Rechtstipps
Bauvertragliche Auswirkungen von Preissteigerungen
ÖNORM B 2110/2118 als Vertragsgrundlage
Wurde ÖNORM B 2110/2118 vereinbart, so ordnet diese in Pkt. 7.2.1 Ereignisse der Sphäre des Auftraggebers zu, wenn sie entweder
- die vertragsgemäße Ausführung der Leistung objektiv unmöglich machen oder
- zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren und vom Auftragnehmer nicht in zumutbarer Weise abwendbar sind.
An dieser Zuordnung in die AG-Sphäre ändert auch die Regelung in Pkt. 7.2.2 der ÖNORM B 2110/2118 nichts, die Dispositionen des Auftragnehmers in dessen Sphäre zuordnet, da derartige unvorherseh- und unabwendbare Ereignisse gerade keine Möglichkeit zur Disposition lassen.
Lieferengpässe
Sind zur Vertragsausführung notwendige Materialien oder Baustoffe aufgrund von unvorhersehbaren Entwicklungen nicht oder nicht in ausreichender Menge erhältlich, so wird man dies als eine in die Sphäre des Auftraggebers fallende Störung der Leistungserbringung ansehen müssen. Der Auftragnehmer hat eine darauf zurückzuführende Verzögerung nicht zu vertreten, es entsteht auch kein Anspruch des Auftraggebers auf Leistung einer allenfalls vereinbarten Vertragsstrafe gemäß Pkt. 6.5.3 der ÖNORM B 2110/2118.
Preissteigerungen
Die Problematik unvorhersehbarer und unzumutbarer Preissteigerungen wird vor allem dann bestehen, wenn Festpreise vereinbart wurden. Hier ist im Einzelfall mittels Vertragsauslegung zu klären, ob ein Auftragnehmer mit der Vereinbarung eines Festpreises auch das Risiko unvorhersehbarer nachträglicher Änderungen im Bereich der Kalkulationsgrundlagen übernommen hat.
In diesem Zusammenhang ist bei öffentlichen Aufträgen insbesondere § 29 BVergG zu berücksichtigen, der ausdrücklich verbietet, zu Festpreisen auszuschreiben, wenn dem Auftragnehmer durch preisbestimmende Kostenanteile, die einer starken Preisschwankung unterworfen sind, unzumutbare Unsicherheiten entstehen.
Vorgehen/Anmeldung eines Anspruchs
Der Auftragnehmer hat seine Forderung auf Vertragsanpassung nach Punkt 7.3 und 7.4 der ÖNORM B 2110/2118 beim Auftraggeber anzumelden. Auch bei einer rechtlich unsicheren Situation wird geraten, Ansprüche auf Preisanpassung und Verlängerung der Leistungsfrist im Zweifel dem Grunde nach anzumelden und dies aus Beweisgründen schriftlich zu machen. Die Forderungen der Höhe nach sind dem Auftraggeber ehestens zur Prüfung vorzulegen.
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) als Vertragsgrundlage
Bestehen keine vertraglichen Vereinbarungen, so gelten die Regelungen des ABGB. Gemäß ABGB fallen Preissteigerungen und Lieferengpässe in die neutrale Sphäre, die grundsätzlich dem Werkunternehmer zugeordnet wird.
Dennoch trifft den Unternehmer an Verzögerungen in Folge von Lieferengpässen kein Verschulden, sodass eine Vertragsstrafe, die gemäß ABGB nur bei Verschulden zu bezahlen ist, nur dann zu leisten ist, wenn sie davon abweichend verschuldensunabhängig vereinbart wurde.
Neu abzuschließende Bauverträge
Da die ÖNORM für eine Sphärenzuordnung zum Auftraggeber darauf abstellt, dass Ereignisse „zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht vorhersehbar waren“, gilt das oben Ausgeführte nicht für Bauverträge, die noch nicht abgeschlossen worden sind. Sofern rechtlich und tatsächlich möglich, wird empfohlen, im Hinblick auf die Bauzeit großzügige Zeitreserven zu berücksichtigen oder eine Klausel für zeitliche Verzögerungen und daraus resultierende Mehrkosten aufzunehmen.
Generell empfiehlt es sich, die neu entstandenen Risiken bei der Erstellung der Angebote bzw. bei Vertragsabschluss zu berücksichtigen.
(bt)
Quellen: Bundesinnung Bau und Fachverband Bauindustrie, 04/2021; Bundesinnung Baunebengewerbe, 03/2021
Gutachten in Ausarbeitung
Um für die Praxis möglichst konkrete Anhaltspunkte geben zu können, welche Risiken von welchem Vertragspartner zu tragen sind, werden von der Bundesinnung Bau kurzfristig zwei Gutachten bei namhaften Universitätsprofessoren beauftragt, welche die einschlägige Rechtslage übersichtlich aufbereiten und bestehende Zweifelsfälle klären sollen.