Another friendly Alien is landing
Mit der Fertigstellung des Argos im aktuellen Jahr entsteht nicht nur ein weiteres Architekturhighlight in Graz, sondern es wird auch die bewegende Geschichte zur Entstehung dieses Bauprojekts abgeschlossen. Denn der Abbruch des Vorgängerbaus, ein Biedermeierhaus (1785–1839), das unter dem Namen Kommod-Haus bekannt war und zwei sehr beliebte Lokale beherbergte, erfolgte ausgerechnet im Grazer Kulturhauptstadtjahr 2003 unter teilweise heftigen Bürgerprotesten und Medienecho.
Im Dezember 2004 wurde schließlich ein durchwegs prominent besetztes, geladenes Gutachterverfahren unter zwölf Teilnehmern – Zaha Hadid Architects, Erich Bernard (BMW), Coop Himmelb(l)au, Dietmar Feichtinger, Volker Giencke, Henke und Schreieck, Innocad, Kreutzer&Krisper, Hrvoje Njiric, Peter Reitmayr, Ernst Giselbrecht und Klaus Kada – ausgelobt, bei dem das Projekt von Zaha Hadid als Sieger hervorging. Der Wettbewerb und sein Ergebnis wurden damals in der Grazer Architekturszene genauso kontrovers diskutiert wie im Jahr 2000 der Wettbewerb für das Kunsthaus von Peter Cook und Colin Fournier. Infolgedessen verzögerte sich der Baustart aufgrund rechtlicher Auseinandersetzungen immer wieder, sodass zuletzt kaum noch jemand an eine Projektumsetzung glaubte – bis zum erfolgten Spatenstich im November 2015.
Der Entwurf
Während die ursprüngliche Nutzung des Objekts als Boardinghouse, ein Apartmenthotel für Langzeitgäste mit 22 servicierten Mietapartments von zirka 30 bis 80 Quadratmetern beibehalten wurde, ist kein Gastronomiebetrieb mehr geplant. Vielmehr werden im Erdgeschoß eine Lobby und eine Geschäftsfläche von etwa 150 Quadratmetern sowie im ersten Obergeschoß Büros im Ausmaß von zirka 300 Quadratmetern entstehen. Das servicierte Wohnen ist für Geschäftsleute, Firmenkunden, aber auch für Privatreisende mit kürzerem bis längerem Aufenthalt konzipiert, die individuelle Packages und Serviceleistungen in Anspruch nehmen möchten. Das Angebot beinhaltet u. a. Concierge-, Reinigungs- und Wäscheservice sowie Mietauto, Shuttle-Service vom/zum Flughafen oder Organisation von Theater- oder Opernkarten. Die designten Apartments, die sich vom zweiten bis zum siebenten Obergeschoß erstrecken, verfügen über einen hohen Ausstattungsstandard, sind voll möbliert und wie normale Wohnungen auch mit Kleinküchen ausgestattet.
Im Erdgeschoß sind außerdem zwei Pkw-Parkflächen untergebracht. Zusätzliche Abstellflächen und die Haustechnik sind im Untergeschoß angeordnet, wo auch ein während der Bauphase entdeckter Rest der alten Stadtmauer erhalten werden konnte. Die Eckbebauung an der Kreuzung Burggasse/Einspinnergasse bildet einen kleinen Innenhof aus und belichtet damit das Stiegenhaus sowie über Oberlichten zusätzlich einige der größeren Apartments.
Die papyrusweiße Fassade gliedert sich klassisch mittels einer zweigeschoßigen Sockelzone, die durch eine nach unten und nach innen geneigte, zurückgesetzte rahmenlose Structural-Glazing-Fassade (SG) das darüberliegende fünfgeschoßige Wohngeschoß schwebend erscheinen lässt. Die Glasfront setzt sich zu den Nachbargebäuden durch eine Schattenfuge ab. Durch die Schrägstellung der Fassade wird zudem der Reflexionsgrad minimiert. Die Betonung der Gebäudeecke wird nochmals erhöht, da im Bereich des Anschlusses zu den Dachebenen der beiden Nachbargebäude die Fassade im Bereich der Einspinnergasse in dieselbe Dachneigung übergeführt wird und auf der Seite der Burggasse zurückspringt. Im Vergleich zum ursprünglichen Wettbewerbsbeitrag wurde auf eine durchgehende Absetzung zu den Nachbargebäuden verzichtet und die Fassade in ihrer Höhenentwicklung und Tiefenwirkung differenzierter weiterentwickelt sowie der Glasanteil verringert. Die sogenannten „Argos eyes“ – unterschiedlich nach außen ausgerichtete trichterförmige „Bubbles“ –, die als Erker oder Loggien die Innenräume erweitern, strukturieren die Fassade. Sie sind eine Anspielung auf das mythologische Ungeheuer Argos, das mit seinen unzähligen Augen nun in und über die Stadt blicken soll.
Konstruktion
Die Bubbles wurden standardisiert, sie sind als Fertigteile mit regionalen Firmen speziell für das Projekt entwickelt worden und werden in zwei Stufen montiert. Auf der in Ortbeton errichteten Tragkonstruktion wird zuerst die Unterkonstruktion aus Brettschichtholz montiert. Die Außenhülle ist aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) im Negativgussverfahren hergestellt und wird mit Dämmung und Hinterlüftungsebene nach Einbau der rahmenlosen, zurückversetzten SG-Fensterflächen aufgebracht. Die dahinterliegende Hauptfassadenebene wird konventionell durch ein Wärmedämmverbundsystem mit glatter Oberfläche hergestellt. Der Innenausbau mit seinen zahlreichen Rundungen erfolgt größtenteils in Trockenbauweise aus Gipskartonplatten. Der Entwurf musste auch den bautechnischen, bauphysikalischen und gesetzlichen Änderungen entsprechend, die mit Einführung der OIB-Richtlinien einhergingen, adaptiert werden. Es wurde aber kein Niedrig- oder Passivhausstandard angestrebt. Das Bauwerk mit rund 10 Mio. Euro Baukosten und einer Nutzfläche von 1.950 Quadratmetern wird an das Fernwärmenetz angeschlossen, das Flachdach als Gründach ausgeführt.
Für die technische Ausführung vor Ort sowie Detail- und Einrichtungsplanung zeichnet Architekt Martin Cserni verantwortlich, während Zaha Hadid Architects mit der künstlerischen Oberleitung für die Außen- sowie Innenebene der Fassade beauftragt sind.
Der ungewöhnliche Zugang zur Architektur korrespondiert in seiner Opulenz mit den historischen Stadtfassaden und mit der in unmittelbarer Sichtachse stehenden Oper respektive knüpft in seiner Tradition wohl auch an die Grazer Schule an. Genau das aber irritiert, da wir aufwendige Fassadengestaltungen in den vergangenen Jahrzehnten des Pragmatismus und der Kosteneffizienz eigentlich nicht mehr gewohnt waren. Schade ist lediglich, das sich daraus keine neue innovative Wohnform bzw. Grundrisstypologie entwickelt – die der Wohnbau in der Steiermark aber bitter notwendig hätte.
Im umfangreichen Œuvre von Zaha Hadid gehört das gerade in Graz realisierte Argos-Gebäude zu den Kleinstprojekten, das in seiner Formensprache trotz des frühen Entwurfs aus dem Jahr 2004 einzigartig geblieben ist. Es gibt kein weiteres Projekt, das Fassadenelemente in ähnlicher Form thematisiert. Zeitlich fällt dieser Entwurf mit der Bergiselschanze in Innsbruck (2003) und der Wohnanlage an der Spittelauer Lände in Wien (2004–06) zusammen und steht damit sicherlich stilistisch noch am Anfang der Entwicklung jener Architektursprache, für die Zaha Hadid heute bekannt ist.