Bauen für eine ungewisse Zukunft

Nachhaltiges Bauen
09.04.2018

Von: Redaktion Architektur & Bau Forum
Angesichts des anhaltenden Klimawandels gewinnt das Konzept der Resilienz – verstanden als Widerstands- und Entwicklungsfähigkeit, ermöglicht durch Robustheit sowie Flexibilität – auch für das Bauwesen zunehmend an Attraktivität.  
Water Square Benthemplein, Rotterdam
Water Square Benthemplein, Rotterdam

Konfrontiert mit einer Klimaentwicklung, die vor allem durch starke Veränderungen, wie Temperaturanstieg oder einer zunehmenden Anzahl von Extremwetterereignissen, geprägt ist, werden auch die Rufe nach entsprechend entwicklungsfähigen Strukturen in Architektur und Städtebau immer lauter. Die Auseinandersetzung mit Resilienz ist dabei nicht nur eine kulturelle Frage, sondern zugleich eine profunde Chance für den Planungsprozess.

Handeln anstatt reagieren
In Zeiten abnehmender Planungssicherheit und sich verstärkender Forderungen nach  Sicherheit ermöglicht resilientes Bauen mit Blick auf Gebäude, Infrastruktur und Grünraum nicht zuletzt auch ein langlebiges Bauen mit erhöhter wirtschaftlicher Nutzungsdauer. Davon zeugen bereits jetzt internationale Best-Practice-Beispiele in den Bereichen Siedlungswasserbau, dezentrale Energieversorgung und klimasensitives Bauen.
Und es geht dabei um weit mehr als um Katastrophenschutz. Die Auseinandersetzung mit Resilienz bedeutet auch keine Ausrede, den Klimawandel nicht mehr zu bekämpfen – vielmehr stellt sie kreatives Planen und Handeln statt Reaktion in den Vordergrund. Resilienz steht mittlerweile bereits in zahlreichen Disziplinen auf der Agenda und hat dabei zunehmend den Begriff der Nachhaltigkeit und konkret in der Baubranche den Schwerpunkt klimasensitives Bauen abgelöst. 
Welche Impulse das Konzept der Resilienz für eine zukunftsfähige Entwicklung in Architektur und Städtebau liefert und wie sich Lösungen für resilientes Bauen nicht nur technisch, sondern auch gestalterisch umsetzen lassen das hatte eine Podiumsdiskussion zum Fokus, die Mitte März der Ausschuss für nachhaltiges Bauen der Bundeskamme der Ziviltechniker Arch+Ing zum Thema hatte. Unter der Moderation der Wiener Architekturpublizistin Franziska Leeb diskutierten im Erste Bank Campus Vertreter aus den Bereichen Klimaforschung, Risikoabwicklung, Landschafts- und Regionalplanung sowie Siedlungswesen. 

Zwischen Anpassung und Transformation
Eine Einführung in den Begriff der Resilienz bot Robert Lukesch (ÖAR-Regionalberatung GmbH), der den Begriff zwischen Wandelbarkeit, im Sinne von Anpassung und Transformation, und Widerstandskraft aufgespannt sieht. Der Begriff Widerständigkeit bedeutet hier für ihn, dass etwas nicht einfach nur robust ist, sondern auch im lädierten Zustand noch funktioniert. Für Lukesch existiert Resilienz nicht in einer absoluten Form. Resilienz sei eine Eigenschaft komplexer Systeme, weswegen ein Gebäude (als Artefakt) nur in der Betrachtung seines Funktionszusammenhangs und über den gesamten Lebenszyklus als – möglicherweise – resilientes System bezeichnet werden könne. Er verweist in dem Zusammenhang auf den Rotterdamer Benthemplein (siehe Artikelbild), der ein gelungenes urbanes Gefüge darstelle. Weiters stelle sich generell die Frage, wogegen etwas resilient ist. Lukesch plädiert hier für eine umfassende Betrachtungsweise – je spezifischer Resilienz formuliert wird, desto mehr gehe der Charakter des Begriffs verloren. Resilienz ließe sich aber nicht auf Risikovorsorge reduzieren. Es hat eine umfassendere Bedeutung, die auch Risiken miteinschließt, die wir teilweise noch nicht einmal kennen. Die Frage, die sich für den Vortragenden stellt, ist: "Woran erkennt man ein resilienteres System, wenn man gar nicht genau weiß, wogegen es resilient sein soll?" Lukesch meint, dass man Hinweise dafür in den Systemeigenschaften findet: Er geht davon aus, dass eine Kombination von Diversität, Modularität und Reflexivität auf hohem Niveau auf Resilienz schließen lässt.

Zunehmender Handlungsbedarf
Douglas Maraun vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz gab einen Überblick über die erwartbaren Klimaentwicklungen bei unveränderten Maßnahmen und unterstreicht damit den zunehmenden Handlungsbedarf im Bereich des zukunftsfähigen Bauens. Falls keine weiteren Klimaschutzmaßnahmen getroffen würden, bliebe es bei einem Temperaturanstieg um 4 Grad, was in Österreich deutlich mehr Hitzetage und eine Verdoppelung der Kühlgradtage zur Folge hätte. 
Zudem resultiere daraus eine Niederschlagsverteilung, die saisonal und regional sehr unterschiedlich ausfalle: während es in Nordeuropa immer feuchter werde, zeichne sich für Südeuropa eine zunehmende Trockenheit ab. Österreich liege dabei in einer Übergangszone: die Winter hier werden feuchter, die Sommer bleiben unverändert oder werden tendenziell trockener. Insgesamt zeichne sich eine Erhöhung der Niederschlagsintensität mit einem Anstieg an Starkregenereignissen ab.

Erhöhtes Risiko
Einen Einblick in die Tätigkeit eines international tätigen Risikoanalysten und -beraters gab Torsten Weth (Axa Matrix Risk Consultants Deutschland). Er verwies auf die deutlich geänderten Rahmenbedingungen für Versicherer weltweit, der Klimawandel sei bei diesen eindeutig angekommen. Für ihn seien Versicherungsunternehmen quasi die Barometer des Klimawandels, denn klimabedingte Schäden haben weltweit stark zugenommen – durch immer extremere Wetterbedingungen seien auch die Schäden immer größer. Die Versicherer selbst schränken in Folge ihren Versicherungsschutz partiell ein bzw. fordern höhere Prämien. Als größte Probleme sieht er Normen und Regelwerke, die nicht im vollen Ausmaß den lokalen Gegebenheiten angepasst sind, fehlendes Risikobewusstsein sowie unsachgemäße Ausführung. Die vorgestellten Maßnahmen der vertretenen PlanerInnen stimmten ihn aber optimistisch, denn  Versicherer brauchen Verlässlichkeit in der Planung, schon weil sie selbst nicht unbedingt Anstöße liefern können – dafür sei aber die Motivation, eingebunden zu werden, durchaus vorhanden, schon im Sinne der Risikominimierung.

Auf dem Weg zum Klischee
Landschaftsplaner Thomas Proksch (Büro LAND IN SICHT, Ingenieurkonsulent für Landschaftsplanung und Landschaftspflege) wiederum merkte an, dass in der gegenwärtigen Diskussion des Begriffs Resilienz Vereinfachungen überwiegen. Resilienz sei mittlerweile zu einem konsumtiven Klischeebegriff geworden. Selbst bei tiefgreifenden strukturellen Änderungen und kurzfristigen gegensteuernden Maßnahmen blieben die Herausforderungen im Umweltsektor, die zudem weit über die Problematiken des Klimawandels hinausgehen, noch jahrzehntelang bestehen. Er plädiert vielmehr für eine verstärkte Hinwendung zur Frage, wie wir allgemein mit natürlichen Ressourcen umgehen und zeigte anhand ausgewählter Beispielen aus der eigenen Praxis, wie vernünftiges Planen zu optimierten Lösungen führe - so zum Beispiel durch innovative Konzepte am Sektor des Urban Minings oder nachhaltige Be- und Entwässerungskonzepte. Dabei sei es häufig nötig, so Proksch, an die Grenzen von Normen und Baurechtsvorschriften zu gehen, um im kreativen Ausnutzen von Spielräumen zum Systemoptimierer werden zu können. Dass dies eine Rolle sei, die verstärkt den Planerlnnen zufalle, machte er an dem Umstand deutlich, dass der Staat als „Vertreter des Gemeinwohls“ dem Anspruch, Resilienz zu ermöglichen, immer weniger nachkomme und diese Aufgabe dem freien Markt überantwortet. Hier werde resilientes Bauen in der Regel nur dort möglich wird, wo volkswirtschaftliche Logiken auch konkreten betriebswirtschaftlichen Nutzen für InvestorInnen und BauträgerInnen abwerfen. Dabei sei ein Paradigmenwechsel unbedingt notwendig, damit die Aufgaben, die an Planerlnnen gerichtet werden, lösbar blieben und der Anspruch resilienten Bauens nicht auf der Ebene symbolhafter Maßnahmen und grüner Fassadenoptik stecken bleibt.  

Die Klimakrise bewältigen
Für Florin Florineth (Universität für Bodenkultur Wien) ist resilientes Bauen das Mittel, um die Zukunft ein bisschen weniger ungewiss zu gestalten, schließlich könne es entscheidend zur Bewältigung der Klimakrise beitragen. Beispiele hierfür wären, mehr Grün in die Siedlungsgebiete zu bringen, um nicht nur die Lebensqualität zu verbessern, sondern auch Wasser und Staub zurückzuhalten sowie neue Konzepte der Wasserspeicherung weiterzuentwickeln, was einem Plädoyer für die Entsiegelung gleichkommt. Oft würden bereits kleine, überschaubare Maßnahmen, wie die Aufweitung von Fließgewässern und die Revitalisierung der Uferzonen, viel zum Schutz der Bebauung und damit der Bevölkerung beitragen. 
Gleiches gelte für vorbeugende Anpflanzungen im alpinen Raum durch tiefwurzelnde Bäume, wobei man sich hier auch einen Effekt des Klimawandels zunutze machen kann: denn nun seien Wiederaufforstungen auch in deutlich höheren Lagen möglich. Ebenso wie Thomas Proksch sprach sich auch Florineth gegen die Anwendung von „scheingrünen“ Lösungen aus – ein Wandel in den planerischen Zugängen sei unbedingt notwendig.

In der wie immer engagierten Publikumsdiskussion  wurde ein  Paradigmenwechsel in der Raumplanung gefordert und die Frage diskutiert, ob über die technischen Umsetzungen hinaus der Fokus nicht auch auf den zusätzlichen Mehrwert zu richten sei. Es herrschte Einigkeit darüber, dass bisher ein eher pragmatischer Ansatz überwiege. Um Fehlern vorzubeugen und Transparenz über frühere Fehler zu schaffen, solle in der Branche mehr Mut aufgebracht werden, um den Bürger ein Mitspracherecht zu geben. Durch einen verstärkt basisdemokratischen  Ansatz werde auch das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für ein Bauen, das den Klimaschutz unterstützt, gefördert.

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