Think green – think lean

Ressourcenschonung
09.08.2023

Wie "grün" kann eine Baustelle werden, wenn man bewusst auf ­Ressourcen achtet? Lean-Experte Martin Stopfer kennt die Antwort.
Martin Stopfer, Lean-Experte

Wer einmal Lean Construction Management (LCM) ausprobiert hat, will nicht mehr ohne, ist Lean-Experte Martin ­Stopfer schon seit langem überzeugt. Und die Entwicklung gibt ihm recht – nicht ohne Grund setzen immer mehr kleine und große Unternehmen aus der Bauwirtschaft auf LCM zur Produktivitätssteigerung. Welchen Hebel Lean Thinking aber auch in Sachen Ökologisierung bieten kann, erklärt der Vortragende an der FH Campus Wien und Geschäftsführer der Lean Baumanagement GmbH im Interview mit der Österreichischen Bauzeitung.

Bauzeitung: Bei LCM drehte sich lange alles nur um das Thema Produktivitätssteigerung. Ist der Aspekt der Ökologisierung nun erst neu hinzugekommen, oder war er immer schon ein Bestandteil von Lean?
Martin Stopfer: Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Lean, und für mich war die ökologische Seite schon immer ein großes Thema – auch wenn das vor fünf Jahren noch abgetan wurde. Im Fokus standen in der Baubranche meist andere Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Beschaffung, ­Corona und ganz klar auch der ökonomische Aspekt. Die Chancen für den ökologischen Fußabdruck hat man lange nicht gesehen. Aber genau diese Kombination war für Doris Link, Departmentleiterin Bauen und ­Gestalten an der FH Campus Wien, und mich ein zentraler Treiber, die erste Baufachtagung der FH Campus Wien unter das Motto „Innovation & Ökologisierung“ zu ­stellen und diese ­Zusammenhänge von allen Seiten zu beleuchten.

Dann beleuchten wir das doch auch hier: Wie hängen Lean und Ökologisierung zusammen?
Stopfer: Ganz vereinfacht gesagt: Jede Einsparung von Ressourcen – egal, ob personell, materialtechnisch oder energetisch – wirkt sich positiv auf den ökologischen Fußabdruck auf. Allein wenn man das Thema Mängel betrachtet: Um diese zu beseitigen, benötigt man neues Material, das produziert und zur Baustelle transportiert werden muss. Das kaputte Material muss ausgebaut, wegtransportiert und deponiert werden. Die Arbeiter haben zusätzliche Anfahrt- und Abfahrtswege. Der Einbau verbraucht Energie usw. – dadurch wird eine Menge unnötiges CO₂ emittiert. Wenn man das auf die gesamte Baubranche hochrechnet, ist das ein enormer CO₂-Ausstoß, der eingespart werden könnte.

Lean und Inno­vation gehen Handin Hand, denn bei beidem geht es um den Willen zur Verbesserung.

Martin Stopfer, Lean-Experte

Welche Bereiche lassen sich mit Lean in puncto Ökologie am besten optimieren?
Stopfer: Wahrscheinlich ist es einfacher von der anderen Seite zu betrachten: Wo passiert die meiste Verschwendung? Bei LCM werden acht klassische Verschwendungsarten definiert (siehe links). Die ersten sieben haben unmittelbare Auswirkungen auf die ökologische Bilanz einer Baustelle. Typisches Beispiel ist der Erdaushub auf einer Baustelle, bei dem es häufig zu Stehzeiten und Leerfahrten kommt. An einem konkreten Beispiel haben wir berechnet, dass das Einsparungspotenzial hier ungefähr fünf Kilogramm CO₂ pro Stunde und Lkw bzw. zehn Prozent des CO₂-Ausstoßes entspricht. Hochgerechnet auf die gesamte Bauzeit sind das enorme Summen. Aber es reicht auch, wenn die Baustellenlogistik nicht optimal geplant ist und es längere Wege oder zusätzlicher Maschinen zur ­Materialmanipulation bedarf. Lean Thinking kann aber auch bereits in der Planung ein Hebel sein. Kaum ein Bauherr wünscht sich den überdimensionierten Einsatz von Beton oder Bewehrung, und dennoch ist es keine Seltenheit bei Bauwerken. Das kann einerseits an der nicht immer bedarfsgerechten Planung und andererseits an überbordenden Normen und Richtlinien liegen.
Es klingt ein bisschen so aus, als würden aktuell Normen der Ökologisierung im Weg stehen?
Stopfer: Sagen wir so: Normen bieten noch Potenziale, um sie zu verschlanken. Genau das bedeutet ja auch der Begriff „lean“. Ich denke, es wäre auch im öffentlichen Interesse, Normen und Richtlinien zu durchforsten und auf ihre Sinnhaftigkeit bzw. Notwendigkeiten in puncto Ökologisierung zu hinter­fragen. Der Auftrag muss aber von der Politik kommen – das Thema Umwelt geht uns schließlich alle an.

Sie sprechen immer von Lean Thinking und nicht von Lean Construction Management. Reicht Lean Thinking aus, oder benötigt man auch zwingend LCM-Tools?
Stopfer: Es müssen nicht zwingend LCM-Tools eingesetzt werden, um Baustellenlogistik und Fahrzeiten zu optimieren oder Stehzeiten zu vermeiden. Wenn man unter Lean Thinking das Bewusstsein für Verschwendung versteht, dann ist wahrscheinlich schon viel gewonnen. Lean gibt einem aber Werkzeuge an die Hand, die diesen Prozess strukturieren, führen und vereinfachen. Eine interessante Methode ist z. B. die Multimomentaufnahme. Dabei wirft man über ­einen Zeitraum von einer Stunde alle drei Minuten einen Blick auf einen Arbeitsprozess und analysiert das Vorgehen: Wer ist wertschöpfend, wer ist nicht wertschöpfend, aber notwendig, und wer steht beispielsweise nur herum, weil er wartet. Nach der Stunde hat man einen klaren Überblick, wo Verschwendung stattfindet. Ein anderes Tool ist das visuelle Management, wodurch Bewusstsein geschaffen wird. Es hilft z. B. den Energieverbrauch visuell darzustellen, um Verschwendung wie durchgängig beheizte Baucontainer o. Ä. leichter zu erkennen.

Eine Abschlussfrage: Ist die CO₂-freie Baustelle rein mit technologischen Innovationen möglich, oder bedarf es auch immer Lean Thinking dazu?
Stopfer: Natürlich braucht es auch die techno­logischen Innovationen – vor allem wenn es um ­ressourcenschonende Baustoffe und Wiederverwertung geht. Ich denke aber nicht, dass man das ­trennen kann. Sowohl bei Innovationen als auch bei Lean geht es um den Willen, etwas zu verbessern. Ob man das nun Lean nennt oder anders, spielt dabei keine Rolle.

Acht Verschwendungsarten

  • Überproduktion
  • Transportwege
  • Lagerhaltung
  • Ineffiziente Bewegungs­abläufe
  • Ungeeignete Prozesse
  • Fehler und Mängel
  • Wartezeit
  • ungenutztes Mitarbeiter­potenzial

Baufachtagung „Innovation & Ökologisierung“

Die erste Baufachtagung der FH Campus Wien thematisiert die aktuellen Trends und Herausforderungen der Baubranche. Namhafte Referent*innen liefern in ihren Vorträgen spannende Inputs dazu, welchen Stellenwert Ökologisierung im Innovationsprozess künftig einnehmen wird.

Wann: 21. 9. 2023,
9.00–18.00 Uhr

Wo: FH Campus Wien Audimax F.E.01.
Favoritenstraße 222,
1100 Wien

www.fh-campuswien.ac.at/baufachtagung

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Bau