Leistungsreduktion ohne Neuausschreibung
Die neuen EU-Vergaberichtlinien, die voraussichtlich noch heuer im Bundesvergabegesetz (BVergG) umgesetzt werden, enthalten umfangreiche Regelungen hinsichtlich der Zulässigkeit nachträglicher Vertragsänderungen ohne Neuausschreibungspflicht.
Zentraler Grundsatz ist, dass nur „unwesentliche“ Änderungen erlaubt sind. In vielen Punkten ist aber schwer zu sagen, wo die Grenze zu „wesentlichen“ Änderungen liegt. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs
(VwGH 16. 12. 2015, 2014/04/0065) hat nun versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Es ging zwar um Verkehrsdienstleistungen und nicht um Bauleistungen, die grundsätzlichen Erwägungen des VwGH sind aber allgemein relevant.
Der Sachverhalt und die Entscheidung
Im Anlassfall wurde die Vertragslaufzeit von drei Jahren auf ein Jahr reduziert. Nun würde man auf den ersten Blick durchaus meinen können, dass eine solche Verkürzung der Laufzeit – und damit des gesamten Auftragsumfangs – eine wesentliche Änderung darstellt. Der VwGH ist aber zu einer anderen Entscheidung gekommen. Er prüfte den Sachverhalt anhand der Kriterien der einschlägigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (die neuen EU-Richtlinien sind im Kern aus dieser Judikatur entstanden):
Eine nachträgliche Vertragsänderung ist wesentlich, wenn
• die Änderung zur Zulassung anderer Bieter geführt hätte, als ursprünglich an der Ausschreibung teilgenommen haben oder
• die Änderung zur Annahme eines anderen Angebots geführt hätte oder
• der Auftrag in großem Umfang auf nicht vorgesehene Leistungen erweitert wird oder
• die Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrags zugunsten des Auftragnehmers verschiebt.
Ohne konkrete Anhaltspunkte geht nichts
Die erste und dritte Voraussetzung waren offensichtlich nicht gegeben. Die vierte Voraussetzung verneinte der VwGH, indem er meinte, dass „eine Verringerung des Leistungsumfangs in aller Regel für den Auftragnehmer nicht von Vorteil“ wäre. Dem kann man auf der Basis, dass die Auslastung der Kapazitäten einen wesentlichen Wert für jedes Unternehmen darstellt, wohl zustimmen. Dass im Einzelfall aufgrund verlustbringender Preise ein Auftragnehmer durchaus über eine Verringerung des Leistungsumfangs (hier durch Verkürzung der Auftragsdauer) froh sein könnte, ist natürlich möglich, wird aber mangels Beweisbarkeit kaum eine Rolle spielen, wenn nicht der Auftragnehmer selbst seinen laufenden Verlust offenlegt.
Die zweite Voraussetzung – Änderung des Wettbewerbsergebnisses im ursprünglichen Vergabeverfahren – hat in den vergangenen Jahren regelmäßig Anlass zu Diskussionen gegeben, denn selbstverständlich wäre es – insbesondere bei knappen Preisunterschieden im Wettbewerb – auch bei kleineren Änderungen des Leistungsumfangs aufgrund der (unterschiedlichen) Auswirkungen auf die Kalkulation der Bieter nicht undenkbar, dass unter solch geänderten Voraussetzungen ein anderes Wettbewerbsergebnis entstanden wäre. Der VwGH stellte aber mit dieser Entscheidung recht klar, dass ein bloß potenziell anderes Ergebnis nicht ausreicht, sondern sehr konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen müssten.
Solche konkreten Anhaltspunkte könnten sein, wenn bereits rein rechnerisch bei Betrachtung der reduzierten Leistungen anhand der Preise aus dem Vergabeverfahren deutlich ein nachträglicher Bietersturz zutage tritt. In anderen Fällen wäre dies schwer zu beweisen. Schließlich ist jeder Wettbewerb eine Momentaufnahme, die sich durch die schnell wandelnden Ressourcen der Marktteilnehmer und sonstigen Marktparameter nicht einfach zu einem späteren Zeitpunkt nochmals simulieren lässt.
Praxistipp
Für einen Auftragnehmer ist es wichtig, im Falle einer nachträglichen Vertragsänderung (sofern diese zivilrechtlich überhaupt gültig ist bzw. dieser zugestimmt werden muss, was eine andere Frage ist) gemeinsam mit dem Auftraggeber zu prüfen, ob die Gefahr besteht, dass ein Konkurrent, der davon erfährt, eine Neuausschreibungspflicht behauptet. Wenn diese Gefahr besteht, kann man – auch abhängig vom Inhalt des abgeschlossenen Vertrags – in vielen Fällen die Änderungen so gestalten, dass dieses Risiko zumindest minimiert wird.