Der Kampf um die Lehrlinge
Mit der „Baulehre neu“ will die Wirtschaftskammer die Ausbildung reformieren. Vonseiten der Betriebe wünscht man sich ein individualisiertes und kompetenzorientiertes Angebot.
Einerseits konnte die Bauwirtschaft 2017 ein erfolgreiches Jahr verzeichnen, andererseits kämpft die Branche seit einiger Zeit mit einem erheblichen Nachwuchsproblem. Zwar haben im vergangenen Jahr wieder um 14,7 Prozent mehr Jugendliche eine Lehre am Bau begonnen, die Zahlen bleiben aber besorgniserregend. Die Geschäftsstelle Bau hat deshalb die Strategiegruppe „Baulehre neu“ ins Leben gerufen, die sich neben dem Image vor allem um eine Reformierung des Ausbildungssystems kümmern soll. In einem Dreistufenmodell – so der aktuelle Plan – soll den Lehrlingen neben den Grundzügen des Bauberufs und spezialisiertem Wissen in den unterschiedlichen Berufen (Maurer, Tiefbauer, Schalungsbauer) auch verschiedenste Inhalte zur Spezialisierung des Facharbeiters vermittelt werden. Veränderungsbedarf hinsichtlich des Ausbildungsprogramms sehen auch die Betriebe. Zwar zeigt man sich mit dem gegenwärtigen Ausbildungsprogramm grundsätzlich zufrieden, die Baulehre neu wird trotzdem als überwiegend positiv bewertet. „Was Veränderungen betrifft, war die Baubranche in den letzten Jahrzehnten eher starr. Das hat sich vermutlich auch auf die Lehre ausgewirkt“, sagt Jürgen Jussel, Personalverantwortlicher und Mitglied der Geschäftsleitung bei Rhomberg Bau. „Das, was wir heute brauchen, ist eine kompetenzorientierte Ausbildung, die auf die individuellen Stärken und Schwächen der Lehrlinge eingeht und die Ausbildung individuell abstimmt.“ Gleichzeitig müsse man den Jungen genügend Freiraum und auch Möglichkeiten bieten, um sich in gewissen Bereichen spezialisieren zu können.
Individualität und Spezialisierung – dafür setzt man sich auch bei Doka ein. „Wir versuchen derzeit die Ausbildung mit eigenen Lehrlingsseminaren abzurunden. Dadurch hat jeder Lehrling die Möglichkeit, seine Ausbildung über den gewählten Lehrberuf hinaus zu gestalten“, sagt Michael Fuker, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens. Von wirtschaftlichen Themen bis hin zum Erlernen professioneller Präsentationstechniken sei alles dabei. Auch die Lehre mit Matura und die Möglichkeit, ein Auslandspraktikum zu absolvieren, sieht er als Anreiz, sich für eine Lehre zu entscheiden.
Online statt offline
Neben dem individuellen Lehrangebot seien auch die Chancen, die die Technikaffinität der Jugendlichen und die Digitalisierung mit sich bringen, für die Reformierung der Ausbildung wesentlich. Für Jussel wäre etwa eine eigene E-Learning-Plattform, wie es sie an den meisten Universitäten gibt und bei der die Lehrlinge zusätzlich online Aufgaben erfüllen und Informationen zur Verfügung gestellt bekämen, denkbar. „Das würde ebenfalls zur Individualisierung beitragen, und ich bin mir sicher, dass früher oder später kein Weg daran vorbeiführt.“
Sabine Leutner, HR-Leiterin bei Leyrer + Graf, denkt dabei noch einen Schritt weiter. „Neben der klassischen E-Learning-Plattform könnte man auch eine E-Plattform für Lehrlinge einrichten, auf der sie eigene Fotos und Videos aus ihrem Lehrlingsalltag online stellen können, um so auch die Kreativität und den Spaß anzutriggern.“
Fokus auf Social Skills
Außerdem würde sich Leutner einen stärkeren Fokus auf die sogenannten Social Skills, die im aktuellen Ausbildungsprogramm ihrer Meinung nach vernachlässigt werden, wünschen. Diese haben auch für Jussel einen hohen Stellenwert. Allerdings sieht er hier vor allem die Betriebe gefordert. „In einzelne Fächer auch soziale Kompetenzen zu integrieren, macht zwar Sinn.“ Allerdings könne man nicht die ganze Verantwortung diesbezüglich auf die Berufsschule abschieben. „Außerdem bin ich der Meinung, dass Lehrlingstage oder auch Lehrlingscamps, wie wir sie in unserem Unternehmen anbieten, der bessere Rahmen sind, um soziale Kompetenzen wie Teamwork oder Kommunikation zu vermitteln. Denn so haben wir auch die Möglichkeit, unsere Unternehmenskultur im Sinne einer langfristigen Bindung den Lehrlingen mitzugeben.“
Dass die rein fachliche Ausbildung und ein Arbeitsplatz mit fairer Entlohnung heute nicht mehr ausreicht, sieht auch Manfred Eckerstorfer, Lehrlingsbeauftragter bei Kapl Bau. Viel wichtiger sei es, dass sich die Arbeitnehmer – und da spreche er nicht nur von Lehrlingen – im Betrieb wohlfühlen, nur so würden sie auch bleiben. „Deswegen investieren wir sehr viel, veranstalten Lehrlingstage sowie Lehrlingsausflüge und nehmen an Lehrlingsshows teil. Das funktioniert sehr gut, und der Erfolg gibt uns recht.“
Problem: Kommunikation
Trotz des Reformierungswillen, was die Ausbildung angeht, für alle vier ist sie allein nicht die Lösung des Problems. „Für mich liegt der Grund, warum immer weniger Jugendliche eine Lehre beginnen, vor allem am gesellschaftlichen Stellenwert des Bauberufs, der unbedingt wieder gestärkt werden muss“, so Eckerstorfer. Dem stimmt auch Leutner zu. „Deshalb würde ich mir vor allem kommunikative Maßnahmen wünschen, die den Bauberuf generell attraktiver zeigen und die Lehre als gleichberechtigtes Tool zu Schulen, FHs und Studiengängen darstellen. Nur bei den Jugendlichen anzusetzen ist eine eher kurzfristige und nicht nachhaltige Aktion.“
Die richtige Kommunikation ist auch für Jussel der Schlüssel zum Erfolg, der diesbezüglich auch die Interessenvertretungen in der Verantwortung sieht. Das Wichtigste sei dabei, vor allem die positiven Seiten des Berufs hervorzuheben. Neben den sehr vielfältigen Karrierechancen und der guten Bezahlung für Lehrlinge zähle dazu auch das Arbeiten draußen in der Natur und das Schaffen von Dingen, die man anfassen kann. Zudem fehle es nach wie vor an einer umfassenden Aufklärung, welche Berufsmöglichkeiten es am Bau gibt. „Besonders im Bereich Tiefbau haben wir jedes Jahr große Probleme, Lehrkräfte zu finden. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Jugendlichen nicht wissen, dass dieser Lehrberuf überhaupt existiert und nur wenig Ausbildungsstätten vorhanden sind.“
Mit denselben Problemen schlägt man sich auch bei Doka herum. Insgesamt 14 Lehrlinge bildet das Unternehmen derzeit aus. Darunter fällt auch der Beruf des Schalungsbauers, der es bereits auf die Mangelberufsliste geschafft hat. „In Lehrberufen, die in der Öffentlichkeit allgemein weniger bekannt sind und nicht ausreichend beworben werden, nimmt die Zahl der Jugendlichen stark ab. Daher ist es auch schwieriger geworden, Jugendliche auf den Lehrberuf Schalungsbauer überhaupt aufmerksam zu machen“, spricht Fuker aus Erfahrung.
Versucht wird es trotzdem. Bei Doka setzt man dabei vor allem auf die Möglichkeiten der neuen Medien. „Durch das Posten von Beiträgen, Bildern und Videos auf unseren sozialen Medienkanälen informieren wir die Jugendlichen ständig über die vielfältige Auswahl an Lehrberufen bei uns.“ Leyrer + Graf, aber auch Kapl Bau arbeiten sehr stark mit polytechnischen Schulen aus der Region zusammen. „Zusätzlich organisieren wir Betriebsbesuche, veranstalten regelmäßig Lehrlingsinformationsabende, bei denen sich auch die Eltern ein Bild vom Unternehmen, von den Lehrberufen sowie unserer Unternehmenskultur machen können, und bieten Schnupperlehren an“, sagt Leutner. Sie könne auch verstehen, dass sich Jugendliche durch individuelle Ausbildungsmöglichkeiten und Sonderboni angesprochen fühlen. „Letztendlich ist es aber eine höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen, und idealerweise entscheidet sich ein Lehrling seinem Talent entsprechend und nicht wegen äußerer Reize. Nur so ist es auch langfristig eine Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.“