Digitalisierung/Prozesse
Die große Evolution am Bau
Bescheidenheit wird überschätzt – vor allem wenn sie nicht angebracht ist. So oder so ähnlich hat sich das wohl Gerald Mies gedacht: „Als Automatisierungsspezialist treiben wir seit mehreren Jahren einen noch nie dagewesenen Evolutionsschritt der Bauindustrie“, meinte der CEO von Kuka Systems, einem international tätigen Automatisierungskonzern aus Deutschland und berichtete stolz von einem Projekt, mit dem man ein „Aushängeschild in Europa“ errichte. Markus Fuhrmann, CEO des deutsch-österreichischen Unternehmens Gropyus, sah das ganz ähnlich: Mit diesem Projekt sende man „ein branchenweites Signal“.
Das Signal wurde vernommen. Das Projekt, das die beiden Herren vor einigen Monaten präsentiert haben, sorgt im Bauwesen tatsächlich für Aufsehen. Kuka errichtet für und in Kooperation mit Gropyus bei Heilbronn in Süddeutschland eine neuartige Produktionsanlage für den Hausbau. Kuka liefert eine schlüsselfertige Fertigungsstraße mit 45 Robotern und 12 AGVs (Automated Guided Vehicles). Gropyus ist für die Steuerung der Gesamtanlage und das Produktionsmanagementsystem verantwortlich. Die Anlage ist hochautomatisiert – mit einem Grad von 87 Prozent – und vollständig digital integriert. Bis Ende 2024 soll sie ihre volle Produktionskapazität von 3.500 Wohnungen pro Jahr mit einer Bruttogeschossfläche von 240.000 m² erreichen.
Gropyus wurde erst 2019 gegründet. Das junge Unternehmen beschäftigt rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Standorten in Deutschland und in Österreich. Das Headquarter befindet sich in Wien. Gropyus zählt sich selbst zu den sogenannten „Proptechs“, also Unternehmen aus der Immo- und Bauwirtschaft, die auf neue Technologien und Digitalisierung setzen – und auf neue Prozesse und Geschäftsmodelle. „Wir sind von einem neuen Grundgedanken ausgegangen“, meint Co-Founder Bernd Oswald, der für Business Development und M&A verantwortlich ist. „Wir verstehen ein Gebäude nicht als Projekt, sondern als Produkt. Wir haben uns daher folgende Frage gestellt: Wie können wir unser Produkt auf die effizienteste und nachhaltigste Weise so herstellen, wie es der Kunde haben will“, erläutert Oswald.
Die Antwort auf diese Frage viel radikal aus: Gropyus übernimmt das Management für die gesamte Wertschöpfungskette eines Gebäudes – von der Planung, über die Produktion der Bauteile und der Montage auf der Baustelle bis hin zum Facility Management. „Wir setzen auf einen durchintegrierten und digitalisierten End-to-End-Prozess. Das unterscheidet uns fundamental von der üblichen Herangehensweise“, so Oswald. An einem Bauprojekt sei üblicherweise eine Vielzahl von Playern beteiligt. Ob Bauherr, Planer, ausführende Unternehmen oder Subunternehmen: „Jeder von ihnen hat ein anderes Interesse und trotzdem sollen sie ein gemeinsames Gebäude errichten. Es liegt auf der Hand, dass das nicht der effizienteste Ansatz sein kann.“
Viele Vorteile
Der Ansatz von Gropyus basiert unter anderem auf Standardisierung und serieller Vorfertigung von zweidimensionalen Modulen, also Wand- und Deckenelementen sowie dem Dach. Der hauseigene Architekt verwendet bei der Planung eines Wohngebäudes den von Gropyus selbst entwickelten „Konfigurator“. In diesen gibt er die Daten des Grundstücks und den gewünschten Wohnungsmix ein. Damit macht sich der Konfigurator an die Arbeit. Dabei greift er auf einen „Bauteilkatalog“ zu, in dem jedes Teil, das für den Bau notwendig ist, aufgelistet ist. Das Ergebnis sind ein fertiger Entwurf und umfangreiche weitere Informationen: „Das System errechnet auch die Daten für die Robotersteuerung in der Produktion, komplette Stücklisten und Kosten, Fertigungszeiten sowie den Carbon Footprint und es erstellt die Montagepläne“, schildert Oswald.
Planung und Produktion sind zudem eng miteinander verzahnt. Daten aus der Fertigung fließen wieder zurück an die Planung. So optimiert sich das System laufend. „Im Plan wurden für eine Wand eine bestimmte Größe und Gewicht definiert. Jetzt merkt das System, dass das Gewicht für die Förderung in der Produktion problematisch ist“ schildert Oswald ein Beispiel. „Das System optimiert nun automatisch Fördergeschwindigkeit, um den Output zu maximieren und liefert auch die notwendigen Datenpunkte, um das Bausystem für zukünftige Projekte anzupassen – damit auch dort der Output maximiert und die Kosten minimiert werden.“
Das Unternehmen verspricht seinen Kunden große Vorteile. Dabei verweist es auf das erste realisierte Projekt, ein Wohngebäude mit 54 Einheiten im deutschen Weißenthurm, das im Mai 2022 in Betrieb genommen wurde. Das Gebäude emittiert laut Gropyus über den kompletten Lebenszyklus bis zu 95 Prozent weniger Treibhausgase im Vergleich zu den Referenzwerten nach der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) und dem Deutschen Gebäudeenergiegesetz (GEG). „Es ist im Betrieb energiepositiv“, so Oswald. „Die Kosten liegen auf dem Niveau von Standardgebäuden. Die Bauzeit ist aber um die Hälfte kürzer. Das senkt bei hohen Zinsen die Finanzierungskosten beträchtlich.“ Der Gropyus-Manager ist daher zuversichtlich, dass man die ambitionierten Ziele auch erreichen wird: „Wir arbeiten derzeit an rund 50 Projekten. Die Produktion ist für das laufende Jahr bereits ausgelastet.“