Next Gen

Digitale Baumaschinen

Digitalisierung
02.02.2021

 
Auch bei Baumaschinen wird die Digitalisierung das Geschehen auf der Baustelle in den nächsten Jahren wesentlich ändern.

Seltsame Gestalten faszinieren und verblüffen seit einiger Zeit auf ausgewählten Baustellen. Mit vier zierlich wirkenden Metallbeinen klettern sie behände und schwindelfrei über Stiegen, Gerüste oder Geröllhalden, bleiben stehen, legen sich hin, drehen ihren Kopf. Es sind „Roboterhunde“ von Boston Dynamics, eingesetzt werden sie etwa von der Strabag oder vom Vorarlberger Bauunternehmen Rhomberg zur Fotodokumentation. Dass die digitalen Vierbeiner kein Gag sind, sondern Potenzial für die Zukunft haben, beweist die strategische Allianz zwischen Boston Dynamics und Trimble. Die beiden Global Player wollen die Mobilität des Roboters mit den Datenerfassungssensoren und der Software von Trimble kombinieren. Standortscans, Vermessung und Fortschrittsüberwachung sollen künftig ihre Aufgaben sein.

Boston Dynamics und Trimble wollen gemeinsam die autonome Mobilität  des „Roboterhundes“ für Standortscans, Vermessung und Fortschrittsüberwachung nützen.
Boston Dynamics und Trimble wollen gemeinsam die autonome Mobilität des „Roboterhundes“ für Standortscans, Vermessung und Fortschrittsüberwachung nützen.

Die Roboter mit vier Beinen sind nur ein Beispiel für den Einzug von digitalen Techniken auf den Baustellen. Begonnen hat diese Entwicklung vor nunmehr knapp einem Jahrzehnt, als die ersten Modems den Datenaustausch mit den Baumaschinen ermöglichten. Heute ist in einigen Bereichen bereits eine Vernetzung von Baumaschine, Planung und Projektverwaltung und -steuerung Realität. Und das soll erst der Anfang sein. Stefan Nöken, Mitglied des Vorstands der Hilti AG, skizzierte auf dem Hilti BIM Expertenforum 2019, was bevorsteht: „Die momentane Veränderung der Bauindustrie ist so substanziell, dass in den nächsten zehn Jahren mehr passieren wird als in den vergangenen hundert Jahren.“

Kombinierbare smarte Tools

Komatsu kombiniert verschiedene Softwarelösungen und IoT-Geräte, um sämtliche Prozesse auf der Baustelle in die digitale Ebene zu transformieren.
Vorangetrieben wird die Digitalisierung der Baustellen von verschiedenen Seiten. Unter den Baumaschinenherstellern ist einer der Vorreiter Komatsu. Das Unternehmen führte bereits 2015 in Japan „Smart Construction“ ein. Verschiedene Softwarelösungen und IoT-Geräte (IoT, Internet of Things) werden unter diesem Namen kombiniert. Ziel ist es, sämtliche Prozesse auf der Baustelle digital zu transformieren, um Arbeitsweisen und Zusammenarbeit zu optimieren, und das sowohl intern als auch mit Subunternehmen. „Komatsu weiß, wie man effizient Maschinen baut, dieses Know-how bringt man mit Smart Construction auf die Baustelle“, sagt Stefan Kuhn über die neue Technologie. Derzeit wird Smart Construction in Europa eingeführt. Ein Projekt startet Komatsu mit Kuhn etwa in Tschechien. In Österreich sind die Kunden noch abwartend: „Das ist verständlich“, sagt Kuhn, „denn diese im Grunde völlig neue Abwicklung erfordert in der Startphase auch vom Kunden einiges an Engagement.“ Die Lösung von Komatsu besteht aus kombinierbaren einzelnen Elementen von 3D-Darstellungen über Visualisierungen für Gelände- und Maschinendaten, Drohnen-Einbindung, Fortschritt-, Produktivität- und Profitabilität-Anzeigen und Simulationen bis zum Projektmanagement und natürlich aus allen Lösungen für die Maschinensteuerung. Auch künstliche Intelligenz wird künftig geboten, erzählt Kuhn: „Das System kann beispielsweise bei bestimmten Konflikten Lösungsvorschläge machen.“

Punktgenaue Bohrungen

Die Kombination aus dem Liebherr-Bohrgerät LB 28 und dem Positionierungssystem Lipos führte bei Fundierungsarbeiten für das Krankenhaus Oberwart zu einer deutlichen Bauzeitverkürzung.
Die Kombination aus dem Liebherr-Bohrgerät LB 28 und dem Positionierungssystem Lipos führte bei Fundierungsarbeiten für das Krankenhaus Oberwart zu einer deutlichen Bauzeitverkürzung.

Liebherr hat ebenfalls eine Reihe digitaler Lösungen im Angebot. Dazu gehören etwa Planungssoftware für den Kraneinsatz oder ein Fuhrpark- und Flottenmanagement für den Baumaschinenpark. Mit der Prozessdatenerfassung PDE etwa lassen sich Arbeitsprozesse elektronisch erfassen und visualisieren. Das Positionierungssystem Lipos wiederum ermöglicht die punktgenaue Ausrichtung der Anbauwerkzeuge. Auch Maschinensteuerungssysteme von Trimble und Leica können damit in die Prozessdatenerfassung und das Reporting integriert werden.

In der Kabine befindet sich ein zusätzlicher Monitor, der zu jeder Zeit zentimetergenau die Position von Maschine und Bohrgerät anzeigt.
In der Kabine befindet sich ein zusätzlicher Monitor, der zu jeder Zeit zentimetergenau die Position von Maschine und Bohrgerät anzeigt.

Eingesetzt wird Lipos derzeit etwa bei Fundierungsarbeiten für das neue Krankenhaus Oberwart. Züblin nutzt die Technik dort mit einem Liebherr-Bohrgerät LB 28. Mit dieser Kombination können alle Daten des digitalen Bohrplans problemlos auf die Liebherr-Maschine übertragen werden. In der Kabine befindet sich ein zusätzlicher Monitor, der dem Fahrer zu jeder Zeit zentimetergenau seine Position anzeigt. Das LB 28 lässt sich dadurch zu jedem der 1.310 Bohrpunkte manövrieren, und das ohne irgendwelche Steckeisen oder Farbmarkierungen für die Orientierung. Der Fahrer kann sich auf das Wesentliche konzentrieren, ist flexibler und vor allem schneller beim Umsetzen des Bohrgeräts. Ursprünglich war für das Einbringen der 1.310 Pfähle eine Bauzeit von vier Monaten vorgesehen, dank der Lösung von Liebherr dauert es jetzt nur drei Monate.

Digitalisierung im und als Service

Forciert wird die Digitalisierung der Baustelle auch von Anbietern, die aus dem Vermessungsbereich kommen. Trimble beispielsweise sieht sich heute als Unternehmen, das mit neuen Technologien, Softwarelösungen und Services die Digitalisierung des Bauwesens vorantreibt. Das Unternehmen bietet etwa mit dem Trimble WorksManager eine Onlineplattform, mit deren Hilfe der Anwender auf die Daten aller Maschinen und aller Vermessungsgeräte zugreifen können, erzählt Johann Bosch, Geschäftsführer von Sitech Austria: „Die gesamte Projektverwaltung erfolgt damit online.“ Dazu gibt es weitere Tools wie EarthWorks, eine intelligente Maschinensteuerung, die dem Fahrer auch viele wichtige Infos bis hin zu Bedienungshilfen in mehreren Sprachen auf dem Tablet zur Verfügung stellt.

Jeder Mitarbeiter der Vermessungsabteilung hat Onlinezugriff auf Vermessungsdaten und Baumaschinen

Siegfried Tarnawski, Gebr. Haider Gruppe Bau

„In den letzten zwölf Monaten sind diese Lösungen bei unseren Kunden zu einem großen Thema geworden“, erzählt Bosch. Geschätzt werde besonders die große Zeit- und damit Geldersparnis und die Sicherheit, dass die Daten aller Maschinen immer auf dem neuesten Stand sind. Die Gebr. Haider Gruppe Bau stattete beispielsweise in dieser Woche 20 Bagger und einen Grader mit dem Trimble-WorksManager aus. Siegfried Tarnawski, bei Haider für Vermessung und Maschinensteuerung verantwortlich, ist von der Lösung begeistert: „Jeder Mitarbeiter der Vermessungsabteilung hat Onlinezugriff auf Vermessungsdaten und Baumaschinen“, berichtet er. Mussten diese Mitarbeiter früher häufig auf die in ganz Österreich verstreuten Baustellen fahren, können sie jetzt den Datentransfer für die Maschinensteuerung und viele andere Aufgaben online vom zentralen Büro aus erledigen: „Mit dem WorksManager sind verschiedene Kommunikationsmöglichkeiten mit der Maschine und dem Fahrer möglich, all das erspart enorm viel Zeit und damit Geld“, berichtet Tarnawski.

Von der Demo zum Einsatz

Um Kunden für solche neue Technologien zu gewinnen, bedarf es allerdings wesentlich mehr Beratungsaufwand als beim Verkauf einzelner Geräte. Sitech hat sich einiges einfallen lassen, um Bauunternehmen die Lösungen und ihre Vorteile nahezubringen: „Der Kunde kann mit einer Demo-Lizenz starten, die ihm kostenlosen Zugriff auf die Plattform gibt, Schritt für Schritt wird er dann in Beratungsgesprächen mit den Möglichkeiten der Systeme vertraut gemacht, und gemeinsam wird eine für ihn optimale Lösung entwickelt“, erzählt Bosch. Die Investitionen lohnen sich, ist er überzeugt: „Bei Schubraupen oder Bagger sind Leistungssteigerungen von mehr als 50 Prozent möglich – bei gleichem Treibstoffverbrauch. Und die Arbeiten werden präzis ohne Mehraushub erledigt.“ Die Techniker von Sitech können im Bedarfsfall auf die Maschine oder das Vermessungsgerät online zugreifen und den Maschinisten oder Techniker unterstützen. Alle Earthworks Maschinensteuerungen sowie alle aktuellen Vermessungsgeräte können mit Trimble Worksmanager verbunden werden. „Wir haben auch schon Fertiger und Walzen inklusive Verdichtungs- und Temperatursensor integriert“, erklärt Bosch. Die Kompatibilität zu BIM-Systemen sei ebenfalls gegeben.

Digitaler David unter Goliaths

Das Navi von MTS Schrode wurde ausdrücklich für den Bedarf des Tief- und Straßenbauers konzipiert und ist bis hin zu BIM für viele Anwendungen offen.
Das Navi von MTS Schrode wurde ausdrücklich für den Bedarf des Tief- und Straßenbauers konzipiert und ist bis hin zu BIM für viele Anwendungen offen.
Einen digitalen Lösungsbaukasten für 3D-Baustellen bietet auch MTS Schrode AG. Als Herzstück des Systems bezeichnet die Firma, die sich als David unter den Goliaths sieht, das MTS-Navi. Dessen große Stärke laut Firma: Es wurde ausdrücklich für den Bedarf des Tief- und Straßenbauers konzipiert. Das MTS-Navi ermöglicht intuitives Navigieren durch alle Anwendungsschritte. Die vollständige Einbindung eines CAD-Kerns erlaubt das wahlweise Ein- und Ausblenden von grafischen Elementen wie beispielsweise Straßenrändern und Kabeln. Als Bedien- und Anzeigegerät wird ein Toughpad von Panasonic eingesetzt, das auch am MTS-Rover zu Vermessungszwecken oder als Bürorechner genutzt werden kann und mit Systemen anderer Hersteller kompatibel ist. Außerdem lassen sich andere Automatisierungstechnologien wie der MTS-Verdichtungsassistent oder der MTS-Tiltrotator einbinden. Der Hersteller verspricht, dass das MTS-Navi den Bagger auch BIM-tauglich mache und schon heute alle Anforderungen des modellbasierten Bauens erfülle. Für die Integration weiterer Anwendungen in Richtung Dokumentation und Abrechnung sei die Technik ebenfalls geeignet.

Herausforderung des Kombinierens

So völlig problemlos, wie das die Anbieter propagieren, lassen sich die einzelnen Systeme allerdings nicht kombinieren, hört man von der Bauwirtschaft. „Die meisten Hersteller wollten mit ihrem eigenen System Marktführer werden. Jetzt zeichnet sich langsam ein Aufwachen an“, erzählt Walter Haberfellner, im Bereich Strabag Innovation & Digitalisation für den digitalen Site Service verantwortlich. Durch Gespräche mit den Firmen, aber auch durch Engagement im Bereich der Normung versucht die Strabag Standards voranzutreiben. Als einen aktuellen Erfolg dabei bezeichnet Haberfellner die ÖNorm A 2063. Mit ihr soll noch im diesem Jahr erstmals ein standardisierter Datenaustausch zwischen BIM-Modell und AVA-Software für Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung möglich sein.

Derzeit verwendet quasi jeder sein eigenes BIM. Hier wäre eine einheitliche Plattform zur Nutzung kollaborativer Modelle und Methoden wünschenswert, und das würde mit Sicherheit zu einer höheren Akzeptanz und einem flächendeckenderen Einsatz von BIM beitragen.

Karl-Heinz Strauss, CEO Porr AG

Ähnlich äußert sich Porr-CEO Karl-Heinz Strauss über BIM generell: „Um die bestmöglichen Ergebnisse aus dem Einsatz von BIM erzielen zu können, ist diese Durchgängigkeit der zu verarbeitenden Daten eine relevante Voraussetzung.“ Es sei zwar zu erkennen, dass viele Partner und Subunternehmer bereits mit dieser Entwicklung mitgehen – es gebe aber nach wie vor keine klar standardisierte Nomenklatur: „Derzeit verwendet quasi jeder sein eigenes BIM. Hier wäre eine einheitliche Plattform zur Nutzung kollaborativer Modelle und Methoden wünschenswert, und das würde mit Sicherheit zu einer höheren Akzeptanz und einem flächendeckenderen Einsatz von BIM beitragen.“ Zumindest die großen Unternehmen der Bauwirtschaft arbeiten heute mit Hochdruck an der Umsetzung der Möglichkeiten des Bauen 4.0: „Digitale Prozesse haben das Potenzial, überall in der Bau-Wertschöpfungskette durchzugreifen und das komplette Bauwesen zu revolutionieren“, so Strauss.

Forschung fürs Bauen 4.0

Auf dem Weg zur digitalen Baustelle fehlen in vielen Bereichen Standards, darüber sind sich Experten und Anwender einig. Maximilian Schöberl vom Institut für Fördertechnik Materialfluss Logistik an der TU München beschäftigt sich im Rahmen des Forschungsprojekts Bauen 4.0 gemeinsam mit einem Team der TU Dresden mit der Digitalisierung der Baustellen. Die automatisierte, vernetzte Arbeits­maschine, die 5G-Vernetzung sowie Prozesse und Lösungen für die digitale Baustelle sind die Forschungsschwerpunkte, und dabei spielen Datenübertragung und Standards eine wesentliche Rolle. Schöberl sieht konkrete Schritt zur Standardisierung, etwa die neue Norm ISO 15143/4, die den Datenaustausch mit Baumaschinen regeln wird. Das Team arbeitet auch an einem baumaschinen­spezifischen Daten­modell unter Verwendung ­bestehender OPC-UA-Spezifikationen. Bis Sommer 2022 sollen die Entwicklungen getestet und im­ Baustellenumfeld evaluiert sein.

Hauseigene Lösungen

Einige Baukonzerne entwickeln digitale Lösungen auch im eigenen Unternehmen. Bei der Strabag ist dieses Engagement nicht mehr auf zentrale Einheiten beschränkt, erzählt Haberfellner. „Unser Bereich Innovation und Digitalisierung versteht sich als Dienstleister, der die operativen Kollegen bei neuen Lösungen unterstützt.“ So soll maximaler Raum für Kreativität geschaffen werden. „Es ist gerade in diesem Bereich sehr wichtig, neue Ideen aufzugreifen rasch zu prüfen und umzusetzen“, sagt Haberfellner. Auf diese Weise ist die Strabag auch auf die Roboterhunde von Boston Dynamics gekommen, die bei einer Baustelle die Fotodokumentation erstellen. Grundsätzlich will das Unternehmen aber nicht technologiegetrieben agieren: „Wir sind heute bereits einen Schritt weiter, wir wollen nicht mehr unbedingt alles Neue einsetzen, sondern wir interessieren uns für den Prozess dahinter, für den langfristigen Benefit“, erläutert Haberfellner. Digitale Technik sei schließlich kein Nice-to-have, sondern müsse am Ende des Tages Nutzen für das Unternehmen bringen. Das werden die richtigen Lösungen zweifellos tun.

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