Baustoff
Neue Liebe zum alten Beton
Nicht erst seit Corona werden die vielfältigen Möglichkeiten nachhaltiger Bauweisen wieder neu beleuchtet, wenngleich uns die Zeit im heimischen Lockdown einmal mehr zum Um- und Nachdenken anregte. Gleichzeitig werden innerhalb eines pandemischen Gesellschaftswandels zunehmend auch radikale Positionen sichtbar, welche vor der neu aufflammenden Nachhaltigkeits-Debatte auch vor der Baubranche nicht Halt machen. Hierin zeichnet sich gleichsam eine Entwicklung ab, wonach altbewährte Werkstoffe, wie etwa der Beton, zunehmend an den Rand gedrängt werden. Dies wurde in der jüngeren Vergangenheit sowohl in der Praxis als auch in die Theorie deutlich spürbar. Es wird wieder Zeit einen neuen Blick über den berühmten Tellerrand zu wagen – denn wie oft, so gilt auch hier: Die Wahrheit liegt in der Mitte.
Beton: Baustoff mit Imageproblem
Angesichts aktueller Entwicklungen mag es kaum vorstellbar erscheinen, dass Debatten rund um nachhaltige Bauweisen lange Zeit – wenn überhaupt – nur am Rande stattfanden. Dies spiegelte sich auch im Architekturstudium wider: Wer etwa Energie-Plus-Häuser in Anlehnung an Antoni Gaudí erstellte, oder modulare Utopien à la Yona Friedman entwarf, stieß bei Professor*innen häufig auf viel Widerstand. Ähnliches vollzog sich in Architekturbüros, wo Vorschläge für umweltgerechte Bauweisen aus wirtschaftlichen Gründen oftmals im Keim erstickt wurden. Dies geschah nicht etwa deswegen, weil es an Innovationskraft fehlte, sondern weil Umweltschutz in der Architektur der 2010er Jahre per se als klischeebehaftete Spielerei von linksalternativen Idealisten galt. Wenngleich Beton damals noch als Werkstoff der Zukunft gehandelt wurde, wurden die Möglichkeiten für eine Wiederverwertung desselben demgegenüber kaum thematisiert. Heute ist das zum Glück anders – doch während nun vor allem das Holz als nachhaltiger "Hightech-Rohstoff" gehandelt wird, hat sich das einst so positive Image des Betons inzwischen rapide verschlechtert. Dabei tragen die omnipräsenten Schreckensbilder trister Nachkriegsbauten und maroder Brücken noch ihr Übriges dazu bei.
Die Ressourcen werden knapp
Während nachhaltige Bauweisen allgemein stark auf dem Vormarsch sind, wird dem Beton heute kein allzu gutes Zeugnis ausgestellt: Einerseits deswegen, weil die maroden Betonmonster des Brutalismus der 1960er und 1970er Jahre heutzutage wenig zeitgemäß wirken, andererseits, weil die Betonproduktion schlichtweg zu viel Energie und Ressourcen verbraucht. "Ausgehen" wird uns der Beton wohl nicht – aber, und das ist entscheidend, er enthält Rohstoffe, die endlich sind und nicht nachwachsen: Angesichts des exponentiell ansteigenden Betonverbrauchs stoßen daher immer mehr Kieswerke an ihre Grenzen. Expert*innen rechnen damit, dass derzeit existierende Gruben bereits in zwanzig Jahren ausgeschöpft sein werden. Wenngleich Österreich auch dann noch über eine Vielzahl an Reserven im Boden verfügen wird, so müssen diese vor Aspekten des Landschafts- und Gewässerschutzes im Boden verbleiben. Um jene Ressourcen zu schonen, wird es daher unabdingbar sein, auf Alternativen zurückzugreifen und das Recycling-Potential des Betons vollständig auszuschöpfen.
Qualität vor Quantität
Beton ist nicht gleich Beton – das gilt auch im Falle von nachhaltig produziertem Betonwerkstoffen, wobei grundsätzlich zwischen zwei Varianten unterschieden wird: So wird etwa von Beton mit rezyklierten Gesteinskörnungen gesprochen, wenn dem natürlichen Gestein des Frischbetons während der Herstellung durch gebrochenen Altbeton wieder aufbereitete natürliche Gesteinskörnungen oder sogenannter Hochbau-Split zugeführt wird. Von recyceltem Beton ist immer dann die Rede, wenn Altbeton für die Herstellung von Frischbeton verwendet wird. In beiden Fällen gilt, dass für jene Werkstoffe dieselben Anforderungen gelten, wie für herkömmlichen Beton mit natürlichen Gesteinskörnungen. Das bedeutet, dass eine Trennung von Störstoffen nach dem Abbruch und eine Aufbereitung des Gesteins zwingend erforderlich sind. Nur so kann für eine optimale Beschaffenheit des Materials garantiert werden. Wenngleich jene Verfahren nicht auf der Baustelle vorgenommen werden können, derzeit noch vergleichsweise aufwändig sind und in etwa gleich viel Energie verbrauchen wie herkömmlicher Beton – so werden hierdurch bereits heute nachhaltig Ressourcen geschont.
Zwischen Theorie und Praxis
Die eher bescheidene Energie-Bilanz von nachhaltig hergestelltem Beton ist nicht der einzige Grund, weshalb dieser in Österreich lange nur in bescheidenem Ausmaß zur Anwendung kam – so galt derselbe lange Zeit als eher wenig belastbar. Ein überholtes Klischee: In den letzten Jahren konnte die materielle Qualität des Materials deutlich gesteigert werden, so weißen etwa Statistiken des Güteverband Transport Beton darauf hin, dass etwa 94 Prozent von nachhaltig hergestellten Beton über eine vergleichsweise gute Festigkeit verfüge. Ein weitaus größeres Hindernis stellt der Umstand dar, dass derzeit nur wenige Anlagen existieren, die Baurestmassen hochwertig aufbereiten können. Eine Verwendung von nachhaltig produziertem Beton wird jedoch erst dann wirtschaftlich, wenn derselbe in einem sinnvoll geographischen Umkreis bezogen werden kann – ohne dass dabei lange Transportwege nötig werden. Nicht zuletzt vor Aspekten des Umweltschutzes erscheint es wenig sinnvoll, nachhaltig hergestelltes Baumaterial kilometerweit an den Ort zu transportieren, an dem es gebracht wird. In diesem Sinne schließt nachhaltig produzierter Beton immer auch einen ganzheitlichen Kreislauf aus recycelten Rohstoffen, kürzeren Transportwegen und hoher Produktivität ein.
Potentiale neu erkennen
Laut EU-Verordnung wird ein Baustoff als nachhaltig definiert, wenn er über eine geringe Umweltauswirkung aufweist, dauerhaft und kreislauffähig ist. Wenngleich all jene Aspekte zweifellos auf den Beton zutreffen, so müssen die Potenziale des Materials in Zukunft neu ausgelotet und die Kapazitäten von modernen Aufbereitungsanlagen zusätzlich gesteigert werden, um anfallende Transportwege möglichst zu minimieren. Bereits heute gilt, dass RC-Beton per se weitaus ökologischer ist als nachwachsende Rohstoffe, da jene weiterverwendbare Ressource bereits existiert und gar nicht erst nachwachsen muss. Demnach wird nachhaltig produzierter Beton als langlebiges Zukunftsmaterial vor Aspekten der Energie und Ressourcenschonung in Zukunft einer bedeutenden Rolle zuteilwerden und zudem eine sinnvolle Ergänzung zu herkömmlichen Bauweisen bieten. In diesem Sinne wirkt ökologischer Beton der fortschreitenden globalen Erderwärmung entgegen und trägt daher jetzt schon maßgeblich dazu bei, langfristige Klimaziele zu erreichen. (dd)