Lehre auf Distanz
Die Einsamkeit ist uns Architekturstudenten gleichwohl keine Unbekannte. Auch vor Corona haben wir uns vor Abgaben freiwillig für Tage oder Wochen in Isolation begeben. Wir sind Meister des Verdrängens, kommen tagelang ohne Schlaf aus und sind auch sonst relativ schmerzresistent. Scheinbar gut gewappnet blickten wir daher voller Optimismus dem virtuellen Corona-Semester entgegen. Der reflektierte Leser wird es schon ahnen: Es kam alles ganz anders. Statt Ruhe folgte totales Chaos, und das obligatorische Glas Wein wurde zum alltäglichen Begleiter. War man in einem Akt der Verzweiflung gerade nicht damit beschäftigt, den übervollen Posteingang von überflüssigen E-Mails zu säubern, fand man sich im Strudel der unendlichen Video-Konferenzen wieder, welche eher für Verwirrung denn für Klarheit sorgten. Doch wer trägt Schuld? Lag es am geringen Eigenengagement der Studierenden, dem fehlenden Weitblick der Lehrenden oder doch am System?
Die digitalen Hürden
Hier lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen, denn auch für die Lehrenden war die Corona-Krise eine Herausforderung – dies gilt insbesondere für Personen mit befristeten Lehrverträgen oder Deputaten auf Teilzeit. „Der organisatorische Aufwand war für alle Seiten größer als im Normalbetrieb“, beobachtet Christian Kühn, Studiendekan der Fakultät für Architektur an der TU Wien, „viele Kollegen haben zudem die Möglichkeit vermisst, über Zeichnungen zu kommunizieren.“ Auch Michael Sürbock, stellvertretender Studiendekan der Fakultät für Architektur an der TU Wien, vermisst die didaktische Praxis: „Im Architekturstudium wird viel an physischen Modellen und Zeichnungen gearbeitet – schließlich ist die permanente Interaktion das didaktische Konzept dieses Studiums. Dieser komplexe Vorgang, welcher insbesondere bei Modulen des Masterstudiums zum Tragen kommt, kann im ‚Distance Learning‘ kaum zufriedenstellend simuliert werden.“
Chancen einer Krise
Doch der digitale Lehrbetrieb birgt auch Vorteile: „Manches befindet sich noch im Aufbau, wie zum Beispiel das systematische Training von Entwurfs- und Planungstools, wie sie bereits im Architekturbüro angewendet werden“, so Kühn, „Ich bin gespannt, zu welchen Mischformen es nach der Corona-Krise kommen wird. Wie lässt sich beispielsweise eine virtuelle Session in eine reale integrieren? Kann man in Zukunft jede Woche eine kürzere, intensive Präsenzkorrektur abhalten und dann eine Online-Korrektur an einem anderen Tag? All dies sind Fragen, die uns noch beschäftigen werden.“ Dietmar Wiegand, Professor am Institut für Projektentwicklung und -management der TU Wien sieht die Krise ebenfalls als Chance. „Die Asynchronität ist eine tolle Möglichkeit der digitalen Kommunikation“, erklärt er und meint, „Studierende können sich Vorlesungen anschauen und Inhalte hochladen, wann immer sie wollen. Ich wiederum kann die Beiträge kommentieren, wann immer ich möchte.“ Auch das Engagement der Studierenden sowie die Kommunikation mit denselben wurde positiv bewertet: „Die Motivation der Studierenden war allgemein sehr hoch“, so Christian Kühn, „auch die Nachfrage an Betreuungsterminen war entsprechend groß.“ Auch Dietmar Wiegand lobt das Engagement der Studierenden: „Unsere Studierenden sind klasse. Sie haben die neue Lernsituation angenommen, gute Ideen entwickelt und toll mitgearbeitet.“
Der hybride Lehrbetrieb
Abseits technischer Schwierigkeiten und mentaler Herausforderungen steht fest: Die Ursachen der digitalen Hürden sind so vielschichtig wie die Weiten des Internets selbst. Der virtuelle Lehrbetrieb ist und bleibt ein Experiment mit offenem Ausgang, und erst die Zukunft wird zeigen, ob sich die TU Wien als Fern-Universität bewähren kann. Mit dem morgigen Semesterbeginn soll der Lehrbetrieb zumindest stufenweise wieder hochgefahren werden: Mündliche Prüfungen könnten etwa mit kleineren Kommissionen stattfinden, und auch für schriftliche Klausuren werde es unter Einhaltung der Hygienebestimmungen Lösungen geben. Grundsätzlich sollen jedoch die meisten Veranstaltungen, wenn möglich, online abgehalten werden. Somit startet die TU Wien im kommenden Wintersemester in eine Art Hybridbetrieb aus Online- und Präsenzveranstaltungen – vorausgesetzt, es kommt kein zweiter Lockdown, dann würden die Karten wieder neu gemischt.
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