Holzgestalter

Wir verkaufen Emotionen

Gudrun Haigermoser
19.06.2023

Schon viele schöne Stücke gingen durch die Hände von Gerhard Stöglehner. Der Tischlermeister ist seit 2016 als Sesselflechter selbständig und ein begehrter Experte auf seinem Gebiet – und das nicht nur für das bekannte Wiener Geflecht.

Auf dem Weg zu seiner heutigen Profession hat Gerhard Stöglehner einige Umwege genommen. Und das ist gut so, denn seine zahlreichen Erfahrungen kommen dem gebürtigen Oberösterreich bei seiner Tätigkeit als Sesselflechter in vielerlei Hinsicht zu Gute. Aber von Anfang an: Nach der Tischlerausbildung in Hallstatt folgte 1987 die Meisterprüfung, 1997 übernahm er die in den 1960er-Jahren gegründete Tischlerei seines Vaters in Neumarkt im Mühlviertel mit fünf Mitarbeitern. “Doch durch die damals schwierige wirtschaftliche Lage verlor ich schnell die Motivation und ich machte mich daran, einen Kindheitstraum zu verwirklichen. Nämlich mich in der Entwicklungshilfe zu engagieren”, erzählt Stöglehner. Nach der Bewerbung ging es “ungewöhnlich schnell”, bereits nach einem Jahr trat er die Reise nach Uganda an, wo er zwei Jahre lang als “Technical Advisor” unterschiedliche Projekte betreute und Basiswissen seines Berufes vermittelte. Nach seiner Rückkehr nach Österreich 2004 wurde es ihm “im Mühlviertel schnell zu eng”. So zog es den Tischler nach Wien, wo er in der Werkstatt und dem Tageszentrum für Korbflechterei des OHTB (Österreichisches Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig hör- und sehbehinderte Menschen) anfing. Zwischen 700 und 800 Stühle verlassen pro Jahr die auf die Sesselflechterei spezialisierte Einrichtung in der Mollardgasse. Und obwohl Stöglehner nicht direkt mit dem Flechten befasst war, wurde doch durch das Zuschauen schon ein erster Grundstein für später gelegt.

Nach neun Jahren – während dieser der Tischlermeister auch die Berufsreifeprüfung ablegte – folgte ein Jahr Bildungskarenz, das er zum Studium der Kunstgeschichte nutzte. Doch das war ihm bald zu theoretisch, so wagte er den neuerlichen Schritt in die Selbständigkeit – diesmal als Sesselflechter mit eigener Werkstatt im 18. Bezirk. Durch seine Tischlerausbildung repariert der heute 57-Jährige nicht nur die Sitzflächen und Lehnen, sondern das komplette Möbel – ein Skill, der sich schnell herumsprach. Anfangs arbeitete er viel als „Subunternehmer“ und erhöhte seine Bekanntheit z. B. durch die Präsenz auf Messen, Christkindl- und Handwerksmärkten. So lief es gut an, auch weil Stöglehner von Anfang an viel Wert auf seinen Internetauftritt legte.

Sessel-Auswahl
© Christian Siebler

Wahrlich explodiert ist die Arbeit vor rund vier Jahren, als Anfang Dezember 2019 im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) eine Thonet-Ausstellung anlief. Die Kaffeehausstühle mit der Sitzfläche aus Wiener Geflecht sind weltweit bekannt und Stöglehner wurde von Seiten des Museums als Experte eingeladen. Diese Präsenz und die mediale Berichterstattung rund um das Event ließen die Zahl der Anfragen nach oben schießen, die Corona-Krise sorgte für einen zusätzlichen “Boost”: “War ich früher auf ein viertel bis halbes Jahr ausgebucht, habe ich jetzt für mindestens ein Jahr lang Arbeit im Voraus.”

“Die Personen, die zu mir kommen, sind Liebhaber. Sie wollen Altes erhalten und sind bereit, für eine handwerklich tolle Umsetzung Geld zu investieren”, berichtet Gerhard Stöglehner. Dennoch wird man mit dem Flechten nicht reich, denn “Mechanikerpreise” ließen sich keine verrechnen. Ein Grund, warum sich Stöglehner diese aufwendige Arbeit „antut“, sind auch die interessanten Geschichten, die hinter den Möbeln stecken: “Wir verkaufen mit unserer Arbeit Emotionen. Viele Kundschaften kommen mit Sesseln, mit denen sie eine persönliche Geschichte verbinden, die mehr einen ideellen als einen finanziellen Wert haben.”

Wiener Geflecht Detail
© Gerhard Stöglehner

Am häufigsten fertigt Stöglehner das Wiener Geflecht an. Dieses wird aus Peddingrohrstreifen der Rattanpalme gefertigt. Durch die Flechttechnik mit sechs Strängen erhält es seine typische, wabenförmige Struktur mit achteckigen Aussparungen. Berühmt wurde es durch die bereits erwähnten Thonet-Stühle, erfunden hat Thonet die Technik aber keineswegs. “Diese Art des Geflechts ist ein guter Kompromiss zwischen Design, Haltbarkeit und Machbarkeit”, so der Experte. Seit der Jahrhundertwende ist auch ein Fertiggeflecht am Markt. Es wird in Rollen in den Herkunftsländern des Materials in Südostasien produziert und in Rollen ausgeliefert. Diese günstigere Art ist in unseren Breiten seit den 1960er-Jahren in Mode, Restaurierungen für solche Stühle gehen ca. dreimal so schnell wie beim Handgeflecht: “Für mich ist das Handgeflecht für´s Renommee, das Fertiggeflecht für´s Portemonnaies – denn ohne wäre ein Überleben schwierig. Allerdings treffe nicht ich die Entscheidung bezüglich des Geflechts, das macht der Sessel”, so der pointierte Kommentar. Zwar könne man einen alten Sessel, der ursprünglich handgeflochtene Flächen hatte, mit Fertiggeflecht ausstatten. Allerdings muss die für die Befestigung nötige Nut dann in das Holz eingefräst werden. Das bedeutet einen Eingriff in die Substanz und damit einen markanten Wertverlust.

Sonnengeflecht
© Gerhard Stöglehner

Außer dem klassischen Wiener Geflecht beherrscht Stöglehner auch eine Vielzahl anderer Arten wie das Sonnengeflecht, das geschlossene Rattan-Geflecht (Chiavari), das Dänische Schnurgeflechte, Binsengeflechte, Peddigrohr- und Weidengeflechte sowie PVC-Geflechte, besser bekannt als Spagetti-Schnur. Insgesamt restauriert der Handwerker 200 bis 300 Sessel pro Jahr.

Bank Binsenschnur
© Gerhard Stöglehner

Die teilweise fehlende Kreativität des Berufs gleicht Gerhard Stöglehner damit aus, dass er in weltweiten Flechter-Foren aktiv ist, sich neue Muster und Techniken aneignet, sein Wissen weitergibt und sich mit den Geschichten hinter den Designs und den Möbeln beschäftigt. “Ich habe mir mittlerweile einen Namen dafür gemacht, dass ich für vieles offen bin. Und wenn ich etwas noch nicht gemacht habe, gebe ich nicht auf, bis ich es kann”, erzählt Stöglehner, wie ihn “der Reiz des Neuen” immer wieder anspornt. So geschehen im Fall einer  Kundin aus Salzburg: Diese fand das stark beschädigte Möbel aus dem Jahr 1902 auf dem Dachboden. Einst stand es im Fotoatelier ihrer Tante, in dem sich Sigmund Freud auf eben dieser Bank sitzend ablichten ließ. Stöglehner suchte lange nach dem Flecht-Material, einer Binsenschnur, fand schließlich eine vergleichbare Schnur aus Wasserlilie. Insgesamt investierte er rund 50 Arbeitsstunden in die aufwändige Reparatur.

Wiener Geflecht
© Gudrun Haigermoser

Die Werkzeuge – als Flechter kommt man im Grunde mit einer Handvoll davon aus – stellt Stöglehner zum Großteil selbst her. Dazu zählen Einziehnadeln aus Metall, die beim Fädeln des Materials helfen oder Holzkämme aus Esche und Rüster zum Einteilen der Stränge. Um stundenlanges gebeugtes Sitzen zu vermeiden, hilft sich der Tischler mit einer hochgestellten Werkbank, um wie gewohnt aufrecht und im Stehen arbeiten zu können.

“Aktuell steigt die Nachfrage, denn Erhalten und Reparieren liegen im Trend.” Aufgrund dieser Aussichten macht sich der Unternehmer auch keine Sorgen um die berufliche Zukunft. Bis zum Pensionsalter möchte er auf jeden Fall weitermachen und sich dann das Flechten als “Zubrot” erhalten. Zudem steht die Erarbeitung eines Kursprogramms am Plan und gemeinsam mit der Wiener Innung ist er dabei, sein Handwerk als immaterielles Unesco-Kulturerbe schützen zu lassen.

Auch für eine Zusammenarbeit mit Tischlereien ist Gerhard Stöglehner offen, z. B. wenn es um die Anfertigung von Wiener Geflecht in Türrahmen oder um andere Projekte geht: “Ich stelle mich gerne zur Verfügung, wenn es um die Entwicklung von Prototypen, um die Umsetzung besonderer Ideen oder um den Austausch zu den verschiedenen Geflecht-Arten geht.”

Seltener Beruf

Die in Österreich noch aktiven Sesselflechter*innen kann man mittlerweile fast an einer Hand abzählen, zuhause sind sie vor allem in Wien. Lehrberuf ist der Korb- und Möbelflechter seit gut zehn Jahren keiner mehr, als Handwerksberuf aber dennoch meldepflichtig und in der Innung der Holzgestalter beheimatet. Die heute Aktiven haben den Beruf entweder vor vielen Jahren gelernt, sind wie Stöglehner Quereinsteiger und/oder haben einen Kurs im auf (alte) Handwerkstechniken spezialisierten Bildungszentrum des Stifts Schlierbach in Oberösterreich absolviert.

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