Brennpunkt
Keine Frage der Kompetenz
Hohe körperliche Anstrengung, technisch komplexe Anforderungen oder handwerkliches Wissen und Erfahrung: Wenn es um die Beschreibung von Handwerksberufen geht, ist nach wie vor für viele Berufsanwärter und -innen klar, dass es sich hier um einen klassischen Männerberuf handelt. Aber gerade in Zeiten des Fachkräftemangels gilt es, endlich den Blick zu weiten und über Generationen tradierte Rollenbilder zu hinterfragen. Denn gängige Geschlechterstereotype führen auch dazu, dass Mädchen und Frauen ihre Talente und Kompetenzen massiv unterschätzen, wenn es um Technik- und Handwerksberufe geht.
Aber was braucht es, um weibliche Talente zu fördern? Welche Rahmenbedingungen sind dabei wichtig? Und wie gelingt es, Frauen in Handwerksberufen langfristig zu halten? Eine, die sich schon seit vielen Jahren mit genau dieser Frage auseinandersetzt, ist Sonja Weiser vom Wiener Verein Sprungbrett. Dort wird ein umfassendes Unterstützungsangebot geboten, das junge Frauen und Mädchen in ihren Berufswünschen bestärken und fördern soll. Eines der vielen Projekte, die genau hier ansetzen, ist "youngFIT". Das Programm soll als Plattform für Talente zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren eine Möglichkeit bieten, die eigenen Interessen zu erkunden und zu erweitern – und das gerade in Berufsfeldern mit niedrigem Frauenanteil. Stärkung und Empowerment stehen dabei im Fokus: "Wir stellen unterschiedlichste Handwerksberufe vor, geben eine erste Orientierung und unterstützen Mädchen bei ihrem Wunsch, ihre berufliche Zukunft in diesem Bereich leben zu können“, so Weiser.
Wichtige Weichenstellung für Tischlerinnen
Die wesentliche Frage ist, wo man in Sachen Talentförderung ansetzen kann und soll. Die Krux daran: Im klassischen Schulsystem werden verschiedene Ausbildungsoptionen in der Regel am Ende der Pflichtschulzeit in den Fokus gerückt. "Wir müssen deutlich früher beginnen“, ist Weiser überzeugt. "Mädchen werden in ihren ersten fünfzehn Lebensjahren durch Sozialisation enorm geprägt – und das vor dem Hintergrund klassischer Rollenbilder.“ Soll heißen: Mädchen werden gelobt, wenn sie brav sind, Jungs in den meisten Fällen aber dafür, wenn sie etwas gut machen. Talente bleiben hier meist unentdeckt, darüber hinaus sind in unserer Gesellschaft nach wie vor Frauen zu deutlich mehr als 50 Prozent für die Care- und Familienarbeit zuständig. Genau deshalb sei die Basisarbeit wichtig: "Wenn wir wollen, dass sich Mädchen für Technik- und Handwerksberufe entscheiden, müssen wir ihnen auch zeigen, dass es diese Berufe für sie gibt“, so Weiser. Ansetzen müsse man eigentlich im Kindergarten und in der Volksschule, schon dort die Mädchen in ihren Talenten sehen und unterstützen. Ganz schön schwierig, wenn Eltern und Kinder durch die klassischen Medien mit gendertypisierenden Inhalten überschwemmt werden und sich Bilder von Bob der Baumeister und Susi der Krankenschwester schon früh in die kleinen Hirne einbrennen.
Wenn wir wollen, dass sich Mädchen für Technik- und Handwerksberufe entscheiden, müssen wir ihnen auch zeigen, dass es diese Berufe für sie gibt.
Hard working (wo)men
Auch viele Eltern können sich für ihre Tochter keine berufliche Karriere im Handwerksbereich vorstellen – dadurch bleibt viel Potenzial unentdeckt. Dahinter steckt oft die Sorge, der Beruf sei zu schwer, zu anstrengend, körperlich zu herausfordernd. "Natürlich ist der Arbeitsalltag in einer Tischlerei auch geprägt von schwerer körperlicher Anstrengung – aber das gilt für beide Geschlechter“, so Weiser weiter. "Und ganz ehrlich: In einem klassisch weiblich gelesenen Beruf, nämlich in der Pflege, fragt niemand, ob eine Frau Patienten von einer Bettseite auf die andere umlagern kann. Sie macht es einfach, es gehört zu ihrem Job.“ Für Weiser ist klar: Jeder Beruf ist für jeden geeignet – ganz unabhängig vom Geschlecht. » Wenn wir wollen, dass sich Mädchen für Technik- und Handwerksberufe entscheiden, müssen wir ihnen auch zeigen, dass es diese Berufe für sie gibt. « Sonja Weiser, Beraterin Verein Sprungbrett Wenn sich Rahmenbedingungen und Rollen bilder anpassen, kann das viele Vorteile für alle mit sich bringen und beispielsweise die Art und Weise verändern, wie wir körperlich herausfordernde Arbeiten bewältigen – nämlich gemeinsam. In den Betrieben könne das zusätzlich enorm positive Auswirkungen auf den Unternehmensalltag mit sich bringen – und genau deshalb müssen die Betriebe laut Weiser das Thema auch stärker in den Fokus rücken. "Vor zehn, fünfzehn Jahren konnte man sich die Mitarbeiter noch aussuchen, der Fachkräftemangel aber hat eine Zeitenwende eingeläutet“, so die Beraterin. Sie fordert kein spezifisch frauenfreundliches, sondern ein grundsätzlich menschenfreundliches Arbeitsumfeld für die Zukunft: "Mit dieser Einstellung werden Betriebe attraktivere Arbeitgeber – ganz egal ob für Frauen oder für Männer, sondern für alle.“
Familie im Fokus?
Dazu gehören laut Weiser auch innovative Teilzeit-Arbeitsmodelle, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich machen. Flexibilität ist hier Trumpf: "Je starrer die Arbeitszeiten, desto schwieriger wird es für jene Personen, die auf fixe Kinderbetreuungszeiten angewiesen sind. Und vor diesen Herausforderungen stehen nun mal in der Regel Frauen.“ Mit allen Konsequenzen – schließlich ist bei Frauen mit Kinderwunsch die Teilzeitfalle ein veritables Problem. Eines, das sich so schnell auch nicht lösen lässt – es sei denn, Care-Arbeit wird in Zukunft auch dem Pensionsversicherungssystem zugeordnet. Ganz ähnlich sehen das auch Claudia Haslinger und Martina Huemer-Fistelberger. Die beiden Geschäftsführerinnen der SFK Technologie Manufaktur im oberösterreichischen Kirchham sind als Geschwisterpaar in einem familiengeführten Tischlereibetrieb von vielen Frauen umgeben – und das ganz bewusst: Mit 36 Mitarbeiterinnen liegt die Frauenquote im Betrieb bei über vierzig Prozent. "Für uns sind Geschlechterzuschreibungen im Wesentlichen unwesentlich“, so Claudia Haslinger. "Vielmehr ist es uns wichtig, die individuellen Talente und ein gutes innerbetriebliches Klima zu fördern. Dabei ist für uns eine hohe Frauenquote unerlässlich.“ Als nicht so familienfreundlich erachtet sie die Vier-Tage-Woche, die mittlerweile in einigen Betrieben umgesetzt wird: "Für Personen, die vorgegebene Kinderbetreuungszeiten nutzen müssen, ist die Vier-Tage-Woche eher problematisch – die positiven Effekte sind für Familien eher kaum nutzbar.“
Für uns ist es wichtig, die individuellen Talente und ein gutes innerbetriebliches Klima zu fördern. Dafür ist eine hohe Frauenquote unerlässlich.
Klischees aufbrechen
Bei SFK sind Frauen in allen möglichen Bereichen tätig – als Planerinnen, Technikerinnen, Hilfskräfte, Managerinnen oder Gesellinnen. Ein hohes Maß an Kommunikation sei laut Haslinger wesentlich, um gängige Klischees aufzubrechen – genau deshalb wird in der Bild- und Wortsprache des Betriebs ganz genau darauf geachtet, dass beide Geschlechter sichtbar sind. Und das sowohl in der Kommunikation nach innen als auch nach außen. Wie sich das Thema im Recruiting niederschlägt, zeigt das Beispiel eines jungen Mädchens, das vor Kurzem als Lehrling bei SFK begonnen hat. "Unser jüngster weiblicher Lehrling ist nicht nur deshalb zu uns gekommen, weil sie die Projekte interessant findet, sondern auch, weil es bei uns eine hohe Frauenquote gibt“, so Haslinger. Hier zeigt sich, warum Frauenförderung und Personalsuche Hand in Hand gehen. RAUM FÜR ALLE Im Traditionsbetrieb wird also darauf geachtet, dass alle – ganz egal ob Mann oder Frau – auf ein angenehmes Arbeitsumfeld bauen können. Dazu braucht es aber deutlich mehr als strategische Überlegungen, Teilzeitmodelle oder eigene Sanitäranlagen: "Wir zeigen Verständnis für die Bedürfnisse unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so Haslinger. "Darauf bauen wir – und die Praxis zeigt, dass diese Art von Bewusstseinsbildung Früchte trägt.“ So wird das gegenseitige Verständnis zwischen Männern und Frauen bewusst gefördert – zum Beispiel durch das ganz konkrete Angebot für Männer, in Karenz gehen zu können. Zusätzlich gibt es seit 2015 nicht nur eine Betriebstagesmutter, sondern auch eine Ferienbetreuung – inklusive eigener Räumlichkeiten im Betrieb mit Spielbereich und Rückzugsraum. Wenn es um flexible Arbeitszeitmodelle geht, haben die beiden Geschäftsführerinnen natürlich ein offenes Ohr: "Natürlich muss man das im Betrieb gut organisieren, aber wenn man will, kriegt man das schon hin“, schmunzelt Haslinger. Was junge Mädchen und Frauen brauchen, um sich mehr für den Tischlereiberuf zu begeistern? "Sie brauchen starke Vorbilder und das Vertrauen, dass sie das können“, so Haslinger. "Und die Gewissheit, dass beide Geschlechter die Berufe ausüben können, die sie wollen.“ Irgendwann wird es hoffentlich ganz normal sein, dass junge Burschen Friseur oder Pfleger werden – und junge Mädchen Baumeisterinnen und Tischlerinnen. Bis dahin setzen Claudia Haslinger und Martina Huemer-Fistelberger voll und ganz auf Bewusstseinsbildung: "Wir laden in regelmäßigen Abständen Volksschulklassen ein, unseren Betrieb zu besuchen und in Sprache und Bildern zu erleben, wie ein Miteinander auf Augenhöhe zwischen allen Geschlechtern möglich ist.“
Mutig anpacken
"Alle Berufe sind für Frauen und Männer geeignet", ist auch Melisa Sarica überzeugt. Die 25-jährige Tischlermeisterin ist bei der Tischlerei Lazelberger seit 2019 in einem sehr bunten Team tätig und hat als Mädchen in der HTL Mödling und in der Meisterschule erlebt, was es heißt, als Frau das Handwerk des Tischlers zu lernen. "Natürlich muss man den Männern oft die Schneid abkaufen“, erzählt sie. Als Planerin ist sie auch viel im Austausch mit anderen Gewerken, "da muss man sich schon gut durchsetzen können". Und das kann sie – auf ihren Berufsweg sind nicht nur die Eltern stolz, sondern auch sie selbst: "Ich fühle mich im Team sehr wohl, werde gefordert und gefördert – ein verständnisvolles Umfeld und ein hohes Maß an Kommunikation machen es dabei für uns alle leichter.“ Für ihre Berufskolleginnen wünscht sie sich vor allem eines: einen mutigen Blick in die Zukunft und weniger Schranken im Kopf: "Frauen hinterfragen sich viel zu oft, wenn es um ihre Kompetenzen geht. Dabei haben wir so viel zu bieten und können mit unserer Expertise enorm viel beitragen.“ (kk)
Frauen hinterfragen sich viel zu oft, wenn es um ihre Kompetenzen geht. Dabei haben wir so viel zu bieten und können mit unserer Expertise enorm viel beitragen.