Zukunftsfrage
Will ich am Bau arbeiten?
In der Berufsschule für das Baugewerbe (BS Bau) im 22. Wiener Gemeindebezirk lauschen rund 50 Jugendliche gespannt den Ausführungen von Elisabeth Fayadh vom Berufsinformationszentrum der Wiener Wirtschaft. Noch konzentriert sich die gesamte Aufmerksamkeit auf einen kleinen Bereich, doch schon wenige Minuten später sind die Schüler*innen quer durch die große Halle verteilt, der Geräuschpegel steigt merklich an, und an 14 Ständen gibt man sich die größte Mühe, alle Fragen zu den vorgestellten Bau-Berufen zu beantworten. "Der große Andrang zeigt das Interesse, das es an einem Beruf in der Baubranche gibt, und lässt optimistisch in die Zukunft blicken", zeigt sich Thomas Prigl, stv. Direktor der BS Bau, am zweiten Tag der Werkstatt Bau des Berufsinformationszentrums der Wiener Wirtschaft zufrieden. Dennoch ist auffällig: Die Fragen der Jugendlichen zu den Berufen sind wiederkehrend.
Was mache ich da den ganzen Tag?
Hört man bei Gesprächen zu, kommen oft ähnliche Themen auf: Wie sieht der Berufsalltag aus, wie viel verdient man, wie steht es um die Work-Life-Balance? "Klar könnten sich die Jugendlichen diese Informationen auch im Internet zusammensuchen, aber für viele ist es hier der erste Kontakt mit der Baubranche als möglicher Arbeitgeber", erklärt Birgit Scheuchel, eine Lehrerin, die mit ihrer Klasse der achten Schulstufe vor Ort ist. "Viele der Berufe kennen sie nicht einmal vom Namen her, da geht es auch darum, ein Gefühl für Möglichkeiten zu bekommen und ob das überhaupt passen könnte." Auch das Thema Gesundheit kommt immer wieder auf, vor allem nachdem an den Ständen ein wenig selbst Hand angelegt worden ist.
Diese wiederkehrenden Themen kann auch Nicole Mürner aus ihren Gesprächen bestätigen. "Der Verdienst und Karrierechancen sind essenziell für die Jugendlichen", bestätigt die Wiener Lehrlingsexpertin. Gefolgt von der Frage nach den Arbeitszeiten, wann man denn "in der Früh anfangen muss und ob man am Nachmittag noch immer Zeit für die Freunde" habe. Work-Life-Balance spielt auch bei Lehrberufen eine immer wesentlichere Rolle.
"Gesundheit ist auch sehr wichtig – oft besteht die Angst, dass man mit 50 Jahren krankheitsbedingt nicht mehr arbeitsfähig ist", erzählt die Kärntner Lehrlingsexpertin und Landesinnungsgeschäftsführerin Barbara Quendler aus ihren Gesprächen. Hingegen sei der Verdienst nicht eines der ersten aufkommenden Themen, der sei bekannt, und auch die Work-Life-Balance sei ein ihrer Meinung nach urbanes Thema. "Gerade wenn die Jugendlichen aus einem eher ländlichen Umfeld kommen, sind sie längere Arbeitszeiten gewohnt", so Quendler.
Die Wünsche der Jugend
Was genau sich Jugendliche von ihrem zukünftigen Arbeitsplatz erwarten, hat im Vorjahr das Institut für Jugendkulturforschung & Kulturvermittlung beleuchtet. Unter dem Titel "Generation Corona und die Arbeitswelt von morgen" hinterfragte die repräsentative Studie Motive und Erwartungen an den Beruf. Sehr deutlich kristallisieren sich dabei die Themen "gute Bezahlung" (59 Prozent), "ein gutes Arbeitsklima" (53 Prozent) sowie ein "sicherer Arbeitsplatz" (52 Prozent) als wichtigste Kriterien für einen zukünftigen Job heraus. Spannend dabei ist auch die Wertigkeit der einzelnen Aspekte: Vor die Wahl zwischen sicherem Arbeitsplatz und persönlichen Karrierechancen gestellt, entscheiden sich 57 Prozent für den sicheren Arbeitsplatz, nur 16 Prozent wählten die Karriere.
Geht es um die Wünsche von Lehrlingen, zeigt sich ein nicht ganz so eindeutiges Antwortbild, die Bedürfnisse sind breiter gefächert. "Ganz klar wichtig sind Lehrlingen bei einem Beruf eine gute Bezahlung, ein sicherer Arbeitsplatz, gute Vereinbarkeit mit Freizeit und Familie und ein gutes Arbeitsklima", beschreibt Natali Gferer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Jugendkulturforschung & Kulturvermittlung, die Ergebnisse. "Ein gutes Arbeitsklima ist gerade bei Lehrlingen sehr wichtig, da sie viel auf Teamarbeit, Austausch mit Ausbilder*innen und Kolleg*innen sowie auch Kundenkontakt legen; sprich, Lehrlinge möchten keine Einzelkämpfer sein und sind sehr stark praxis- und austauschorientiert." Weiters würden unterschiedlichste Anreizsysteme bei Lehrlingen sehr gut ankommen. Auch die Möglichkeit, seine beruflichen Qualifikationen weiterentwickeln zu können, ist ihnen meist wichtig: einerseits, um die eigene Interessen zu spezifizieren, und andererseits, um sich auch in Zukunft attraktiv für den Arbeitsmarkt zu halten.
Glaubhaft und auf Augenhöhe
Inwieweit diese Wünsche mit den aktuellen Arbeitsbedingungen in der Baubranche vereinbar sind, ist auch immer wieder ein Gesprächsthema an den Ständen der Werkstatt Bau. Man spürt einen großen persönlichen Gesprächsbedarf. Vor allem wird der Informationsaustausch auf Augenhöhe gesucht. Viele der Stände sind von Schüler*innen der Berufsschule besetzt, um so einen direkten Einblick in die Ausbildung sowie den Beruf geben zu können. "Wir haben gemerkt, dass Jugendliche leichter ins Reden kommen, wenn die Hemmschwelle des Altersunterschieds so gering wie möglich ist", erklärt Thomas Prigl. Ein Ansatz, der aufzugehen scheint. Die Stände sind gut besucht und die Gespräche, vor allem wenn wirkliches Interesse der Jugendlichen besteht, inhaltsvoll. "Ich rede einfach leichter mit Leuten in meinem Alter", bestätigt Serdat nach einem Gespräch vor Ort die Theorie. "Außerdem wissen sie einfach, wovon sie reden, weil sie es täglich tun." Das sei für den Schüler glaubhafter als "jemand im Anzug, der sicher schon seit Jahren nicht mehr mit angepackt hat".
Dabei profitiert man auch von der grundsätzlichen Zufriedenheit der angehenden Fachkräfte. Wie eine Umfrage des Market-Instituts im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) Anfang des Jahres zeigte, sind die heimischen Lehrlinge nämlich mit ihrer Ausbildung sehr zufrieden.
Zufriedene Lehrlinge als Botschafter
"Das Stimmungsbild ist frühlingshaft: Nach der Coronapandemie und angesichts des akuten Fachkräftemangels wissen die Lehrlinge bestens um den Wert ihrer Ausbildung Bescheid", so die Sicht von Mariana Kühnel, stv. Generalsekretärin der WKÖ, auf die Ergebnisse einer beauftragten Umfrage des Market-Instituts. Laut dieser sind 80 Prozent mit dem Verhältnis zur Chef*in sehr zufrieden bzw. zufrieden, und auch die fachliche Kompetenz der Ausbilder*innen (79 Prozent), die Anerkennung der erbrachten Leistung (75 Prozent) sowie die Berufschancen im eigenen Unternehmen werden als sehr gut bzw. gut bewertet.
Doch so gut auch die Sicht auf die eigene Berufsausbildung sein mag: Die befragten Lehrlinge sind sich ebenfalls einig, dass das Image der Lehre nicht das beste ist. So würden sich knapp die Hälfte der Befragten "mehr Anerkennung und Respekt für die Lehre als Ausbildung" wünschen. Dies kann auch die Kärntner Lehrlingsexpertin aus ihren Gesprächen für die Lehre am Bau bestätigen, "es hat einfach ein besseres Image unter Jugendlichen, wenn man lernt, ein Auto aufzumotzen, anstatt Ziegel zu setzen". Hinzu kommt, dass in den Köpfen einiger Eltern schon die Lehre an sich nicht als wertig wahrgenommen werde. "Eine höhere Schule ist für viele noch immer als einziger Bildungsweg im Kopf verankert, wodurch viele Jugendliche, die handwerklich begabt sind, oftmals zuerst in die HTL gesteckt werden", so Quendler.
Man darf nicht vergessen, wir reden hier über Jugendliche, deren Entscheidungen noch sehr von den Eltern bestimmt werden. Wenn nicht ein wirklich gefestigter Berufswunsch besteht, haben sie eher wenig Mitsprache.
Eltern bei der Hand nehmen
Dass Eltern, vor allem im urbanen Umfeld, noch immer eine Matura als wesentlichen Milestone für ihre Kinder sehen, bestätigt auch Birgit Scheuchel. "Man darf nicht vergessen, wir reden hier über Jugendliche, deren Entscheidungen noch sehr von den Eltern bestimmt werden", so die Lehrerin. "Wenn nicht ein wirklich gefestigter Berufswunsch besteht, haben sie eher wenig Mitsprache." Gleichzeitig sieht sie aber auch, dass Informationen fehlen. Nicht nur aufseiten der Jugendlichen, sondern auch bei den Eltern. "Eine Berufsentscheidung für das Kind wird oftmals auf eigener Erfahrung, auf Informationen aus dem eigenen sozialen Umfeld getroffen", so Scheuchel. "Wenn Eltern nicht über die Möglichkeiten Bescheid wissen, werden sie nie etwas Unbekanntes, für sie Risikobehaftetes unterstützen. Und um dies zu ändern, braucht es auch für sie Informationen aus erster Hand, dafür reicht kein Informationszettel."