Der Hof ist ein Haus ist ein Hof
Derzeit entsteht in Steyr nach den Plänen von Hertl.Architekten ein einzigartiger „Ort des Seins" an den Ufern der Enns – Kulturraum, Sommerhaus, Lebensbühne, Stadtoase.

Es war Liebe auf den zehnten Blick”, erzählt Gernot Hertl, Architekt und Bauherr eines einzigartigen Ensembles, bei dem die Grenzen zwischen Raum und Landschaft, zwischen innen und außen, zwischen historischer und zeitgenössischer Architektur scheinbar mühelos ineinanderfließen. Er nennt es schlicht das „Gartenhaus”.
Kaum einen Steinwurf entfernt von seinem Arbeits- und Wohnort in Steyrs goldenem Turm, dem „Süd-pool” (ebenfalls von Hertl.Architekten), stand an der steil zum Ufer der Enns abfallenden Geländekante ein desolates und nichtssagendes Gebäude seit Jahrzehnten leer. Die Stadt Steyr, der das Gebäude gehörte, wusste auch nicht so recht, was sie mit der Liegenschaft anfangen sollte. Zu steil und zu schmal schien das Grundstück für eine wirtschaftliche Verwertung. Drei Geschoße hoch ragt der kastenartige Altbau vom Uferweg an der Enns im Norden bis hinauf zur Straßen- und Eingangsebene im Süden. Zwischen beiden Erschließ-ungswegen spannt sich ein schmales Grundstück auf. Die östliche Grundstückshälfte wird beinahe vollständig vom bestehenden Gebäudeumriss eingenommen. Auf der westlichen Grundstückshälfte waren über die Jahre stattliche Bäume emporgewachsen – verschattet durch eine geschoßhohe Hangmauer, die das Wäldchen vom Straßenniveau im Süden trennt.
Ort des Seins
Immer wieder war Gernot Hertl an der Liegenschaft vorbeispaziert. Die Enge, die Steilheit, aber auch die schwierige Belichtungssituation am Nordhang wirkten zunächst abschreckend. Aber je öfter er sich dort umsah, desto mehr erkannte er das verborgene Potenzial, das in der Liegenschaft schlummerte: der freie Ausblick auf das smaragdgrüne Wasser der Enns, das immer andere Lichtstimmungen reflektiert. Die Lage unmittelbar am Flussufer und doch in der Stadt. Der schöne Altbaum-bestand, der im Sommer Kühle und Schatten spendet. Eigentlich suchte die Familie nur ein Gartenhäuschen auf dem Land, um im Sommer mit den Kindern Zeit im Grünen verbringen zu können – als Ausgleich zum urbanen Wohnen im Hochhaus.
Aber Gernot Hertl liebt die Herausforderung, Besonderes zu schaffen, und so entschied er sich, die Liegenschaft an der Enns von der Stadt zu erwerben. Sein Plan war ebenso einfach wie genial und mit Sicherheit absolut unorthodox. Statt Nutzflächenmaximierung erfolgte eine radikale Reduktion. Er begann zunächst Dach und Decken abzutragen, um den Altbau komplett zu entkernen und auszuhöhlen. Das Kellergewölbe wurde erhalten. Am Ende blieben nur die Außenmauern des Bestandsgebäudes stehen, die nun über zwei Geschoße einen großzügigen, von oben lichtdurchfluteten Innenhof umschließen. Aus statischen Überlegungen wurden diese alten Mauern durch einen zirka zwei Meter hohen Sichtbetonrost ergänzt.
Geschichten erzählen
„Wenn man beginnt, den Putz abzuschlagen, beginnt das Gebäude Geschichten zu erzählen”, berichtet Gernot Hertl. Also wurden die alten Mauern komplett vom Putz befreit und verwandelten sich so zu lebendigen, abwechslungs-reich strukturierten Flächen. Die ersten Gebäudeteile gehen auf die Mitte des 17. Jahrhunderts zurück. Später wurde im Osten und Westen dazugebaut und das Gebäude auf die heutige Dimension vergrößert. Verbaut wurde, was vor Ort vorhanden war. So bestehen die Mauern des Untergeschoßes aus Bruchsteinmauerwerk aus dem Sandstein der Enns, ergänzt durch Findlinge aus dem Flussbett. Im Obergeschoß hatte man hingegen Ziegel vermauert. In mühevoller Kleinarbeit wurden die alten Mauern durch den Bauherrn nun selbst verfugt, um die Lebendigkeit der Mauern zu erhalten. Ein Teil der Lehmziegel aus dem Abbruch wurde auch als Zuschlagsstoff für den Mörtel eingesetzt.
Die historische Hüllmauer wird durch einen schlichten Sichtbetonkörper – dem „Gartenhaus” – im Norden und Süden durchdrungen. Dieses überragt auch den umlaufenden Betonrost um ein gutes halbes Geschoß. Keine Dämmung, keine vorgesetzte Fassade – purer Beton, der nur sparsam durch in der Größe variierende, quadratische Fensteröffnungen durchbrochen wird. Und nur dort, wo dies besondere Sichtbezüge erfordern.
Schlichte Nutzungsvielfalt
Durch das Einschieben des neuen Gartenhauses wurde der Hofraum zweigeteilt. Im Westen entstand ein großzügiger, nach oben offener Hof – eine Piazza mit gestockter Betonoberfläche. An drei Seiten vom historischen Gemäuer umrahmt, das nur zum westlichen Wäldchen hin eine schlanke, hohe Öffnung aufweist. In dieser Ecke wurde ein Baum gesetzt, denn „ein Hof ohne Baum ist kein Hof” ist Hertl überzeugt. Um den dafür notwendigen Erdkörper zu ermöglichen, wurde ein Teil des darunter befindlichen Kellers geopfert. Östlich wird dieser Hof im Obergeschoß durch die Betonfassade des neuen Gartenhauses begrenzt, während sich im Untergeschoß der Veranstaltungs- und Galerieraum durch eine raumhohe Glasfassade zum Hof hin öffnet. Mit Kochzeile, großem Tisch und Sichtbetonkamin. So können künftig Hof und Veranstaltungsraum auch für Vernissagen, Lesungen, Konzerte und andere kulturelle Veranstalt-ungen gemietet, aber auch als Präsentationsraum für Hertl.Architekten genutzt werden. Eine einzigartige und inspirierende Location, die das kulturelle Leben wohl auch überregional beleben wird. In diesem Kontext ist auch die geplante, künstlerische Intervention an der Nordwand zu sehen, für die der in Berlin lebende Künstler Robert Gschwandner gewonnen werden konnte. Nur dort, wo im Norden das neue Gartenhaus die alte Hülle erkerartig durchdringt, ist auch ein Blickbezug nach außen auf den wunderbaren Flusslauf der Enns möglich.
Der zweite, kleinere Hofraum spannt sich östlich zwischen eingefügtem Gartenhaus und der historischen Hüllmauer auf. Er ist mit einem Glasdach versehen und erweitert so den Veranstaltungsraum. In diesem Hof ist auch die neue Stiege vom unteren Hofniveau zum oberen, privaten Wohngeschoß integriert. Die zweigeschoßige Betonwand, welche die Stiege vom Veranstaltungsraum trennt, kann als Hängefläche für Ausstellungen genutzt werden und ist im oberen Bereich durch eine Vielzahl an rechteckigen Stahlrohrprofilen perforiert, die so das Licht gefiltert in den Stiegenraum bringen. Dies ist als Zitat des alten Mauerwerks zu sehen, quasi eine Verdoppelung, um dahinter die Stiege zu verstecken.
Inszenierung und Inspiration
Das Obergeschoß ist der privaten Nutzung als Sommer- und Gartenhaus vorbehalten und nimmt die Schlafzimmer und Sanitärräume auf. In der südlich anschließenden Durchdringung der alten Hüllmauer ist eine schmale Treppe zur Dachterrasse untergebracht, die später mit Holzrost und umlaufender Sitzbank ausgestattet wird und einen Blick über die Enns hinweg zur Altstadt von Steyr freigibt. Selbst der Kamin wurde in Sichtbeton gegossen und steht skulpturenartig in der Mitte der Dachterrasse.
Vis-à-vis der Liegenschaft auf der anderen Straßenseite liegt das alte Zollhaus, vor dem sich früher der Straßenraum zu einem kleinen Platz erweiterte, der später verlorenging. Gernot Hertl knüpft daran wieder an. Während eine lange, schlanke Sichtbetonscheibe an der Südgrenze der Liegenschaft den Straßenraum vom sogenannten Sonnenhof abgrenzt, öffnet sich der Vorgarten an der Südostecke und inszeniert das Eintreten durch ein paar Stufen hinab auf die Sonnenhofebene. Dadurch kann sich auch der Straßenraum vor dem Zollhaus wieder erweitern. Der Eintretende wird nach den ersten Stufen durch eine zurückversetzte Wandscheibe nach Westen gelenkt, wo sich ihm der Sonnenhof öffnet, der von alten Mirabellen- und Zwetschkenbäumen gesäumt wird und dessen Geländesprung durch die Überhöhung der Hangmauer zu einem Kräuterhochbeet gekonnt in Szene gesetzt wird. Eine lange Sitzbank und ein Wasserbecken, beide in Beton gegossen, dienen in der Nacht als inszenierte Lichtelemente. Im Wasserbecken wird das Dachwasser gesammelt, um dieses für die Gartenbewässerung nutzen zu können.
Über sich immer weiter verbreiternde Treppen führt der Weg hinunter auf die Hofebene und weiter durch das Wäldchen bis zum unteren Gartenbereich, der sich vom öffentlichen Uferweg durch ein Portalgebäude aus Sichtbeton abgrenzt. Bei Bedarf kann der Gartenraum über ein riesiges Stahlschiebetor zum Flussufer hin geöffnet werden.
Wer nun vom Flussufer aus den Blick auf das Gebäude hat, den beeindruckt die Reduktion auf das Wesentliche, die Harmonie des wunderbar freigelegten, alten Gemäuers mit der Durchdringung des neuen Gartenhauses in all seiner Schlichtheit aus gegossenem Beton. Und man kann sich schon vorstellen, wie Jazzkonzerte in lauen Sommernächten swingen und Vernissagepublikum durch die Höfe flaniert. Es sollte ein „Ort des Seins” werden, wie Gernot Hertl sagt. Es ist ein Ort der Inspiration geworden!