Nullpreispositionen und Umlagerungen
Das Vergaberecht ist kompliziert. Die Judikatur macht es fallweise noch komplizierter, wie eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zeigt.
Wenn der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) etwas zu entscheiden hat, ist man von der Hoffnung getragen, dass eine Grundsatzfrage gelöst wird, die von der Vergabepraxis als Handlungsanleitung genutzt werden kann. Das ist leider nicht immer der Fall, denn die zufriedenstellende Lösung von Praxisproblemen liegt nicht in der Zuständigkeit des VwGH.
Der Anlassfall
Ein Bieter hatte im Angebot mehrere Positionen mit 0,00 Euro ausgepreist. Der Grund war, dass ein Lieferant im Angebot an den Bieter mehrere (nicht als „wesentliche“ gekennzeichnete) Positionen zusammengezogen und gemeinsam ausgepreist hatte. Im Begleitschreiben gab der Bieter weiters an, dass diese Nullpreispositionen in anderen Positionen enthalten sind.
Es gibt seit Jahren eine strenge Judikaturlinie des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), nach der ein solches Angebot auszuscheiden gewesen wäre. Wenn ein Bieter Kosten nicht in den vorgesehenen LV-Positionen kalkuliert, sondern in andere Positionen, ist das – unabhängig davon, wie groß diese Positionen sind – eine Umlagerung von Kosten entgegen der Ausschreibung und damit ein ausschreibungswidriges Angebot (Ausscheidensgrund gemäß § 141 Abs. 1 Z 3 bzw. § 302 Abs. 1 Z 3 BVergG 2018). Dann muss der Bieter – anders als beim Ausscheidensgrund der nicht plausiblen Zusammensetzung des Gesamtpreises (§ 141 Abs. 1 Z 7 bzw. § 302 Abs. 1 Z 5 BVergG 2018) grundsätzlich nicht einmal um Aufklärung gefragt werden.
Die Entscheidung
Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat dies anders gesehen, und der VwGH (9. 6. 2021, Ro 2019/04/0237) hat diese Entscheidung nicht aufgehoben, da sie auf keiner unvertretbaren Rechtsansicht beruhte.
Das betraf insbesondere folgende Aussagen:
- Ein Preis von 0,00 Euro in einer (nicht wesentlichen) Position führe nicht automatisch dazu, dass der Auftraggeber einer vertiefte Angebotsprüfung (also die Aufforderung an den Bieter, die Kalkulation näher aufzuklären) durchführen muss.
- Ein solcher Preis führe auch nicht automatisch dazu, dass eine unplausible Zusammensetzung des Gesamtpreises vorliegen würde.
- Dass Bieter aufgrund der Übernahme eines weniger detaillierten Angebots eines Lieferanten oder Subunternehmers (also durch Übernahme des Lieferanten- bzw. Subunternehmerangebots „im Gesamtpaket“) nicht alle Positionen auspreisen, noch dazu wie hier im „Bagatelle“-Ausmaß, sei üblich und daher eine nachvollziehbare und den Erfahrungswerten entsprechende Begründung. Dabei wurde auch berücksichtigt, dass eine solche Angebotsgestaltung offenbar mehrere Angebote (nicht nur das erstgereihte) betraf.
- Es liege keine „Mischkalkulation“ bzw. Umlagerung von Kosten vor, da der Bieter nicht ausdrücklich erklärt hätte, dass die Kosten der Nullpreispositionen in andere Positionen eingerechnet worden wären. Insbesondere diese Aussage ist aber kaum nachvollziehbar: Wenn ein Bieter im Begleitschreiben angibt, dass die Preise in anderen Positionen enthalten wären, was soll das denn sonst sein als eine Umlagerung bzw. Einrechnung in andere Positionen?
Der Praxistipp
Es sei davor gewarnt, diese VwGH-Entscheidung als allgemeine Leitlinie für die Erstellung künftiger Angebote zu verwenden.
Erstens gilt sie nicht für Fälle, die damit nicht vergleichbar sind (diese Grenze kann schnell erreicht sein). Und zweitens hat der VwGH nur gesagt, dass die zu überprüfende Entscheidung des LVwG OÖ vertretbar war; er hat nicht gesagt, dass die (strengere) Judikatur des BVwG nicht vertretbar wäre.
Die Rolle des VwGH beschränkt sich eben – jedenfalls hier – darauf, die Frage zu beantworten, ob die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts unvertretbar war. Wenn sie vertretbar war, heißt das noch nicht, dass sie die einzig mögliche Sichtweise darstellt. Zurück bleibt in solch einem Fall leider eher Verwirrung als Klärung.