Im Brennpunkt
Architektur und Tischlerhandwerk: Die perfekte Ergänzung?
Klischee, Klischee? "Ich habe die Arroganz auf beiden Seiten erlebt, tatsächlich läuft es nicht immer friktionsfrei. Allerdings spüre ich schon, dass die Generation, die jetzt sukzessive in diesen Berufen nachrückt, mehr Verständnis hat. Und damit funktioniert das Zusammenspiel zwischen Architektur und Tischlerei gleich besser", sieht Christian Roither die Verantwortung hier wie dort. Er weiß aufgrund seiner Ausbildungen, wovon er spricht: Nach der HTL für Innenarchitektur und Holzgestaltung in Hallstatt zog es ihn nach Wien an die technische Universität (TU) zum Architekturstudium. Nach dem Studienabschluss sammelte er praktische Architektur-Erfahrungen, bevor er 2016 gemeinsam mit seinem Bruder in fünfter Generation die Möbeltischlerei Roither in Gampern in Oberösterreich übernahm.
Ganzheitlicher Blick
"Die Kombination meiner Ausbildungen ermöglicht es mir, einen ganzheitlichen Blick auf den Planungsprozess von Gebäuden zu werfen und Projekte stilistisch durchgängig zu realisieren. Mir ist wichtig, dass sich ein Konzept in Sachen Materialien, Farben und Formgebung wie ein roter Faden durchs Gebäude zieht. Die Synergie ergibt sich für mich dadurch, dass ich sowohl räumliches Denken als auch die Materialkunde von der Pike auf gelernt habe", so der 38-Jährige. Von Kund*innen werde das durchaus geschätzt. "Unsere Zusatzqualifikation, die sich auch im adaptierten Firmennamen „Roither Tischlerei – Architektur“ findet, hat uns schon einige Aufträge gebracht."
Auffassungsunterschiede - ja oder nein?
"Bei uns im Betrieb gibt es keine Auffassungsunterschiede. Ich bin einfach ein Teil des Teams, ich bringe meine Expertise ein und sehe die Möbelproduktion in die Gesamtheit eingebettet. Bei der Arbeit mit externen Architekten gibt es aber durchaus Reibepunkt", gesteht Christian Roither ein. "Aber da ich beide Seiten kenne, habe ich ein gewisses Verständnis entwickelt". Zum Beispiel dafür, dass Architektinnen eine Vision einer Einrichtung im Kopf haben, sich aber (noch) wenig Gedanken über Details und Machbarkeit gemacht haben. "Hier kommen die Tischler ins Spiel, die sich das im besten Fall durchüberlegen. Und die sich manchmal im Regen stehen gelassen fühlen, wenn Detailpläne und genauere Vorstellungen fehlen", so der Unternehmer. Um früh gegenzusteuern, sei eine bessere – und vor allem persönliche – Kommunikation wünschenswert. Und das auch dann, wenn Zeitdruck besteht. "Vieles könnte man im Vorfeld gut klären und aufwendige Nachbesserungen vermeiden – würde man nur offen, respektvoll und auf Augenhöhe miteinander reden. Dazu gehört auch – und das gilt für alle Beteiligten – das eigene Ego einmal außen vor zu lassen", ist der Oberösterreicher überzeugt. Bei eigenen Projekten versuche man noch vor Produktionsstart, Architekten bzw. Gebäudeplaner und Bauherren bzw. Kund*innen an einen Tisch zu holen: "Jeder soll wissen, was er im Detail bekommt. So entstehen Endprodukte, die alle Seiten begeistern."
Knackpunkt Kommunikation
Die Digitalisierung hat auch die Zusammenarbeit zwischen Tischlern und Architekten im Laufe der Zeit massiv verändert, um mit BIM und CNC nur zwei Stichworte zu nennen. Elektronisch übermittelte Pläne werden über Schnittstellen ins eigene Planungsprogramm eingefügt, komplexe Formen werden über Zeichenprogramme direkt an die Maschine übertragen, aufwendige Geometrien so perfekt gefräst. Hier bringt die Digitalisierung zweifelsohne eine immense Erleichterung – die Beschleunigung der Kommunikation kann aber auch Stress erzeugen – und lässt so manchen auf den persönlichen Weg vergessen. Dabei sind "echte" Treffen und Besuche auf der Baustelle wichtiger denn je. "Papier ist geduldig, aber um korrekt produzieren zu können, braucht es immer Naturmaße, einen genauen Werkplan und ein Gefühl für die Umgebung, in der unsere Einrichtungen wirken sollen. Hier können Tischlereien mit eigenen Planungsabteilungen sehr gut punkten", ist Christian Roither überzeugt.
Beschleunigte Branche
"Die Digitalisierung hat unsere Branche stark beschleunigt. Das spüren wir auch in der Erwartungshaltung der Bauherren, die immer kürzere Planungszeiten einfordern. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Möglichkeiten, sich im Vorfeld zusammenzusetzen und Dinge abzusprechen. Natürlich haben die Profis auf beiden Seiten das Ziel, funktional und ästhetisch hochwertige Räume zu schaffen – aber man muss mit der kalkulierten Zeit und dem vorhandenen Budget zurechtkommen", bestätigt Thomas Ehrenfried, Leiter der Designabteilung bei BEHF Architects in Wien. Durch seine Ausbildung im Industrie Design und 17 Jahren Tätigkeit im Architekturbüro in unterschiedlichen Bereichen, bringt auch er vielseitige Erfahrungen mit. "Die Beziehungsfrage ist quasi mein "daily business", ich habe mit Tischlereien aller Größenordnungen zu tun, wir arbeiten sowohl in privaten als auch in gewerblichen Projekten zusammen." Unabhängig von Betriebs- und Projektgröße ortet Ehrenfried die immer gleichen Themen: "Man kann eine noch so schöne Planung und Gestaltung entwickeln – am Ende zählt immer die Umsetzung. Und da braucht es Qualität, Präzision und eine genaue Absprache aller Beteiligten." Unstimmigkeiten entstehen oft schon sehr früh: Wenn im Rahmen des Projektmanagements und in der Prozessplanung zu kurze Vorlaufzeiten vorgesehen werden.
Und was hält er von dem Arroganz-Klischee? "Hier wie dort gibt es schwarze Schafe, das hängt sehr von den Einzelcharakteren ab. Und diese Charaktereigenschaften kristallisieren sich aufgrund der Rahmenbedingung einmal stärker, einmal schwächer heraus. Steigt der Druck, kann auch der Ton rauer werden. Wie auch immer sich die Situation darstellt ist es mir persönlich immer ein Anliegen, ein offenes Ohr zu haben. Das ist oft ein schmaler Grat, denn es gibt Visionen und "must haves" in der Planung, die wir durchaus hartnäckig verteidigen."
Ästhetik versus Machbarkeit
"Traditionell legen Architekten ihren Fokus stärker auf die Ästhetik, Tischler auf die Machbarkeit. Hier ist es wichtig, dass Gespräche rechtzeitig stattfinden, dass gegenseitiger Respekt und Kompromissbereitschaft vorhanden sind. Umso mehr man früh klärt, umso weniger Schwierigkeiten gibt es auf der Baustelle", plädiert Ehrenfried. Vor allem im B2B Bereich gewinnt ein Early Contractor Involvement (kurz ECI) an Bedeutung, um die Abwicklung großer und komplexer Aufträge effizienter zu gestalten. Dabei werden ausführende Firmen bereits vor der Ausschreibungsphase, nach der ersten Konzeptphase, in die Planung eingebunden. So erhält man eine Expertise später involvierter Gewerke wie Tischlereien zu den Kosten, zum Zeitrahmen und der Realisierbarkeit der Ideen. Hierzu muss es allerdings einen Budgetrahmen geben. Ist ein solcher von Bauherrenseite noch nicht definiert, wartet man die Ergebnisse der Ausschreibung ab, um Sicherheiten in Sachen Kosten, Qualitäten und Termine zu haben. Dann ist das Projekt allerdings meist schon so weit fortgeschritten, dass (größere) Änderungen kaum mehr möglich sind.
Gestalterisch frei
Auch Tischlermeister Thomas Wilfinger kann einer solchen frühen Einbindung viel abgewinnen. "Nicht nur die Planenden, auch wir Handwerker brauchen Zeit für die Umsetzung. Es wäre gut, das früh zu kommunizieren, um den Zeitdruck zu reduzieren. Diesem Wunsch der Tischler kommt ECI entgegen." Und er ist ebenso davon überzeugt, dass es ohne persönliche Gespräche keine erfolgreiche Zusammenarbeit geben kann. Der Steirer führt den Familienbetrieb mit rund 25 Mitarbeitenden in Hartberg in dritter Generation. Man ist auf die komplette Innenausstattung im Privat- und Objektbereich spezialisiert, ebenso ist man firm im Nachbau von historischen Kastenfenstern. Mit Architekten arbeitet man vor allem im Objektbereich zusammen, aufgrund zumeist langjähriger geschäftlicher Beziehungen funktioniere das im Regelfall sehr gut. "Architekten sind gestalterisch freier, dadurch entstehen interessante Dinge. Wir Tischler haben meist die Machbarkeit im Hinterkopf, das bremst die Kreativität. Entwicklungen, an denen beide Seiten teilhaben, sehen dann gut aus und sind gut umsetzbar – für mich die ideale Kombination." Wie eine solche gemeinsam erarbeitete Lösung aussehen kann, zeigen zum Beispiel die Premium Suiten für das 5-Sterne-Hotel Reiters Supreme, das man gemeinsam mit BEHF Architects umsetzte. Wobei hier der Bauherren-Wunsch, die Suiten komplett in Massivholz auszustatten, sowohl das Architekturbüro als auch die Tischlerei sehr forderte. "Ich arbeite natürlich lieber mit Echtholz, aber u.a. bei den raumhohen Pivottüren war die Produktion aufgrund des einzurechnenden Schwindverhaltens des Holzes durchaus spannend. Doch wir konnten alles bewältigen und es ist ein wunderschönes Ergebnis entstanden", freut sich der Tischlermeister.
Missverständnisse beim Material
Die größten Missverständnisse tun sich für Thomas Wilfinger immer noch bei den Materialien auf. "Auch eine Platte mit Fichtenholzkern gilt noch als Massivholz, obwohl sie sich in Preis und Qualität stark von einer Vollholzplatte unterscheidet. Und auch bei beschichteten Spanplatten gibt es große Unterschiede. Wenn bei Ausschreibungen die Materialvorgaben unklar sind bzw. nur der Preis gesehen wird und die Entscheider wenig Ahnung in Sachen Materialität haben, ist die Enttäuschung über das Endprodukt oft groß. Dann leidet die Qualität, ohne dass dem Bauherren das vorab bewusst ist."