Re-Use
Zweites Leben für Bauteile
Wenn sie gewusst hätten, was auf sie zukommt, hätten sie sich vielleicht den vorzeitigen Exitus durch Holzwurm gewünscht. Oder auch nicht. Wer weiß das schon. Die Rede ist von den ehemaligen Beichtstühlen, die früher in einem Priesterheim der Caritas im dritten Wiener Gemeindebezirk ihre fromme Pflicht taten. Sie – oder besser gesagt: ihre hölzernen Überreste – dienen nun als Verkleidung einer Bar im Hotel „Magdas“, das an gleicher Stelle errichtet worden ist.
Keine geschäftstüchtigen Wanderhirten
Zu verdanken haben die sakralen Einrichtungsgegenstände ihr Schicksal den „Materialnomaden“. Hinter diesen Namen verbirgt sich kein geschäftstüchtiger Stamm von Wanderhirten, sondern ein Wiener Büro, das kreislauffähige Prozesse in der Baubranche vorantreibt. Die Materialnomaden bieten Expertise zu Architektur, Stadtplanung, Baudurchführung und Restaurierung sowie Tragwerksplanung und angeleitetem Selbstbau. Sie widmen sich der Wiederverwendung von Bauteilen oder Baumaterialien. Fachleute sprechen hier auch von Re-Use.
Wiederverwenden lässt sich weitaus mehr, als der Laie auf den ersten Blick vermuten würde. Der Wiener Architekt Peter Thalbauer formuliert es so: „Es geht praktisch um alles, was man transportieren kann. Das Feld ist sehr breit. Es reicht von Holz aus Vollholzparkett und Dachböden über Stahlbetonträger und Betonfertigteile bis hin zu kleinen, scheinbar unwichtigen Dingen wie Fliesen oder Schildern.“
Im Fall des Magdas Hotels wurden neben den Beichtstühlen auch zahlreiche Leuchten reaktiviert. Sie wurden dafür neu zertifiziert und mit LED-Komponenten bestückt. In einem anderen Projekt mit Magdas, einem Social Business-Unternehmen der Caritas, führten die Materialnomaden Aluminium-Panelen eine neue Nutzung zu – und zwar die Panele der alten blau-weißen Schnellbahnmodelle 4020, die seit einiger Zeit von den ÖBB ausrangiert werden. Nun dienen sie als Wandverkleidung in der Magdas-Großküche in Wien-Liesing.
Auf der Jagd nach wiederverwendbaren Bauteilen und Baumaterialien wurden die Materialnomaden auch beim Projekt Grellgasse fündig. Dort halfen Sie beim Bau einer Wohnanlage auf dem Gelände der ehemaligen OMV-Zentrale in Wien-Floridsdorf – und auch hier waren sie kreativ: Auf dem Spielpatz der Wohnanlage befindet sich ein grünes Konstrukt aus Stahl, dessen Einzelteile ihr Leben als Passagierlift bei der OMV begonnen haben. Auf dem Steinweg, der über den Spielplatz führt, liegen Steinplatten, die früher Teil der Gebäudefassade waren.
An die Anfangsphase eines Projekts fällt auch die sogenannte „Erkundung“ des Bestandsgebäudes. Mit der Recycling-Baustoffverordnung sind „Schad- und Störstofferkundungen“ zur Pflicht geworden. Bei Schadstoffen handelt es sich um gesundheitsgefährdende Stoffe wie beispielsweise dem berüchtigten Asbest. Störstoffe heißen so, weil sie beim sortenreinen Trennen für das Recycling stören – das können zum Beispiel Holz oder Pappe sein, die nicht mit mineralischen Materialien wie Beton, Ziegel oder Fliesen vermengt werden dürfen. Der Fokus liegt bei der Erkundung in der Praxis derzeit vor allem auf den Schadstoffen. Baukarussell-Vorstand Romm fordert, dass auch mehr Augenmerk auf die Wiederverwendung gelegt wird.