Pimp my Mitarbeiter*in
Exoskelette könnten bald ein alltägliches Werkzeug auf den heimischen Baustellen werden. Doch sind sie wirklich die Lösung zum besseren Arbeitnehmer*innen-Schutz?
Anlegen wie einen Rucksack, dann die Gurte richtig einstellen und die Pads anpassen – so einfach ist ein Exoskelett angezogen und einsatzbereit. Was auf einer Pressekonferenz von Ottobock im Rahmen der Bau München 2019 Journalist*innen zu Aussagen wie „ein Hauch von Science-Fiction“ verleiten ließ, ist bei weitem keine Technik der Zukunft.
Exoskelette werden vor allem in der Automobilindustrie ein immer wesentlicherer Faktor in den Bereichen Arbeitnehmer*innenschutz und Vorbeugung von muskulären Erkrankungen durch repetitive Tätigkeiten. Und auch in der Baubranche eröffnen sich breite Anwendungsmöglichkeiten durch die verschiedenen am Markt erhältlichen Systeme.
Häufige Beschwerden von Arbeiter*innen
Muskel-Skelett-Beschwerden und Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) stellen ein bedeutendes gesellschaftliches Problem dar und gehen mit einer hohen Belastung des Gesundheitssystems, der Wirtschaft sowie der Betroffenen Hand in Hand. Laut dem Fehlzeitenreport 2019 des Wifo fällt rund ein Fünftel aller Krankenstandstage auf eine Erkrankung des Muskel-Skeletts-Systems, wobei diese Krankenstände durchschnittlich 15,4 Tage betragen.
Dabei betrifft ein Drittel aller krankheitsbedingten Ausfälle aufgrund von MSE die Beschäftigten in der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren. Kombiniert mit dem demografischen Wandel, der Österreich bevorsteht – laut Statistik Austria werden 2050 mehr als 40 Prozent aller Arbeitnehmer*innen über 45 Jahre alt sein –, werden MSE ein noch gravierendes Problem werden. Vorbeugen könnte hier der Einsatz von Exoskeletten.
Wirksame Unterstützung
„Die Wirksamkeit von Exoskeletten wurde in dem EU-Forschungsprojekt Andy evaluiert: Die körperliche Belastung der Probanden konnte um 55 Prozent gesenkt werden, und auch die Herzfrequenz während der Arbeiten sank um 21 Prozent“, so Wolfgang Baumann, CEO der AWB Schraubtechnik- und Industriebedarf GmbH, die Exoskelette verschiedenster Hersteller vertreibt. Dennoch sei von keinem Allheilmittel zu sprechen, es komme darauf an, das richtige Produkt für den richtigen Einsatz zu wählen.
Das sieht man auch aufseiten der AUVA so, die von vielen Arbeitgeber*innen erwartete eierlegende Wollmilchsau seien Exoskelette (noch) nicht. „Man muss festhalten, dass sie nicht die einfache Lösung aller Probleme sind“, stellen Anne Mück und Markus Lombardini, Expert*innen der Fachgruppe Ergonomie der AUVA-Landesstelle Wien, fest. „Viele Probleme lassen sich anhand einfacher gestalterischer Anpassungen am Arbeitsplatz oder durch Änderung von Abläufen lösen.“ Dennoch beobachte man die aktuellen Entwicklungen sehr genau und sehe auch Potenzial.
Welche Arten von Exoskeletten gibt es?
Grundsätzlich kann man drei Typen von Exoskeletten unterscheiden: aktive, passive und softe. „Aktive Exoskelette enthalten einen Motor, der für mich die Bewegung ausführt oder diese sehr stark unterstützt. Das kennt man vor allem aus der Rehabilitation“, erklärt Baumann. „Die passiven setzten auf mechanische Hilfsmittel wie z. B. Feder- oder Seilzugsysteme, um Bewegungsabläufe zu unterstützen sowie Entlastung zu bieten. Softe Varianten sind eher unterstützend bzw. stabilisierend zu betrachten.“ Vor allem Letztere bieten für die Baubranche auch schon jetzt alltagstaugliche Lösungen an.
Wachsendes Repertoire
Das aktuell verfügbare Repertoire an Exoskeletten lässt erahnen, wohin es in den nächsten Jahren gehen kann, und auch die Zahl der Exoskelett-Hersteller wächst stetig an. Aktuell gibt es rund 30 Unternehmen, die Produkte in diesem Segment anbieten und entwickeln. Eine der Firmen, die beispielsweise offensichtlich mit der Baubranche liebäugelt, ist Ottobock SE. Der Hersteller von Prothetik und Orthesen entdeckte das Segment Exoskelette und deren Anwendung im Arbeitsalltag vor einiger Zeit für sich sowie die Möglichkeiten, die die Branche bietet. Folglich stellte Ottobock vor zwei Jahren das Exoskelett Paexo vor, das eigens entwickelt wurde, um Arbeiter*innen zu entlasten.
Paexo ist ein passives Exoskelett, das keine Energiezufuhr benötigt und mit 1,9 Kilogramm Eigengewicht leicht ist. Im Überkopf-Einsatz wird dabei das Gewicht der erhobenen Arme des Trägers über die Armschalen mithilfe einer mechanischen Seilzugtechnik auf die Hüfte abgeleitet. Das schont laut dem Hersteller die Muskeln und Gelenke im Schulterbereich, so lassen sich Tätigkeiten über Kopf komfortabler ausführen. Konzipiert wurde Paexo für diese Arbeiten im Aus- und Trockenbau, in der Bauelektrik sowie im Hochbau.
Um die Entwicklung von Exoskelett-Systemen voranzutreiben, vereinbarten letzten Sommer Ottobock SE und die Hilti-Gruppe eine Technologie-Partnerschaft. Die Lösungen sollen neue Angebote bezüglich Gesundheitsschutzes und Produktivität bieten und den Zukunftsmarkt Bauindustrie erschließen.