzumachen, wie viel Aufwand die bisherige Art, Materialien zu extrahieren und wieder zu verwerfen, bedeutet.
Daraus ergibt sich ein Perspektivwechsel, wie die vorhandene Energie verwendet und eingesetzt wird, inklusive bei der Nutzung. Eine Vorgabe, wie viel jede Person verbrauchen darf, wäre sinnvoll. In den gängigen Regelwerken, etwa dem deutschen Energieeinspargesetz, wird jedoch von Bedarf pro m2, nicht pro Person gesprochen. Wenn man in Betracht zieht, dass seither die Wohnungen größer geworden sind, wird die Unsinnigkeit und Ungerechtigkeit einer solchen Vorgabe evident. Denn wenn jemand eine größere Wohnung hat, darf er nach der bisherigen Vorschrift auch mehr Energie verbrauchen.
Den Kollaps verhindern
Ein weiteres Fazit: wir haben ein Emissionsproblem, das durch die falsche oder fehlende Nutzung vorhandener Energie entsteht. Bis heute gibt es keine Maßnahmen im Bauwesen, die Emissionen regulieren. Ein besonders alarmierendes Bild entsteht, wenn man sich klarzumachen versucht, dass die gesamte jetzt bereits weltweit vorhandene Baumasse verdoppelt werden wird, wenn die sogenannten Entwicklungsländer auf einen angemessenen Stand für Infrastruktur, Bildung und medizinische Versorgung aufstocken. Radikale Maßnahmen sind also notwendig, um den Kollaps zu verhindern.
Zum Klimaziel, den Temperaturanstieg zu verhindern, darf man sich vor Augen führen, dass die Auswirkungen bereits jetzt, auch in Europa, spürbar sind. Dass Olivenöl nun doppelt so teuer ist wie bisher, liegt nicht nur am Versuch, Profite zu maximieren. Tatsächlich sind große Plantagen wegen der Kombination aus Hitze und Wassermangel verdorrt - und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Bei all diesen dystopischen Aufzählungen bleibt Hoffnung für eine optimistische Herangehensweise: denn das Wissen in allen betreffenden Bereichen ist vorhanden. Motivierte Protagonist*innen gibt es auch. Jetzt geht es ums Tun, und zwar sofort.