Brennpunkt

Betriebsblindheit: Runter mit den Scheuklappen!

15.11.2024

Routinen sind gut, standardisierte Prozesse wichtig: Gerade in Handwerksbetrieben ist das Gewohnte Teil des Arbeitsalltags. Aber was, wenn die Routine zur Stagnation führt?

Never change a running system“: Nie ein funktionierendes System zu verändern, galt in vielen Unternehmen lang als Maxime. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist das allerdings ein fast schon gefährlicher Leitsatz. Aber warum eigentlich etwas ändern, wenn es eh gut läuft und Routinen im Betrieb zum gewünschten Ergebnis führen? Weil es dazu führen kann, dass neue Entwicklungen oder nötige Veränderungen übersehen werden, die für die Zukunft wesentlich sein können. Der Arbeitsalltag verstellt dabei oft den Blick auf nötige Veränderungen – Betriebsblindheit stellt sich schneller ein, als man denkt. Aber was braucht es, um Prozesse schlau und nachhaltig zu hinterfragen?

Perspektiven ermitteln

„Wir unterscheiden hier zuallererst ganz klar zwischen Routinen und Standards“, so Lorenz Kilga, Managing Director bei Design Network. Als strategischer Markenentwickler weiß er, wie die Branche tickt und entwickelt seit vielen Jahren gemeinsam mit seinem Team wettbewerbsfähige Lösungen. „Während Routinen sich im Laufe der Zeit entwickeln, schaffen Standards klare Vorgaben, die Sicherheit, Kontinuität und Qualitätsstandards schaffen.“ Und aus seiner Sicht ist es wesentlich, diese standardisierten Prozesse immer wieder aus der Ferne zu betrachten. „Tischlereien tappen sehr schnell in die Falle, Dinge immer wieder so zu machen, wie sie schon immer gemacht worden sind.“ Hier hilft also der Blick von außen – gepaart mit der Innovationskraft, die ohnehin schon im Betrieb vorhanden ist: den eigenen Mitarbeitenden. „Wir arbeiten stark daran, genau das zu sehen und zu fördern“, so Kilga weiter. Dabei wird mitunter schon mal ein eigenes Change-Team im Betrieb etabliert, das sich mit folgenden Fragen beschäftigt: Was muss ich können, liefern und tun, damit der Prozess weiterläuft und sich verbessert? „Bei Betriebsblindheit taucht oft der Wunsch nach mehr Struktur auf. Hier ist wichtig, ganz genau zu schauen, in welchen Bereichen mehr Struktur gewünscht und sinnvoll ist.“ Anforderungen und Wünsche seien nämlich unterschiedlich. „Eine gute Ausrichtung, gegenseitiges Verständnis und klare Kommunikation sind die Grundpfeiler für eine gute Struktur“. 

Gemeinsam ins Tun kommen

Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Prozesse, die hinterfragt werden können. „Bei uns ist es oft der Auftragsprozess. Viele unserer Kunden sagen ‚Wir wissen eh, was wir tun““, erklärt Kilga. Dann beginnt oft der wirklich spannende Teil der gemeinsamen Arbeit: „Wir schauen gemeinsam genau hin und beginnen, zu hinterfragen – am Ende stehen meist viele wichtige Aha-Momente.“ Größtenteils notieren die Mitarbeitenden in Betrieben ihre Prozesse für sich selbst und ermitteln, was sie getan haben, was sie dafür können müssen und was geändert werden muss, damit der Prozess gut weiterlaufen kann. „Diese individuellen Notizen sind ein riesiger Schatz. Wir fassen diese Ergebnisse zusammen und machen daraus ein Handbuch. Der Vorteil: Dieses Handbuch ist in der Sprache der Mitarbeitenden verfasst und damit ein großartiges Entwicklungstool. Plus: Es führt dazu, dass sie sehen, dass ihre Meinung geschätzt wird“, erklärt Lorenz Kilga. Gemeinsam ins Tun kommen anstatt von oben herab etwas überstülpen, heißt also die Devise. Damit werden nicht nur Prozesse klarer und nachhaltig besser, sondern auch die Unternehmenskultur profitiert davon. „Wenn ich Mitarbeitende mitreden lasse und Verantwortungsbereiche klar definiere und zuteile, entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl, das nachhaltiges Wachstum ermöglicht.“ 

Am Puls der Zeit bleiben

„Wir schauen gemeinsam genau hin und beginnen, zu hinterfragen – am Ende stehen meist viele wichtige Aha-Momente.“ Lorenz Kilga, Design Network © DesignNetwork

„Wiederkehrende Routinen schaffen Sicherheit. Als Menschen sind wir Gewohnheitstiere – viele von uns wehren sich deshalb auch erstmal gegen Veränderungen“, so Mario Kwas von der Fachhochschule (FH) Wiener Neustadt. Er ist als Leiter des Masterstudiengangs Entrepreneurship & Applied Management täglich mit Menschen im Austausch, die ein Business aufbauen wollen oder in Generationennachfolge ein KMU übernehmen. „In volatilen Zeiten ist Veränderung allerdings an der Tagesordnung. Wenn ich als Unternehmen auf hohem Niveau arbeite, bemerke ich es vielleicht nicht so stark. Wenn die Umsätze sinken, wird es allerdings schnell eng.“ Kwas, der vor seiner Lehrtätigkeit  lange als Geschäftsführer eines klein- und mittelständischen Industriebetriebs tätig war, weiß, wovon er spricht. Und hat auch gute Erfahrungen mit Ideen, die von außen in den Betrieb eingebracht werden: „Mein Chef war damals froh über meine Inputs, weil er selbst gemerkt hat, dass er und sein Team schon betriebsblind waren.“ Ob man diesen Umstand als positiv oder negativ bewertet, liegt laut Kwas stark an der Unternehmenskultur – und der Wille zur Veränderung beginnt auf Chefebene. „Alle Unternehmen wünschen sich Stabilität, volle Auftragsbücher, zuverlässige Lieferanten und zufriedene Kunden. Aber wenn ich mich nicht aktiv damit auseinandersetze und diese Prozesse regelmäßig hinterfrage, bleibe ich langfristig nicht am Puls der Zeit.“  

Planungshorizonte neu bewerten

Apropos Zeit: Wo sich früher Planungshorizonte über mehrere Jahre hinweg bewegt haben, ist innerhalb der letzten fünf Jahre deutlich mehr Tempo gefragt. „Wir sind seit einigen Jahren mit Ereignissen konfrontiert, die wesentliche Einflüsse auf die unternehmerische Planung haben: Von der Pandemie über die Teuerung bis hin zur Energiekrise und den Fachkräftemangel.“ Die Schwierigkeit dabei: Ereignisse in diesem Ausmaß kann niemand vorhersagen und die wirtschaftlichen Auswirkungen erfordern mehr Veränderungswille und damit auch Flexibilität. „Gerade jetzt gilt: Die Augen verschließen und sich unter der Decke verkriechen, ist keine gute Idee – selbst, wenn das Geschäft (noch) gut läuft“. Wir sind also alle von den Umständen betroffen, die Richtungsänderung kann laut Mario Kwas nur gemeinsam gelingen. „Wenn Mitarbeitende in den Veränderungsprozess nicht eingebunden werden, wird es schwierig, weil sie in der Regel vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“ Nach dem Motto: „Betroffene zu Beteiligten machen“ regt der Experte Unternehmen dazu an, Mitarbeitende aktiv einzubinden: So wird Veränderung leichter von allen mitgetragen und auch die Bindung an das Unternehmen wird stärker. 

Sparringspartner

„Gerade jetzt gilt: Die Augen verschließen und sich unter der Decke verkriechen, ist keine gute Idee – selbst, wenn das Geschäft (noch) gut läuft.“ Mario Kwas, Fachhochschule Wiener Neustadt  © Mario Kwas

Aber braucht es dabei immer eine externe Person, die Veränderung möglich macht? „Es gibt Führungskräfte, die haben einen guten Blick nach außen, die brauchen vielleicht eher eine Beratung für die internen Prozesse. Und dann gibt es Unternehmen, die haben den Fokus stark nach innen gerichtet, hier lohnt sich oft jemand, der den Blick nach Außen bewusst fördert“, so Kwas weiter.

Ein Sparringspartner ist also in jedem Fall hilfreich, Problem dabei: „Externe Berater haben leider oft ein sehr schlechtes Standing, weil sie in der Regel Veränderung anstoßen – hier kommt es stark auf die Wahl der Person und ihrer Expertise an, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich.“ Auch bei einem Generationenwechsel im Betrieb ergibt sich oft die Chance, mögliche sinnvolle Veränderungen einzuläuten. „Wenn die alte Generation das Ruder nicht übergeben will und nicht loslassen kann, wird das allerdings schwierig. Hier lohnt es sich, Spezialisten an Bord zu holen, die auf einer Metaebene unterstützen.“ 

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