Baufeld J12 Aspern: Atemlos | Regina Freimüller-Söllinger
Der geladene Wettbewerb für das Baufeld J12 mit einer Grundstücksfläche von knapp 7.000 Quadratmetern wurde im Mai 2015 ausgeschrieben. Nur eineinhalb Monate Zeit gab es für die Abgabe des Wettbewerbsprojekts. Bereits zwei Wochen danach wurde der Auftrag vergeben, nach einem Monat lag der Vorentwurf vor, nach einem weiteren Monat der Entwurf und zwei Monate später musste die Einreichung fertig sein. Die einzelnen Phasen wurden in Präsentationen dem Aspern-Beirat, der zugleich Jury war und die Entwicklung begleitete, vorgelegt. Für das fünfköpfige Planerteam begann also eine Zeit ohne Freizeit, an das Anlegen einer BIM-Datenbank war nicht zu denken. Dem Baubeginn 2016 folgte die Dachgleiche im Juni 2017. Ende des Jahres, nach nur eineinhalb Jahren, wird der Bau termingerecht fertig sein. Das ist auch der guten Zusammenarbeit des Architektenteams mit der Baufirma, insbesondere dem Bauleiter Torsten Arrich, und dem Generalplaner zu verdanken. Auf die hochkarätige Besetzung des Beirats mit Fachleuten ist es laut Freimüller-Söllinger auch zurückzuführen, dass ihr Wettbewerbsentwurf ohne zeitraubende Renderings gewinnen konnte. Die gesparte Zeit investierte die Architektin lieber in die städtebauliche Ausarbeitung des Projekts.
Anordnung der Kubaturen
Der Flächenwidmung aller Aspern-Bauareale liegen die von Architekt Rüdiger Lainer ausgearbeiteten Kubaturen zugrunde. Jedes Baufeld ist ein Strukturgebiet mit exakt vorgeschriebenen bebaubaren Flächen und Kubaturen, maximalen Hochpunkten (hier 35 Meter), verschiedenen Öffnungen und einer Baufluchtlinie, innerhalb der man jedoch frei verteilen kann. Die Architektin entschied sich, das maximal erlaubte Volumen zugunsten einer differenzierten Höhenstaffelung und damit besseren Lesbarkeit der einzelnen Gebäude nicht voll auszuschöpfen.
Verteilung der Nutzungen
Das Areal liegt südlich des Sees und fußläufig nahe der U-Bahn-Station zwischen der Sonnenallee und dem Simone-de-Beauvoir-Platz. Der Platz für die Marktgarage wurde durch jene des Wohnheims ausgetauscht, das somit die prominente Ecklage erhielt und deren zwei Stirnhäuser nun einen Zugang von der Sonnenallee erhielten, einen zum Kapillargässchen und zwei weitere Zugänge zum Garten. Der Platz und die Allee sollen durch viele Eingänge in Zukunft zu öffentlichkeitswirksamen und nutzungsoffenen Räumen belebt werden. Die Garage ist als Hochgarage mit 300 Stellplätzen konzipiert. Sie bedient auch die angrenzenden Quartiere. Die hohen zweigeschoßigen Bögen mit einer Tiefe von sechs Metern entstammen dem Vokabular für Markthallen und laden zu multifunktionalen Nutzungen ein. Hier wird etwa das Quartiersmanagement von Aspern einziehen. Die Stadtwohnhäuser wiederum sind entlang der Fußgängerzone angeordnet. Ihre Qualität liegt in den Öffnungen zur Hofoase und in den Weitsichten in die urbanen Freiräume.
Vertikale Stadthäuser
Im Zentrum der städtebaulichen Idee stand die Auflösung der massiven Kubaturen, die bei den rundum sichtbaren Silhouetten der Gebäude durch durchgehende horizontale Linien an den Oberkanten zu Monotonie und Ermüdung des Auges führen. Die Architektin löste diese in Einzelkubaturen mit unterschiedlichen Höhen zu einem „menschlichen Maß“ auf. Durch das leichte Verschieben der einzelnen Baukörper zueinander entstanden sechs Einzelhäuser mit jeweils einem eigenen Stiegenhaus und Eingang. Es gibt Stiegenhausgemeinschaften; die Abtreppungen rhythmisieren die Gebäude, es entstehen wohltuende Ecken, Vor- und Rücksprünge. Verstärkt wird dies optisch durch die Farbgebung, die Vorderflächen in einem angenehmen Grau, die Rücksprünge in Weiß. Auch in der Vertikalität sind die Gebäude gut lesbar. Die unterschiedlich großen Fenster sind mit weißer Farbe umrahmt, sie erscheinen vergrößert und gliedern die Fassade. Monumentalität wird auch durch das Herunterziehen der Türen und Fenster der Erdgeschoßzone bis zur Straßenfläche vermieden, die Verbindung vom Innen- zum Außenraum wird betont. Die Raumhöhe dieser Zone beträgt vier und sechs Meter und erlaubt daher vielfältige Nutzungen. Durch den erhöhten Glasanteil dieser Zone gewinnt diese an Helligkeit und Attraktivität, was auch bereits zu regem Interesse potenzieller Nutzer führte. Die Gestaltungsmöglichkeiten für Architekten sind minimal, die Vorgaben für das Verhältnis von Zimmern, Erschließung und Wohnungstypen sind rigide und daher eine ziemliche Herausforderung. Um wirtschaftlich bauen zu können, muss in Regelgeschoßen geplant werden, wobei die Architektin durch kluge Verteilung der Grundrisse nicht nur alle erforderlichen Typen (A, B, C, D) in einem Geschoß unterbrachte, sondern eine erfreuliche Vielfalt von durchgesteckten und einseitig orientierten Wohnungen schuf, die allesamt Balkone und verblüffend variierte und reizvolle Grundrisse aufweisen. Durch den Zwang zur Sparsamkeit ist der Einsatz von Materialien beschränkt. Dieser Mangel wird durch die kreative Verwendung von Farbcodes und geschickter Lichtführung ausgeglichen. Jeder Gang führt zum Licht, bei den Wohnbauten werden farbige Muster aus alten, in einer Salzburger Klosterschule gefundenen Walzen zur Differenzierung und Emotionalisierung eingesetzt.
Wohnheim für Studierende
Das Wohnhaus für Studierende verfügt ebenfalls über großzügige Nutzungsangebote für das gemeinschaftliche Miteinander wie Veranstaltungsräume, Fitnessraum, Teeküchen, Waschräume und eine Fahrradgarage. Auch hier gibt es einen Farbcode und ein ausgeklügeltes Leitsystem, das die Orientierung erleichtert. Es gibt keine weißen Wände in den Zimmern, sowohl die Möbel als auch die Wände sind in einem sanften Grau, einzelne Möbelteile farbig akzentuiert. Die Möbel sind minimalistisch und praktisch. Die einzelnen Module ruhen auf Rädern und sind selbst bei kleinen Raumgrößen größtmöglich individuell und flexibel kombinierbar. Die Architektin erarbeitete aufgrund eines Missverständnisses ein umfangreiches Konzept für alle temporären Wohnformen. Diese Fleißaufgabe führte bei der Präsentation zu solcher Begeisterung, sodass das Konzept von der ÖSW von nun an bei zukünftigen temporären Bauten zum Einsatz kommen wird.
Marktgarage
Die Marktgarage musste durch die mit ihren Bögen vielfältig nutzbare Erdgeschoßzone teilweise als „Tiefgarage“ geplant werden, ein Muss aufgrund der hohen Auflagen für Lüftungsanlagen oder Brandschutz. Die Bögen im Sockelbereich sind verglast, die oberste Parkebene wird je nach Erfordernis durch Solarbäume teilweise mit einem Gründach versehen.
Die Grüne Hofoase
Wohltuend ist auch die unversiegelte Mitte des Freiraums, der ohne künstliche Hügel und anderem Schnickschnack auskommt. Landschaftsarchitektin Carla Lo wird diesen wohltuend als Ruheoase ebenerdig und mit vielen Bäumen gestalten. Er soll in Kombination mit den begrünten Dachterrassen ein angenehmes Mikroklima schaffen und darf von allen Bewohnern genutzt werden.