Interview

"Der KI fehlt es an Hausverstand"

Künstliche Intelligenz
28.02.2023

KI hat schon lange Einzug in unseren Alltag gehalten, und auch Baufirmen werden sich ­vermehrt mit dem Thema beschäftigen müssen. Günter Klambauer von der JKU im Interview.

Schon lange wurde nicht mehr so intensiv über die Künstliche Intelligenz (KI), deren mögliche Anwendungen sowie auch Risiken gesprochen wie in den letzten Monaten. Zu verdanken ist dies der Veröffentlichung sowie der uneingeschränkten Nutzung der KI ChatGPT. Auch in der Baubranche werden KI-basierte Lösungen ein immer wichtigerer Faktor. Die Hoffnung ist groß, dadurch vor allem in Sachen Effizienz und Automatisierung von Prozessen entlang des Lebenszyklus von Gebäuden große Fortschritte machen zu können. In diesen Anwendungsgebieten sieht Günter Klambauer vom Institut für Machine Learning der Johannes-­Kepler-Universität Linz auch die Stärken von KI. An den digitalen Bauleiter glaubt er hingegen noch nicht, gewisse Schlussfolgerungen können in seinen Augen nur von Menschen gezogen werden. Noch zu­­mindest.

Die Baubranche umfasst unzählige Gewerke, und ein Gebäude durchläuft über den Lebenszyklus betrachtet viele Phasen: Gibt es Ihrer Meinung nach Anwendungsfälle, die prädestiniert für den Einsatz von KI wären?

Günter Klambauer von der JKU
Assoc. Prof. Mag. Dr. Günter Klambauer arbeitet seit 2017 am ­Institut für Machine ­Learning der Johannes-­Kepler-Universität Linz und forscht unter anderem zu den Themen Deep Learning, Self-Nor­malizing Neural Networks und Convolutional Neural ­Networks.

Günter Klambauer: Ich glaube, dass die Nutzung von KI in vielen Bereichen der Baubranche und über den ganzen Lebenszyklus Potenzial bietet. Egal ob in der Planung, der Ausführung, dem Betrieb von Gebäuden oder in den alltäglichen Prozessen des Back-Offices sind Einsatzmöglichkeiten vorstellbar. Vor allem wenn es um sehr spezielle, repetitive Aufgaben geht, kann KI auch schon heute eingesetzt werden. Vorausgesetzt die notwendigen Daten stehen zum Anlernen zur Verfügung.

Ich muss KI mit Daten füttern, aus denen sie lernen kann. Je mehr ­qualitative Daten ich bereitstelle, desto besser sind die ­Entscheidungen und Lern­erfahrungen.

Günter Klambauer

Die Baubranche gilt nicht grundsätzlich als ­digi­t­al­­affin, jedoch im Gegenzug als Weltmeister im Datensammeln. Stellen die Daten eine nutzbare Grundlage dar?

Klambauer: Grundsätzlich geht es immer darum, in welchen Mengen, in welcher Qualität und in welcher Vergleichbarkeit ich Daten vorliegen habe. Ich muss KI mit Daten füttern, aus denen sie lernen kann. Je mehr qualitative Daten ich bereitstelle, desto besser sind die Entscheidungen und Lernerfahrungen. Nur so kann KI exakt arbeiten oder auch ­Muster in den Daten erkennen, die man als Mensch vielleicht gar nicht sieht oder die schwer zu finden sind. Ein großer Teil unserer Arbeit mit KI besteht darin, Daten richtig aufzubereiten.

Es klingt ein wenig danach, dass KI aktuell vor allem für sehr spezifische, repetitive Arbeiten nutzbar ist, bei denen wenig Unvorhergesehenes passieren kann.

Klambauer: Alle unvorhergesehenen Ereignisse stellen eine KI aktuell vor große Herausforderungen. Ihr fehlt es einfach am sogenannten Hausverstand. Ein einfaches Beispiel ist die Arbeit nach Rezept. Klar kann sich eine KI strikt an dieses halten und die vorgegebenen Arbeitsschritte durchführen lassen. Wenn aber nur eine Zutat etwas abweicht, sei es durch Qualität oder äußere Einflüsse, wird es eine unlösbare Aufgabe. Es ist wie bei einem Nudelteig: Der Mensch erkennt, dass der Teig zu feucht ist, die Konsistenz nicht stimmt, weil das eine Ei diesmal etwas größer war, und gibt automatisch mehr Mehl dazu. Ein KI würde sagen, dass der Teig fertig ist, weil sie sich ja an das ­Rezept gehalten hat. Eine weitere Herausforderung stellt Common Knowledge dar. Es gibt Abläufe, Situationen auf einer Baustelle, da muss keiner nachdenken, wie zu reagieren ist, jeder weiß es einfach. Eine KI weiß es aber nur, wenn sie es gelernt hat, also Daten dazu bereitgestellt worden sind. Diese Dinge fließen jedoch viel zu wenig in eine KI ein, deswegen kann sie mit solchen Situationen auch nicht umgehen.

Geht es um die Menge an verfügbaren Daten, sollte in Anbetracht der laufenden Digitalisierung vor allem die Planungsphase viele Einsatzmöglichkeiten für KI bieten.

Klambauer: Bei der Planung von Gebäuden wird KI zukünftig sicherlich eine große Rolle spielen. Vielleicht wird es auch bis zur kompletten Erstellung gehen, aber einen ganz starken Einfluss wird KI auf die Optimierung von Gebäuden haben. Also in Bezug auf die Effizienz von Ressourceneinsatz sowie der zum Betrieb benötigten Energie. Eine Simulation von dem zukünftigen Gebäude in der geplanten Umgebung kann durch eine KI sehr effizient und schnell gemacht werden. Sie kann automatisch die unterschiedlichsten variablen Parameter simulieren und so einen Vorschlag für ein optimiertes Gebäude liefern. Verknüpft man dies nun mit rechtlichen oder bautechnischen Vorgaben, kann man sehr gute Ergebnisse erzielen. Das Problem dabei ist natürlich, dass eine Simulation nur Simulation bleibt.

Es gibt Abläufe, Situationen auf einer Baustelle, da muss keiner nachdenken, wie zu reagieren ist, jeder weiß es einfach. Eine KI weiß es aber nur, wenn sie es gelernt hat, also Daten dazu bereit­gestellt worden sind.

Günter Klambauer

Das heißt, man müsste den Faktor Mensch noch in die KI einbeziehen?

Klambauer: Sie geht prinzipiell von den eingegebenen Daten – die in diesen Fällen immer das ­Optimum darstellen – und von idealisierten physikalischen Regeln aus. So wird ein Gebäude aber nicht errichtet, dafür gibt es zu viele Fehlerquellen und Toleranzen. Wenn ich aber genügend Daten von gebauten Objekten zusätzlich sammle und mit diesen die Realität und den optimierten Plan abgleichen kann, werden diese Simulationen immer genauer. Und auch hier gilt wieder: Je mehr Daten ich sammle und in die KI zurückführe, desto mehr wird sich die Simu­lation der Realität annähern.

Inwieweit lassen sich dadurch auch Fehlerquellen identifizieren?

Klambauer: Ein Vorteil liegt sicher darin, dass eine KI auf viele Daten von den verschiedensten Projekten zugreifen kann und somit das große Ganze sieht. Ein einzelner Mensch, der auf einer Baustelle gearbeitet hat, sieht vielleicht nur, dass diesmal die Lieferung von einer spezifischen Firma verzögert oder das Material schadhaft war. Eine KI vergleicht diese Erfahrungswerte aber mit allen ihr bekannten Projekten und sucht nach Mustern. Vielleicht liefert die Firma öfter zu spät oder schadhaft und verursacht somit kontinuierlich Mehrkosten.

Wenn man nun den Schritt in die Ausführung wagt, sehen Sie die Möglichkeit einer automatisierten, KI-gesteuerten Baustelle in der nahen ­Zukunft?

Klambauer: Nein, aktuell nicht. Gerade eine Baustelle wird von zu vielen unvorhergesehenen Faktoren beeinflusst, als dass dies möglich wäre. Eine Simulation von optimierten Abläufen wäre vorstellbar, aber im Tagesgeschäft würde eine KI wahrscheinlich schon daran scheitern, die Aufgaben richtig zu verteilen. Gewisse Sachen kann man einer KI lernen, bei anderen braucht es aber einfach die Fähigkeit, basierend auf vorhandenem Wissen, Schlussfolgerungen zu ziehen. Das würde momentan noch komplett schiefgehen.

Ich kann per Baustellen­überwachung beziehungsweise Sensoren die Bewegungen von Arbeiter*innen verfolgen und sie warnen, wenn sie Gefahren­zonen betreten, zu nahe an Baumaschinen sind oder auch falls die persönliche Schutzausrüstung nicht stimmt.

Günter Klambauer

Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie dann für KI auf der Baustelle?

Klambauer: Je spezifischer die Anwendung ist, desto mehr sehe ich aktuell großes Potenzial. Ein Thema ist sicherlich Sicherheit. Ich kann per Baustellen­überwachung beziehungsweise Sensoren die Bewegungen von Arbeiter*innen verfolgen und sie warnen, wenn sie Gefahrenzonen betreten, zu nahe an Baumaschinen sind oder auch falls die persönliche Schutzausrüstung nicht stimmt. Auch in der Dokumentation steckt großes Potenzial, da die aktuellen KIs gut Bilder analysieren und vergleichen können. Gleiches gilt für Narrow AIs bei einzelnen Arbeiten von Baumaschinen oder die Verknüpfung von Posi­tionsdaten mit denen der Baumaschine.

Die Frage nach KI auf Baustellen geht meistens mit jener nach Robotern am Bau Hand in Hand.

Klambauer: Das ist prinzipiell ein sehr spannendes Forschungsfeld, wobei man beides getrennt voneinander betrachten muss. Hart gesagt, liefert die ­Robotik die Hardware, also einen Roboter, der gewisse, ihm gestellte Aufgaben technisch betrachtet erledigen kann. Die KI hingegen ist bildlich gesprochen das Gehirn dahinter. Sie verknüpft die Auf­gaben miteinander. Meines Erachtens kann das mit den aktuellen KI-Modellen sehr gut für Baustellen­dokumentation, Fortschrittsüberwachung oder auch einen nachgelagerten Soll-Ist-Vergleich funktionieren. Vom Roboter, der einen Menschen auf der Baustelle ersetzt, sind wir aber noch weit entfernt.

Denkt man an die Verfügbarkeit beziehungsweise das kontinuierliche Sammeln von Daten sowie geregelte Ereignisse, ist der Betrieb von Gebäuden sicherlich dankbarer.

Klambauer: Definitiv. Ich sehe gerade im Maintenance und Management großes Potenzial für KI. Das kann von der Steuerung des Gebäudes über Aufgabenpläne für das Facility-Management bis hin zur "Vorhersage" von allfälligen Reparaturen reichen. Da ist einiges möglich, aber auch hier gilt, dass es eine gute Grundlage von Daten braucht. Es nützt mir nichts, wenn die KI glaubt, man müsste beispielsweise ein gewisses Teil austauschen, weil es nach Herstellerangaben nur einen gewissen Zeitraum funktioniert, die Realität aber nicht so ist.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei dem Einsatz von KI ist die rechtliche Seite. Ist es überhaupt umsetzbar, dass eine Baufirma KI einsetzen und gewerkeübergreifend Daten sammeln will, um diese dann weiterzunutzen?

Klambauer: Grundsätzlich gilt festzuhalten, dass Daten immer demjenigen gehören, der sie erzeugt hat. Wenn jetzt beispielsweise ein Generalunternehmer die Daten seiner Subunternehmer*innen nutzen will, braucht es dafür ein Agreement, welche Daten für welche Zwecke übergeben, gespeichert und genutzt werden dürfen. Dies muss auch kontrollierbar sein – ein herausforderndes Umfeld, in dem sich in den nächsten Jahren noch viel bewegen wird. Wenn man also aktuell einen Job mit Arbeitsplatzgarantie für die Zukunft sucht und Spaß an Recht hat, ist das sicherlich ein spannendes Umfeld.

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