Brennpunkt

Trotz Krise dringend gesucht: Fachkräfte

Fachkräftemangel
13.11.2024

Trotz aktueller Wohnflaute und fehlender Aufträge leidet die Bauwirtschaft weiterhin unter Fachkräftemangel. Viele Betriebe nutzen die Chance, um jetzt qualifiziertes Personal anzuheuern.
Sie werden dringend gesucht: hungrige Fachkräfte.
Weiter gesucht: qualifizierte und hungrige Fachkräfte.

„Der Fachkräftemangel wird in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für den Bau und das Baunebengewerbe sein.“ Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), macht sich keine Illusionen darüber, was in den nächsten Jahren auf die Bauwirtschaft zukommt. Die Vertreter des Baugewerbes auch nicht: „Sobald die Baukonjunktur wieder anzieht, wird der Fachkräftemangel wieder enorm sein“, meint Baumeister Johannes Dinhobl, der sich in der Bundesinnung Bau seit vielen Jahren für das Thema Lehrlingsausbildung einsetzt. „Wenn ich mir die demografische Entwicklung anschaue, sehe ich auch nicht, dass sich das in den kommenden zehn Jahren wesentlich ändern wird.“ 

Die Wohnbauflaute, unter der die Bauwirtschaft derzeit massiv leidet, hat ihr auf der anderen Seite eine kleine Atempause beim Dauerthema Personalmangel verschafft: Wer weniger Aufträge hat, braucht weniger Personal. Dennoch – trotz teilweise massiver Einbrüche im Geschäft ist die Suche nach qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch heuer ein echtes Problem für die Branche. Das bestätigt die Konjunkturbefragung, die die KMU Forschung im Auftrag der Bundesspate Gewerbe und Handwerk im ersten Quartal 2024 durchgeführt hat. Gefragt nach den größten aktuellen Herausforderungen nannten 40 Prozent der Betriebe immer noch den Fachkräftemangel – ein bemerkenswert hoher Wert für eine Branche, die in der Rezession steckt.

Der Stellenmonitor des Wirtschaftsbundes unterstreicht dies: Die Zahl der offenen Stellen im Bereich „Bau, Baunebengewerbe, Holz, Gebäudetechnik“ hat im Juli 2024 gegenüber dem Höhepunkt des Baubooms im Juli 2022 zwar halbiert. Es sind aber immer noch mehr als 14.000 Stellen unbesetzt. „Neben langen Genehmigungsverfahren, hohen Energiepreisen und sinkenden Aufträgen bleibt der Fachkräftemangel die größte Herausforderung für die Bauwirtschaft“, meint daher auch der Generalsekretär des Wirtschaftsbunds, Kurt Egger.

Eine ganze Reihe von Betrieben nutzt die Chance, die sich ihnen derzeit dadurch bietet, dass viele Mitbewerber aufgrund der schwachen Auslastung Personal abbauen müssten. Eine aktuelle Umfrage der Bauzeitung aus dem Oktober (siehe den Beitrag „Personalmangel trotz Krise?“ in der Ausgabe 14/2024) hat folgendes Ergebnis gebracht. Auf die Frage „Nutzen Sie die Wohnbaukrise, um Fachkräfte einzustellen“, antworten rund 30 Prozent mit einem ja – auch wenn das für viele von ihnen eine wirtschaftlich eine Belastung darstelle.

WKÖ-Vertreterin Scheichelbauer-Schuster, selbst jahrzehntelang Geschäftsführerin eines Elektroinstallations-Betriebes, kann diesen Wert gut nachvollziehen. „Ich verstehe, dass jetzt viele Betriebe zugreifen, wenn sich die Chance bietet“, meint sie. Kleine Einschränkung: „Das muss man natürlich finanziell durchstehen können.“ Aus Sicht von Baumeister Dinhobl könnte die Zahl der Unternehmen, die derzeit antizyklisch die Flucht nach vorne antreten, in Wirklichkeit sogar noch höher liegen: „Unsere Betriebe schauen, dass sie trotz der schwierigen Marktlage so viel qualifizierte Kräfte und Lehrlinge aufnehmen wie möglich“, so Dinhobl. „Wenn wir jetzt nicht ausbilden, geht es uns nach der Krise noch schlechter. Dann haben wir Aufträge aber keine Leute. Daher lassen wir nichts unversucht.“

Baugewerbe und Bauindustrie befassen sich seit Jahrzehnten mit der Problematik und setzen Maßnahmen, um dagegen zu steuern. So hat man mit dem Projekt „Baulehre 2020“ vor einigen Jahren die Bau-Lehrberufe und ihre Inhalte neu ausgerichtet. Für besonders ambitionierte Lehrlingskandidaten, die eine Karriere als Führungskraft anstreben, wurde die sogenannte „Bau-Kaderlehre“ geschaffen. Sie dauert vier statt drei Jahre. Die Bau-Kaderlehrberufe beinhalten die Grundlagen von zwei Bau-Lehrberufen, eine vertiefte baubetriebswirtschaftliche Ausbildung sowie einen frei wählbaren technischen Schwerpunkt.

Neben der strategischen Neuausrichtung der Lehre forcierte man das E-Learning. Auf www.e-baulehre.at werden Lern-Videos, Online-Trainings und Wissens-Checks angeboten. Damit können sich Baulehrlinge auf die Lehrabschlussprüfung vorbereiten und die Lehrinhalte aus Bauakademie, Lehrbetrieb und Berufsschule vertiefen. Handwerk und Gewerbe-Funktionärin Scheichelbauer-Schuster hat für ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Bauwirtschaft in Bezug auf diese Reformen ein großes Lob parat: „Das ist ein wichtiger Meilenstein. Da kann ich nur gratulieren.“

Dennoch – da sind sich die Experten einig – mit der Reform der Lehre allein wird der Personalmangel am Bau nicht zu beseitigen sein. Wirtschaftsbund-Generalsekretär Egger setzt sich dafür ein, „Arbeitssuchende schneller in Beschäftigung zu bringen, den Zuzug für qualifizierte Mitarbeiter zu beschleunigen sowie gezielte Aus- und Fortbildungsprogramme zu fördern.“

Vor allem der Zuzug von qualifiziertem Personal aus dem Ausland ist natürlich ein politisch heißes Eisen. Es muss aus Sicht der Branche dennoch angepackt werden – insbesondere was den Zuzug aus EU-Drittstaaten betrifft. Die Hoffnungen, die man in die Rot-Weiß-Rot-Karte gesetzt hatte, haben sich am Bau bislang kaum erfüllt. Auch nach den Erleichterungen, die 2022 vorgenommen wurden. Zwar ist die Zahl der ausländischen Fachkräfte, die eine derartige Karte erhalten haben, 2023 um 19 Prozent und bis zum September 2024 erneut um 34 Prozent gestiegen. Nur ein Bruchteil der neuen Mitarbeiter*innen ist allerdings am Bau tätig. „Die Rot-Weiß-Rot-Karte muss regelmäßig an die Anforderungen des Arbeitsmarktes angepasst werden“, meint WKÖ-Vertreterin Scheichelbauer-Schuster. „„Die Rot-Weiß-Rot-Karte muss regelmäßig an die Anforderungen des Arbeitsmarktes angepasst werden“, meint WKÖ-Vertreterin Scheichelbauer-Schuster. „Ohne Rekrutierung aus den Drittstaaten werden wir nicht auskommen. Wir brauchen Menschen, die bei uns arbeiten und leben wollen. Insofern ist natürlich langfristig die Perspektive auf eine erfolgreiche – auch kulturelle – Integration wichtig.“  

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