Ausstellung
Der Architekt und Designer Carl Auböck
Ein Archiv aufarbeiten, Kiste für Kiste auspacken… Nach und nach ergibt sich ein immer umfangreicheres Bild des Schaffens. Einen ähnlichen Eindruck erzeugt die aktuelle Ausstellung über Carl Auböck, die im Architekturzentrum Wien gezeigt wird. Der Architekt und Designer hätte, als 1924 Geborener, heuer seinen 100. Geburtstag gefeiert.
Living Archive
Am Eingang erwarten die Besucher*innen Stapeln von Kisten und ein Regal. Darin fällt sogleich ein elegant minimalistisches 50er Jahre Besteck 2060 ins Auge. Eine Atmosphäre der Aktivität entsteht in dieser Mischung aus Atelier und Stauraum: Anstatt eine fertige, kuratierte Erzählung zu präsentieren, lädt die Ausstellung die Besucher*innen in den Prozess der Erforschung ein.
Etwas ungewöhnlich und innovativ, aber nicht völlig neu ist das Format des öffentlichen Auspackens eines Archivs. Es stellt einen dynamischeren Ansatz für die Ausstellungsgestaltung dar, der sich von der traditionellen statischen Präsentation von Objekten wegbewegt. Das Format erweckt Lust an der Entdeckung. Die Arbeit am Nachlass wird hier öffentlich gemacht. Die am Eingang gestapelten Kisten werden nach und nach „entpackt“: Wer also zur Eröffnung dort war, findet bei einem weiteren Besuch weitere Präsentationen vor. Anstatt eine fertige, kuratierte Erzählung zu präsentieren, lädt die Schau die Besucher*innen in den Prozess der Erforschung von Archiven ein, was ihr eine interaktive und offene Anmutung verleiht. Indem das Archiv während der Ausstellung ausgepackt wird, bleibt die Ausstellung fließend und interaktiv und bietet bei jedem Besuch neues Material und neue Erkenntnisse. Die Besucher*innen können eine laufende Arbeit erleben, anstatt einer vorgefertigten Retrospektive.
“Wir haben den Nachlass von Carl Auböck erst im März übernommen – daher war klar, dass wir keine Retrospektive machen können. Es entstand die Idee, den Nachlass ins Zentrum zu stellen und gleichzeitig den Besucher*innen einmal zu zeigen, wie so eine Bearbeitung ausschaut, was die Archiv- und Sammlung bedeutet. Einerseits von Umfang und Materialität her. Man erfährt, dass so ein Nachlass eben nicht nur aus Plänen und Fotos besteht. Und andererseits vom Kontext her, was in den Schriftenordnern alles drinnen steckt: Korrespondenzen, Vorträge, Pressemeldungen, unveröffentlichte Ideen, Briefwechsel mit den Auftraggeber*innen, Baubeschreibungen. Dieses umfangreiche, inhaltliche Konvolut hat uns bewogen, ein Living Archive zu präsentieren”, beschreibt die Kuratorin Monika Platzer das Format.
Die sensible inszenierte Ausstellungsarchitektur von asphalt Kollektiv für Architektur (Natascha Peinsipp, Felix Steinhoff) spiegelt einen transparenten Ansatz wider, der dabei unterstützt, die Entwicklung von Gedanken, Design und Praxis zu verfolgen.
Gestalterische Vielfalt
Der Nachlass besteht aus vielen Skizzen, Schriften, Modellen und Plänen, aber auch aus Aktenordnern und Schriftverkehr – die man normalerweise in Ausstellungen nicht zu Gesicht bekommt. Eine Besonderheit der Pläne ist ihre Doppelnatur: Einerseits ganz dem abstrakten Zeichnen folgend, überraschen sie andererseits mit eingezeichneten alltäglichen Details, die sie lebensnah wirken lassen. „Es ist tatsächlich erstaunlich, dass er auf den ganz frühen Plänen bis zum Besteck und bis zum Teller schon alles eingezeichnet hat”, erzählt Kuratorin Sonja Pisarik. “Er hat einerseits sehr abstrakt gezeichnet, aber andererseits noch Details aus dem Alltag, wie zum Beispiel eine Pflanze dazu gestellt. Er hat sich wirklich alles sehr genau vorgestellt und in Gesamtzusammenhängen gedacht. Wir haben ja sehr viel mit Architekturplänen zu tun, aber ich habe noch nie auf einem Architekturplan einen eingezeichneten Rasenmäher gesehen. Das sind Dinge, die sind wirklich speziell. Sie erklären sich ein bisschen durch sein geistiges, kulturelles Umfeld, das ihn sein Leben lang begleitet hat.”
Die Werkvielfalt ließe sich ohne die Familiengeschichte nicht erklären. Die Gründung einer Bronzewerkstatt Ende des 19. Jh. durch den Goldschmied Karl Friedrich Auböck markiert den Beginn einer Fokussierung auf Ästhetik und handwerkliche Exzellenz, die durch den Sohn Carl (den Vater des Architekten und Designers, um den es in der Ausstellung geht) weitergeführt wird. Er studierte am Bauhaus und lernte dort Mara Uckunowa kennen – die Mutter von Carl Auböck, dessen Archiv gezeigt wird. „Er ist als Kind inmitten eines Haushaltes von zwei Künstlern aufgewachsen und hat diese Atmosphäre täglich live erlebt. Seine Mutter war Bildhauerin und Textilkünstlerin, der Vater Maler und Designer. Das ist ein starker Einfluss, der durch den Amerika-Aufenthalt und viele weitere neue Einflüsse angereichert wurde. Mit diesem Rucksack im positiven Sinn ist es fast unvermeidlich, dass man sich, mit entsprechender Begabung, zu einer Künstlerpersönlichkeit entwickelt, die auf vielen Ebenen vieles gleichermaßen gut gestalten kann.”
Schaffen als Prozess
Beim Durchstöbern des Hands-on-Bereichs der Ausstellung zeigt sich vor den Augen der Besucher*innen eine individuelle Version des Schaffensprozesses. Ausgestattet mit Handschuhen darf man ausgewählte Stücke wie Planbücher, Zeichnungen und Fotoalben aus Auböcks Besitz selbst in die Hand nehmen und durchblättern, sieht die Skizzen und schriftlichen Anmerkungen und kann in die Atmosphäre des kreativen Prozesses eintauchen. Dieser Bereich der Schau setzt eine kleine Zeitreise in Gang, etwa in die 70er Jahre mit Entwürfen für Skibrillen und Skimode, die heute wieder en vogue wären. Fotodokumentationen von Teilnahmen an Designausstellungen erwecken einen nahbaren Eindruck, außerdem gibt es Architekturentwürfe, Detailzeichnungen mit Anmerkungen zur Ausführung zu sehen.
Der Prozesscharakter der gestalterischen Arbeit wird deutlich, wenn man die unterschiedlichen Phasen einer Planung mitvollziehen kann. Anders als beim Narrativ der genialen Eingebung zeigt sich hier, dass auch ein preisgekröntes Objekt oder Produkt eine Entwicklung hinter sich hat und nicht im luftleeren Raum ensteht. “Man findet Dinge, warum Projekte zustande kommen oder warum sie scheitern. Das ist großartig für Forscher*innen und Interessierte und hat eine sehr lebendige Dimension. Im Lesen lebt man mit und ist dabei: Es gibt eine Idee und dann geht es auch noch um die Finanzierung. Dann scheitert vielleicht die Finanzierung oder sie klappt und je nachdem wird das Projekt durchgeführt oder nicht”, erläutert Monika Platzer.
Für Auböck selbst standen Ästhetik und Verwendbarkeit in unauflöslichem Zusammenhang, er wollte, dass seine Objekte, egal ob Besteck oder Haus, verwendbar waren. Heute würden ihn ebenso praktische Fragen beschäftigen, meint die Kuratorin: “Wie schauen die Klimageräte aus, wie schaut Photovoltaik aus, diese Dinge, die in der Landschaft so herumstehen? Wenn Carl Auböck noch leben würde, glaube ich, würde er sich gleich dran machen, etwas Tolles zu entwerfen.”
Mit solchen Überlegungen kann man Carl Auböck in die fortschreitende Zeitachse einbinden und Impulse für neue Perspektiven gewinnen. Die Ausstellung läuft und verändert sich noch bis 4. November.
Ausstellung im Architekturzentrum Wien
Vom Besteck zur Fertighaussiedlung: Der Architekt und Designer Carl Auböck (1924–1993)
05.09.2024 – 04.11.2024 täglich 10:00–19:00
Architekturzentrum Wien - Galerie
Museumsplatz 11070 Wien