Hoch über Wien schwebend

Bauzustand
16.08.2018

 
URBANES WOHNEN DER LUXUSKLASSE - Erstmals entsteht in Wien ein Projekt des italienischen Architekten Renzo Piano. Die 346 Parkapartments beginnen quasi erst im 4. Stockwerk. Auf Pylonen gestelzt ermöglichen sie urbanes Wohnen der Luxusklasse mit Fernblicken in alle Himmelsrichtungen. Das weithin sichtbare Landmark wird im Frühjahr 2019 eröffnet. von Brigitte Groihofer 
Rendering, Ansicht Hotelplaza
Rendering, Ansicht Hotelplaza

Am Rande des Sonnwendviertels, dem oberen Rand des Wiener Beckens, von dem aus der Blick über den Erste-Campus, das Obere und Untere Belvedere, weiter über das Zentrum Wiens und wieder hinauf über den Wienerwald, den Kahlenberg und Leopoldsberg wandert, liegen Wiens neue exklusive Apartmenthäuser, entworfen von keinem geringeren als Renzo Piano, der hier, erstmals in Österreich, ein Projekt in enger Zusammenarbeit mit NMPB realisiert. Die zentrale Lage bietet Fernblicke in alle Himmelsrichtungen in Nachbarschaft zu urbanen Strukturen höchst unterschiedlicher Architektursprache. Hier findet sich ein Mix an neuen dichten städtischen Wohn- und Bürobauten, der neue Hauptbahnhof, historisch denkmalgeschützter Bestand, wie das Belvedere, das Belvedere21 mit dem Schweizergarten und das Arsenal. Stadtauswärts wandert der Blick weit in die Ebene der Wiener Neustädter Senke bis hin zum Schneeberg. Dieser Platz erfordert Reaktion und Kommunikation und eine starke und außergewöhnliche Identität.
Das 10.591 Quadratmeter große Grundstück entstand durch die Zusammenführung von Süd- und Ostbahnhof. Ursprünglich gehörte es dem Südtiroler Michael Seeber, Gründer der Seeste Bau GmbH. Für den Freund und mit diesem gemeinsam hatte Renzo Piano 2008 die ersten Entwürfe für dieses Projekt entwickelt. Doch Bauplatz, Projekt und Architekt wechselten den Eigentümer und wanderten zu René Benkos Signa Gruppe. In Abstimmung mit dem neuen Eigentümer änderte sich 2013/14 auch die Konfiguration, die Büros fielen weg, es blieben ein Hotel und Apartments.

EINZELN SCHWEBENDE BAUKÖRPER
Neben den optisch attraktiven Sichtachsen hatten die Architekten auch die negativen Merkmale der Großstadt zu berücksichtigen, wie den Lärm durch Großbahnhof und Arsenalstraße. Zusammen mit dem höheren Niveau des Bahndamms war klar, dass das Wohnen in den unteren Geschoßen nicht angenehm gewesen wäre. Grund für die Entscheidung, die Gebäude auf Piloti zu heben. Vom Straßenraum aus gesehen werden die einzelnen vertikalen Baukörper erst ab dem 4. bis 6. Obergeschoß genutzt. Somit liegen die ersten Fenster auf einer Höhe von neun Metern und damit über den Baumkronen des Schweizergartens. Diese Lösung hat neben dem Fernblick, dem Ausweichen des Lärms noch einen wesentlichen Vorteil: Im Vorfeld wurde überlegt, wie man das Gebäude mit der Natur verbinden könnte, eine für Renzo Piano wichtige Komponente. Überlegungen zu begrünten Fassaden oder Dachgärten wurden wieder fallen gelassen, zugunsten der Idee, den Schweizer Garten optisch an das Projekt heranzuholen und diesen unter dem Gebäude durchzuführen und damit einen landschaftsgärtnerischen Freiraum zu schaffen, der zugleich das verbindende Element aller Baukörper ist, und die Gebäude darüber schweben zu lassen. Mit dessen Planung wurden die Landschaftsgärtner 3:0 beauftragt.

VARIANTENREICHE WOHNUNGSGRUNDRISSE
Im ursprünglichen Masterplan für das langgestreckte Grundstück war ein durchgehendes massives Einzelgebäude mit einer langen Front vorgesehen. Dieses wurde zugunsten einzelner, unabhängiger und geschwungener Gebäudeteile abgeändert. Die Vorteile liegen auf der Hand: Man kann unter und zwischen ihnen durchblicken. Eine optimale Konfiguration auch für variable Grundrisse von Wohnungen. Durch die geschwungenen Baukörper wurde deren Außenfläche vergrößert, womit die Wohnungen nicht nur Ausblick in mehrere Richtungen erhalten, sondern auch Sichtschutz vor den Nachbarn und damit Intimität. In den drei Wohnblöcken befinden sich mehr als 60 Wohnungstypen ab einer Größe von 46 Quadratmetern, die Hälfte davon Kleinwohnungen. Sie verteilen sich auch vertikal durch alle Geschoße. Raumhohe Fenster verleihen selbst den kleinsten Einheiten eine elegante Großzügigkeit, unterstützt durch den bewußten Verzicht auf Brüstungen. Alle Wohnungen verfügen über Loggien, Balkone oder Terrassen. Die Fenster kann man aus Sicherheitsgründen nicht öffnen, sie verfügen aber über Lüftungsflügel. Die Klimatisierung erfolgt via Fernwärme und Fernkälte in Form von Fußbodenheizungen und Deckenkühlungen. 

DAS HOTEL
Die Positionierung des Hotels Andaz Vienna Am Belvedere, ein Projekt der SIGNA gemeinsam mit der Hyatt Gruppe, ergab sich einerseits dadurch, dass dieses sinnvollerweise dem Wiener Hauptbahnhof am nächsten liegt und sich mit dem gastronomisch genutzten Vorplatz zu diesem öffnet, andererseits durch den geplanten zweigeschoßigen Konferenz- und Ballbereich, der sich zur Gänze unter dem Hügel des Landschaftsgartens versteckt und zwei Gebäudeteile verbindet. Dort befinden sich neben dem 2.200 Quadratmeter großen Konferenzbereich und 700 Quadratmeter Ballsaal auch zahlreiche Nebenräume wie Parkgarage, Haustechnik und sogenannte smarte Details, wie E-Tankstellen und Stromanschlüsse in jedem Kellerabteil sowie Hauswaschsalons.

KONSTRUKTIVE HERAUSFORDERUNGEN 
Architekten und Tragwerksplaner arbeiteten speziell in diesem Bereich sehr eng zusammen, so waren Bollinger + Grohmann Ingenieure von Beginn an bei der Entwicklung dabei. Das Büro hat bereits mehrere Projekte mit Renzo Piano realisiert. Die freie Gartenlandschaft unter dem Gebäude erforderte die Suche nach unkonventionellen herausfordernden Lösungen. Ausgehend von einer Extremvariante, nämlich totaler Stützenfreiheit, die technisch durchaus möglich gewesen wäre, entschied man sich aufgrund des Bauablaufes und der Kosten für eine Lösung mit jeweils einem massiven, aber gleichzeitig sehr schlanken Kern-Paar für jedes Gebäude, in dem sich die Stiegen und Fahrstühle befinden. Diese bilden die alleinige Aussteifung für die horizontalen Wind- und Erdbebenlasten. Dadurch gewann man Freiheit nach außen zu den dünnen bis zu 17 Meter hohen Pilotistützen, Schleuderbetonstützen aus hochfestem Beton. Sie sind oben und unten gelenkig gelagert und übertragen ausschließlich Vertikalkräfte von oben nach unten. Die vorgefertigten Piloti wurden nächtens im Laufe einer Woche von zwei Kränen vor Ort gehievt, dort temporär abgestützt und zur Gänze eingerüstet. Zu jener Zeit war dies das größte Gerüst Österreichs. Die Säulen enden im unterirdischen verbindenden Gemeinschaftsgeschoß der fünf autonomen Projektteile. Die Fundierung erfolgt über eine Pfahlgründung die nochmals bis zu 22 Meter tief in den Boden ragt, nur in den Kernbereichen ist zusätzlich eine verstärkte Fundamentplatte mit bis zu 1,60 Meter Dicke vorhanden. Ein faszinierendes Detail ist auch die Lösung der Fuß- und Kopfpunkte, jener Punkte, wo sich die Stützen mit dem Gebäude verbinden: Über massive Stahleinbauteile werden die Lasten der wandartigen Stützen der Wohngeschoße in die darunter liegenden Außenstützen konzen­triert. Durch die gesamte Einrüstung – dem Säulenwald – konnte die erste und danach die zweite Ebene geschalt und betoniert werden und sich in der Folge ohne Gerüst in die Höhe bis ins 19. Obergeschoß hinaufschrauben. 

DIE FASSADE
Für die Fassade wählte man als Material, neben Aluminium und Glas, Keramik, einen noblen, formbaren und dauerhaften Baustoff, der, so Projektleiter Thorsten Sahlmann, den Architekten für den Wohnungsbau und den Stadtraum angemessenes schien und der hier in der Nähe des aus Ziegeln erbauten Arsenals bestens passt. Das leichte helle Grau spielt mit dem Licht, reflektiert und changiert seine Farbigkeit, von grau zu rötlich bis ins Bläuliche. Die geschlossene Fensterfront der Fassade wird dadurch aufgebrochen und erhält so eine Tiefe, die für die Wohnlichkeit wichtig ist. Die Fassadenfläche mit 28.000 Quadratmetern ist eine gehängte Systemfassade und als Elementfassade ausgeführt. Sie besteht aus 5.600 Elementen, davon u. a. aus 1.100 3-fach-Isoliergläsern, 48.000 Wellblechen und horizontalen und vertikalen Keramikleisten aus 60.000 Einzelsteinen in sechs Größen und 562 Keramikecken in 32 unterschiedlichen Graden. Die Elementfassade wurde in nur einem Jahr von Strabag Metallica erstellt. Die Herausforderung lag in den Übergängen der Elementfassadenteile zu den Portalfassadenteilen der Balkone und Loggien in Hinblick auf die Gewährung der Dichtigkeit. Die Keramikteile wurden in Bayern hergestellt. Die Pfosten-Riegel-Fassade im EG, in den Penthouse-Geschoßen und den Hotelbrücken errichtete Alusommer.
Renzo Piano Building Workshop arbeitet auch immer eng und im Austausch mit Partnern zusammen, die mit der lokalen Kultur, den Baugesetzen und Behörden vertraut sind. In diesem Fall mit dem im Wohnbau versierten Wiener Büro NMPB Architekten, die das Projekt von Anfang an mit großem Einsatz begleitet haben.

PROJEKTDATEN

Parkapartments am Belvedere und Hotel Andaz Vienna
Am Belvedere 

Bauherr SIGNA, www.signa.at
Architekturbüro Renzo Piano Building ­Workshop, RPBW,
Bernard Plattner (partner in charge)
www.rpbw.com
Projektleitung Thorsten Sahlmann, Renzo Piano Building Workshop,
Standort Paris
Partner Wien NMPB Architekten, Wien,
Herbert Pohl, Andrea Pohl (Projektleitung Hotel),
Peter Knoll (Projektleitung Wohnen), www.nmpb.at
Gartengestaltung/
Landschaftsplanung 
3:0 Landschaftsarchitektur, Wien, www.3zu0.com
Tragwerksplanung/
Statik
Bollinger+Grohmann Ingenieure, Standort Wien
(Projektleitung Dieter Hauer und Emilio Podreka),
Standort Frankfurt (Alexander Heise),
www.bollinger-grohmann.com
Fassade STRABAG AG, Metallica, Standort Wien,
metallica.strabag.at
Pfosten-Riegel-Fassade ALUSOMMER, www.alusommer.at
PORR Tiefbau
ARGE Baumeister ÖSTU
STETTIN / HABAU
Grundstücksfläche 10.591 m2
Bruttogeschoßfläche
oberirdisch
65.000 m2
Bruttogeschoßfläche
gesamt
77.600 m2
Anzahl der Geschoße 19
Planungsbeginn 2008
Projektübernahme durch
d. SIGNA Gruppe
2013
Spatenstich 2014
Dachgleiche Oktober 2017
geplante Fertigstellung Frühjahr 2019

Architekt: Renzo Piano

Renzo Piano, geboren 1937 in Genua, zählt zu den bekanntesten und renommiertesten Architekten des 20. und 21. Jahrhunderts. Der große weltweite Durchbruch gelang ihm 1977 mit dem revolutionären Konzept des Centre Pompidou in Paris, das er gemeinsam mit dem britischen Architekten Richard Rogers entwickelt hatte. Neben dem Centre Pompidou wurde Piano vor allem durch das New York Times Building (2007), Europas höchstem Wolkenkratzer „The Shard“ (2012) in London sowie mit weiteren Großprojekten in aller Welt bekannt, von der Bebauung des Potsdamer Platzes in Berlin über das Whitney Museum of American Art in New York bis zum neuen Justizpalast in Paris. Er leitet je ein Atelier in Genua und Paris, unter dem Namen „Renzo Piano Building Workshop“ (RPBW). 

www.rpbw.com

Branchen
Architektur