Interview und Podcast

Die Rückeroberung der Gestaltung

19.12.2024

Ein Interview mit Kathrin Aste, Founding Partnerin des Architekturbüros LAAC und Professorin für Bildnerische Gestaltung und Entwerfen an der Uni Innsbruck. Sie erklärt, weshalb Architekt*innen die Gestaltung zurückerobern müssen, um sie von wirtschaftlichen Zwängen zu befreien und kulturelle Vitalität auszudrücken.

Handwerk und Bau: Sie haben bei der Konferenz “Interventa” in Hallstatt gefordert, Architektur wieder selbst in die Hand zu nehmen, um der kulturellen Lebendigkeit unserer Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Es gibt aktuell zu viele andere Partialinteressen von Auftraggebern und Politik, die bei der Baugestaltung mitbestimmen. Wie lässt sich der Einfluss der Architektur in diesem Umfeld stärken?

Kathrin Aste: Diese Aussage hat die Veränderungen in der Baubranche adressiert. Bei den Partialinteressen in der Architektur geht es um Interessen der Politik, der Investoren, anderer Bauherren und aller in den Bau eingebundenen Firmen. Die Rolle der Architektin oder des Architekten, maßgeblich an der Konfiguration eines Bauwerks beteiligt zu sein und dabei frei von subjektiven Interessen ihre freiberufliche Tätigkeit auszuüben, kann heute kaum noch wahrgenommen werden. Der Begriff des Architekten ist ein Begriff gewesen, der den obersten Baumeister oder den Zimmermeister tituliert. Das war jemand, der wesentlich Verantwortung trägt in Konzipierung und Umsetzung von Architektur. Das ist nicht mehr der Fall. Der Architekt oder die Architektin ist ein Nebenprotagonist beim Bauen. Das hat last but not least das Bauen in vielerlei Hinsicht einfacher gemacht, aber den Anspruch an die Architektur oder die Baukultur weitestgehend zerstört.

Das erinnert mich an Ihre Aussage, dass das Bedeutsame und Schöne niemanden mehr berührt und das kulturelle Erbe nur noch als lästiger Ballast empfunden wird. Wie lässt sich diesem Trend entgegenwirken, wenn die Einflussnahmen so groß sind?

Das ist eine schwierige Frage nach der Schönheit oder nach dem, was wir als schön empfinden. Schönheit mag etwas sein, das im Auge des Betrachters liegt und hat immer mit den Werten zu tun, die wir als wichtig empfinden. Weil diese unterschiedlich sind, können wir uns auf das, was schön ist, nur schwer einigen. Dennoch merkt man, wenn man auf Dinge zurückblickt, die wir, auch im Sinne der Nachhaltigkeit, als schön empfinden, dass diese Projekte oder Architekturen so etwas wie ein ein Ereignisprotokoll von Beziehungen sind. Wenn das gute oder interessante Beziehungen waren, etwa das Können von Handwerkern oder die Auseinandersetzung mit sozialen Beschaffenheiten, dann werden wir etwas als schön empfinden. Wenn es nur das reine Geld ist oder das Umsetzen von möglichst vielen Quadratmetern zu möglichst geringen Kosten, dann werden wir das im Nachhinein nicht als schön empfinden. Wir stehen vor einer interessanten Herausforderung, vielleicht vor einer Chance, weil wir mit der ökologischen Wende ein Thema haben, mit dem wir eine neue Art von Schönheit im Zusammenhang mit Architektur produzieren können. Wenn es gelingt, eine Ästhetik zu entwickeln, die im Sinne der ökologischen Wende diese widerspiegelt, wie bei Green Buildings oder Gebäuden mit weniger CO₂-Abdruck, und von den Menschen verstanden wird. Die Auseinandersetzung mit dem Thema des Revitalisierens oder des Umbauens von Bauwerken bringt uns auch ein Stück weit wieder zusammen, wenn wir dies gemeinsam als wertvoll empfinden. Ich glaube, es dauert, weil der Green Deal oder die ökologische Wende noch nicht im Wertesystem von allen vorhanden ist. Doch ich bin sehr zuversichtlich, dass das in nicht allzu ferner Zukunft passieren wird.

Welche Möglichkeiten haben denn Architektinnen heutzutage?

Das Agieren im nachhaltigen Sinne in der Architektur ist unglaublich schwierig. Denn bei allem Willen, den wir haben und bei allen positiven Ansätzen und Ambitionen, mit denen wir an einen Entwurf oder an ein Projekt herangehen sind die gesamte Gesetzgebung, sowohl die Baugesetze als auch die Normen im Bau, gänzlich kontraproduktiv. Wir haben eine Normgebung, die im Grunde genommen davon ausgeht, dass alles neu produziert wird, und dass alles perfekt lückenlos, fugenlos eingebaut werden kann.

Sobald wir uns mit Möglichkeiten und Potenzial der Kreislaufwirtschaft beschäftigen, wird das nicht mehr möglich sein. Man braucht mehr Spielraum, als die jetzige Normgebung ermöglicht, wie sich Einbauten, Baumaterialien und Bauelemente zusammenfügen lassen. Die Gesetzgebung hinkt im Moment extrem hinterher und verunmöglicht, dass wir als Architektinnen und Architekten tatsächlich den ökologischen Beitrag leisten können, den wir gerne leisten würden. Recycling von Materialien im Bau ist sehr schwer möglich, funktioniert im Moment nur im Bereich des Experimentalbaus oder im ganz kleinen Rahmen, vielleicht im Interior-Bereich.

Man müsste also die Gesetzgebung ändern, damit ein größerer Spielraum entsprechend der ökologischen Wende möglich wird.

Genau. Dafür ist die Uni eine wichtige Institution, weil dieses Nachdenken und Ausloten solcher Prozesse schlussendlich zu einer Ästhetik führen kann, die wiederum eine Ästhetik darstellt, die unsere Kultur beschreiben kann. Das, glaube ich, ist eine wichtige Aufgabe der Universität im Moment. Und das dauert ein wenig, bis so etwas sich umsetzt.

Was sehen Sie für Möglichkeiten, neue kulturelle Narrative für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung von Baukultur zu vermitteln?

Das neue Narrativ steht unmittelbar mit der ökologischen Wende in Zusammenhang. Wir müssen Klimabewusstsein schaffen und die Herausforderungen in pucto Ressourcen aufgreifen, ansonsten wird es nicht funktionieren. Es geht auch um soziale Gerechtigkeit, aber das ist nichts Neues. Daran arbeitet man sich schon länger ab, auch im Kontext des leistbaren und lebenswerten Wohnens. Dem ist bisher nur mit billigem Bauen entsprochen worden, was ein nicht besonders nachhaltiges Narrativ erzeugt.

Umnutzung und Zwischennutzung wäre in diesem ökologischen Narrativ ein Aspekt, den man berücksichtigen kann. Die Leerstandsdiskussion gibt es ja schon länger. Viele, die selbst Leerstand besitzen oder verwalten, weigern sich, da mitzuspielen und diesen für die Gesellschaft zu öffnen.

Das ist in erster Linie eine politische Herausforderung. Es ist gut, wenn wir uns als Architekten und Architektinnen engagieren, einfallsreich und kreativ sind, diese Orte wahrnehmen und auf sie aufmerksam machen. Dazu braucht es auch die Projekte an der Universität, die sich mit Umnutzung, Leerstand, Neustrukturierung von Gebäuden und so weiter auseinandersetzen. Die Uni muss als Institution ein Signal an die politischen Stellen geben. In Innsbruck und im Land Tirol gibt es tatsächlich eine Novelle im Landesgesetz, dass es eine Erhöhung der Leerstandsabgabe geben soll.

Momentan obliegt es der Gemeinde, diese Leerstandsabgabe auch einzuheben. Die Stadt Innsbruck kann diese Abgabe auch einheben und damit kann sich was verändern, denn wenn Leerstandsabgaben hoch sind, rentiert sich das Leerstehenlassen nicht mehr. Am Ende muss es ein Gesetz dafür geben, ansonsten passiert nichts.

Zum Schluss möchte ich noch auf das Forschungsgebiet “Active Landscape”, das mit ökologischen Fragestellungen verbunden ist, eingehen. Welche Projekte gibt es hier aktuell von eurer Seite?

Wir überlegen gerade, ein Projekt, “Sustainable Design for Urban Infrastructures” weiterzubetreiben. Dabei untersuchen wir, inwieweit bei komplexeren Topografien, wie jenen im alpinen Raum, so etwas wie Photovoltaikpaneele, aus einer landschaftsästhetischen Perspektive heraus, eine Lösung wären. Es geht darum, im alpinen Raum zusätzlich zu den Speicherkraftwerken weitere Energiequellen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien bewerkstelligen zu können. Das ist eine spannende und vielversprechende Untersuchung. Tatsächlich gehen auch die energieproduzierenden Institutionen langsam davon ab, dass es einzig und allein die Wasserkraft ist, die Energie produziert. Auch Photovoltaik wäre für komplexere Topografien interessant.

Vielen Dank für das Gespräch.

Link: LAAC

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