Bauen in der Klimakrise

"Wir sind nicht sehr weit gekommen"

Architektur
09.10.2024

Werner Sobek, renommierter Architekt und Baumeister, spricht im Interview über die Herausforderungen der Bauwirtschaft in Zeiten der Klimakrise. Er plädiert für einen Paradigmenwechsel im Bauen und ruft die Gesellschaft zum gemeinschaftlichen Handeln auf.
Architekt Werner Sobek fordert die Ökologisierung des Bauwesens

In einem ausführlichen Gespräch für den neuen Podcast "Architektur und Bau FORUM" analysiert Werner Sobek die gegenwärtigen Probleme der Bauwirtschaft und zeigt Wege auf, wie nachhaltiges Bauen in der Praxis umgesetzt werden kann. Dabei spart er nicht mit Kritik an der aktuellen Gesetzgebung und fordert ein radikales Umdenken – sowohl bei den Bautechniken als auch in der Gesellschaft.

Die Wirtschaft: Herr Sobek, Sie leben in Wien. Waren Sie vom Hochwasser betroffen?

Werner Sobek: Ich wohne seit mittlerweile viereinhalb Jahren in Wien und bleibe hier auch bis zu meinem Lebensende. Wir waren zum Glück nicht vom Hochwasser betroffen.

Der tragische Fall dieses Hochwassers spiegelt viele Themen wider, mit denen Sie sich seit Jahren beschäftigen: die Klimakrise im Allgemeinen, die Frage der Bodenversiegelung, wo und wie wir bauen und wie wir uns anpassen. Was sind Ihre Gedanken angesichts dieses Ereignisses?

Werner Sobek: Das Ereignis ist bedauerlich und traurig in seinen Konsequenzen, aber es war vorhersehbar. Solche Ereignisse werden weltweit noch häufiger auftreten. Man muss sich vorstellen: Die Atmosphäre hat immer die gleiche relative Luftfeuchte. Wird sie jedoch um ein Grad wärmer, nimmt sie sieben Prozent mehr Wasser auf. Bei einem Temperaturanstieg von 13 Grad haben wir etwa 1.500 Kubikkilometer Wasser mehr in der Atmosphäre als vor 150 Jahren. Das bedeutet, dass die zusätzliche Wassermenge irgendwann als Regen niedergeht. Die Atmosphäre enthält heute etwa 12.000 Kubikkilometer, und nun haben wir 1.500 mehr. Das führt zu stärkeren Regenmengen und zu Austrocknungseffekten auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. Gleichzeitig beeinflusst die globale Erwärmung die Jetstreams, die stärker mäandrieren. Dadurch bewegen sich Hoch- und Tiefdruckgebiete langsamer. In Kombination mit der höheren Feuchtigkeit kommt es zu massiveren Regenmengen.
Baulich ist ein Schutz dagegen wahrscheinlich kaum mehr finanzierbar. Wir müssen grundsätzlich anders vorgehen und mehr Retentionsflächen schaffen. Böden müssen so viel Wasser wie möglich aufnehmen können. Es darf nicht dazu kommen, dass große Wassermengen in die Flüsse fließen und in kürzester Zeit Hochwasser auslösen. Zeitverzögerung durch natürliche Maßnahmen wie Versickerung und intensive Bepflanzung ist wahrscheinlich die einzige Chance. Und dann: nicht dort bauen, wo man mit einer Flut rechnen muss.

Über allem steht natürlich die Abmilderung der Klimakrise. Eigentlich spricht man ja gar nicht mehr vom 1,5-Grad-Ziel, sondern davon, dass jedes Zehntelgrad zählt. Sie haben viel über die Rolle der Bauwirtschaft und die notwendige Transformation gearbeitet. Wo stehen wir denn aktuell bei dieser Transformation?

Wir sind nicht sehr weit gekommen. Dabei muss man unterscheiden: Die Bauwirtschaft, sowohl Wissenschaft als auch Industrie, hat eine Reihe von Methoden entwickelt, um nachhaltiger zu bauen. Im Bereich der Gebäude geht es darum, mit weniger Material zu arbeiten, geringere Emissionen in der Herstellung und Nutzung zu verursachen, immer mehr Rezyklate zu verwenden und recyclinggerecht zu bauen. Die Technologien sind da, aber sie werden nicht angewendet. Das ist kein technisches, sondern ein soziales Problem. Die Menschen erkennen die Bedrohung, handeln aber nicht entsprechend.

Kann man den dramatischen Ereignissen wie Hochwasser und Waldbränden etwas Positives abgewinnen, weil dadurch vielleicht entschlossener gehandelt wird? Oder geht sich die Rechnung nicht aus, wenn man die verbleibende Zeit betrachtet?

Das Problem ist, dass die Menschen nicht instinktbasiert, sondern hauptsächlich intellektbasiert handeln. Es gibt keine größeren Menschengruppen als 100.000, die ohne Anführer gemeinschaftlich handeln können. Bei Ameisen oder Fischen funktioniert das. Diese intellektuelle Handlungsweise hat das Individuum als selbstständigen Bürger hervorgebracht, der glaubt, die Welt verstehen zu können. Aber wir brauchen eine leitende Gruppe, weil die politische Kaste—und ich meine das nicht negativ—überfordert ist. Der Papst hat in seiner Enzyklika Laudato si' gesagt, wir brauchen eine Bewegung von unten. Die Menschen selbst müssen begreifen, dass sie gemeinsam handeln müssen, um das Problem in den Griff zu bekommen.

Es ist fast unerträglich, das mit anzusehen. Aber diese Regierenden werden ja auch bottom-up gewählt, in vielen Ländern zumindest. Aktuell hat man den Eindruck, dass Parteien Zulauf finden, die Maßnahmen gegen den Klimawandel versprechen abzumildern oder wirtschaftsverträglicher zu gestalten. Gerade in Krisenzeiten hören manche das gerne. Auch in der Bauwirtschaft hört man oft: "Man müsse doch mit gesundem Menschenverstand darauf achten, aktiv zu bauen, um die Krise zu überwinden." Wie lässt sich dieses Dilemma Ihrer Meinung nach auflösen?

Es ist schon so, dass die Gesetzgebung im Bereich Bauen, Energieeffizienz und Fördermaßnahmen in Deutschland konfus ist. Kein Mensch blickt mehr durch. Man glaubt, mit einer Verfeinerung der Gesetze und zusätzlichen Paragraphen für jede Minderheitengruppe alles regeln zu können, aber am Ende versteht es keiner mehr. Wir müssen zurück zu den wesentlichen Überschriften. Zum Beispiel: Wir haben kein Energieproblem, sondern ein Problem mit den Energieträgern. Die Sonne liefert uns 10.000 Mal mehr Energie als wir brauchen, zusätzlich haben wir Wind, Wellen und Geothermie. Das Problem sind die Energieträger, die wir in der Vergangenheit genutzt haben: Steinkohle, Erdöl, Gas. Wenn wir auf erneuerbare Energien umstellen, dann lösen sich viele Probleme. Aber dafür brauchen wir eine klare Strategie und ein gemeinsames Handeln.

Glauben Sie, dass es dafür ein zentrales Ministerium bräuchte? Ein Superministerium für Bauen und Infrastruktur?

Das wäre sinnvoll. Wir sehen doch heute, dass durch die typischen Koalitionen in der Regierung jedes Ministerium für sich arbeitet. Der eine ist für Verkehr zuständig, der andere für Wohnungsbau, und sie sprechen nicht miteinander. In Deutschland kommt es vor, dass zwei Ministerien dieselben Forschungsprogramme ausschreiben, weil sie sich nicht absprechen. Ein gemeinsames Ministerium, das diese Themen zusammenführt, wäre effektiver.

Ich möchte auch noch über die Rolle der Architekten sprechen. Viele kleinere Büros kämpfen mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage. Bei Veranstaltungen wie den Architekturtagen hat man manchmal das Gefühl, dass eine gewisse Ratlosigkeit herrscht. Das Motto war "Geht es noch?". Wie müssen sich Architekten auf die kommenden Herausforderungen einstellen?

Die Situation ist schwierig. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die sagen: "Wir sollten überhaupt nicht mehr bauen, die Republik ist fertig gebaut." Auf der anderen Seite gibt es den demografischen Wandel und die Überhitzung der Innenstädte, die nach neuen Wohnformen und baulichen Anpassungen verlangen. Wir haben also noch viel zu tun, aber wir müssen es technologisch richtig machen, um den Herausforderungen gerecht zu werden.
Die Bauaufgaben, die vor uns liegen, sind enorm. Wir müssen das Bauen als Teil der Natur begreifen und nicht als Gegensatz zur Umwelt. Bereits in der Bezeichnung „Umwelt“ steckt ein großes Missverständnis: Wir haben uns als Menschen von der Natur gelöst und betrachten sie als Objekt. Das war die Zeit der Aufklärung, in der wir uns als Subjekt verstanden haben und die Natur als etwas, das analysiert und manipuliert werden kann. Das muss aufhören. Wir sind Teil der Natur, nicht getrennt von ihr. Deshalb spreche ich nicht von „Umweltverträglichkeit“, sondern von „naturverträglichem Bauen“.

Welche Rolle spielen dabei kleine und mittlere Architekturbüros? Viele von ihnen stehen angesichts der Komplexität und Regulierungen unter großem Druck.

Werner Sobek: Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Die Anforderungen an Architekturbüros haben sich stark erhöht, und die zunehmende Gesetzgebung und Bürokratie macht es gerade kleineren Büros fast unmöglich, mitzuhalten. Die großen Architekturbüros können das aufgrund ihrer Größe und Ressourcen besser stemmen. Sie können sich die notwendige Technologie und das Personal leisten. Ein kleines Büro, das beispielsweise für ein Nachhaltigkeit-Reporting Mitarbeiter abstellen muss, hat damit viel größere Schwierigkeiten.
Das führt dazu, dass große Büros mit mehreren hundert oder sogar tausenden Mitarbeitern einen Vorteil haben. Sie bieten „alles aus einer Hand“ an, was Bauherren oft als Sicherheit empfinden. Ein kleines Zehn-Mann-Büro kann da schwer mithalten, obwohl es oft kreativer und kompetenter ist. Wir müssen durch geeignete Strukturen sicherstellen, dass diese kleineren Büros nicht untergehen und weiterhin bestehen können, denn sie sind ein wichtiger Bestandteil unserer Baukultur.

Sie haben eben das Wort „Macht“ in Bezug auf Architekturbüros verwendet. Wie wichtig ist es, dass diese Macht im Sinne der Nachhaltigkeit eingesetzt wird?

Seien wir ehrlich: Niemand sagt von sich, dass er nicht nachhaltig baut. Die Überschrift, die jeder auf seinem Etikett stehen hat, lautet „Ich baue maximal nachhaltig“. Aber in der Praxis sieht es oft anders aus. Gerade im Wohnungsbau stehen viele Architekten und Planer unter enormem Kostendruck. Wenn ein sozialer Wohnungsbau um sieben Prozent günstiger werden muss, dann ist es manchmal schwer durchzusetzen, dass die Badinnenverkleidung aus recyceltem Kunststoff statt konventionellem Material gefertigt wird. Der Wohnungsbetreiber, der 20.000 Sozialwohnungen betreut, sagt dann: „Das ist mir alles viel zu kompliziert.“

Das heißt, wir brauchen nicht nur technische Lösungen, sondern auch einen Bewusstseinswandel?

Absolut. Wir müssen verstehen, dass die Maximierung des persönlichen Profits und des Luxus, den man sich leisten kann, nicht das Ziel sein kann. Die kapitalistisch geprägte Gesellschaft hat das Aufstiegsversprechen an den individuellen Erfolg geknüpft. Das demonstriert man durch Konsum: Ein teures Auto, Markenklamotten – das sind Statussymbole. Aber das führt zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft. Wir müssen lernen, den persönlichen Vorteil zurückzustellen, um den gemeinsamen Vorteil zu erzielen. Nur dann werden wir die Herausforderungen meistern.

Das klingt nach einer grundlegenden Veränderung unserer Werte und Ziele. Glauben Sie, dass das realistisch ist?

Es wird schwierig, aber wir haben keine andere Wahl. Wir leben in einem gemeinsamen Haus, das sich Erde nennt, und aus diesem Haus kann niemand ausziehen. Wenn das Haus einstürzt, sind wir alle betroffen. Deshalb müssen wir gemeinsam handeln. Wir müssen uns trauen, auch im sozialen Dialog klare Positionen zu vertreten und den Nachbarn anzusprechen, wenn er beispielsweise ein riesiges Auto kauft, das die Umwelt stark belastet. Es ist ein weltweites Problem. Zum ersten Mal in der Geschichte hat das Handeln eines Einzelnen Einfluss auf die ganze Welt. Wenn jemand in Australien übermäßig viel CO2 ausstößt, dann wirkt sich das auch in Europa aus.

Das führt uns wieder zu der Frage nach Verantwortung und Bewusstsein. Welche konkreten Maßnahmen sehen Sie als notwendig an, um dieses Bewusstsein zu stärken?

Wir brauchen eine grundlegende Aufklärung und einen sozialen Wandel. Die Menschen müssen verstehen, dass ihr Handeln Konsequenzen für alle hat. Es reicht nicht mehr, lokal oder national zu denken. Jeder Einzelne muss begreifen, dass sein Verhalten Teil des globalen Problems ist und deshalb auch Teil der Lösung sein kann. Das beginnt bei kleinen Dingen, wie dem eigenen Konsumverhalten, und reicht bis hin zu politischen Entscheidungen.

Das bringt uns wieder zur Bauwirtschaft. Was ist mit den großen Architekturbüros, die aufgrund ihrer Größe und internationalen Vernetzung eine besondere Verantwortung haben?

Große Architekturbüros und Bauunternehmen haben durch ihre Marktmacht und ihren Einfluss tatsächlich eine besondere Verantwortung. Sie könnten eine Vorreiterrolle einnehmen, indem sie konsequent auf nachhaltige Baustoffe und emissionsarme Bauweisen setzen. Doch oft werden auch hier Entscheidungen getroffen, die rein auf kurzfristige Profite ausgerichtet sind. Das muss sich ändern.

Wie könnte man diesen Wandel vorantreiben?

Einerseits brauchen wir eine klare Gesetzgebung, die nachhaltiges Bauen belohnt und umweltschädliches Bauen sanktioniert. Andererseits müssen wir in der Gesellschaft einen neuen Maßstab für Erfolg setzen. Derjenige, der sich für das Wohl der Gemeinschaft einsetzt, muss als Vorbild gelten, nicht derjenige, der den höchsten persönlichen Gewinn erzielt. Das wird ein langer Prozess, aber es ist möglich.

Was gibt Ihnen persönlich Hoffnung, dass dieser Wandel gelingt?

Die letzten 20 Jahre waren für mich eine Zeit der intensiven Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Ich habe erkannt, dass wir eigentlich alle notwendigen Technologien und Lösungen haben, um die Probleme zu bewältigen. Das macht mir Hoffnung. Es gibt weltweit viele Menschen, die bereit sind, etwas zu verändern. Wenn wir diese Menschen zusammenbringen und ihnen eine Stimme geben, dann können wir den Wandel schaffen.

Das ist ein ermutigendes Schlusswort. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch, Herr Sobek.

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