Zulässige Abweichungen von der Ausschreibung – Teil 1

19.05.2017

Der zentrale Unterschied zwischen Ausschreibungen nach dem Bundesvergabegesetz (BVergG) und „privaten“ Ausschreibungen ist die formale Strenge des BVergG: Ein Angebot darf grundsätzlich in keinem Punkt von der Ausschreibung abweichen.

Nun gibt es aber fast keine Ausschreibung, in der ein Bieter nicht mehr oder weniger stark davon abweichen will, um sein Angebot zu optimieren. Das liegt nicht nur an Ausschreibungsfehlern, sondern vor allem daran, dass die beteiligten Unternehmer aus ihrer Fachkunde und Erfahrung eine Vielzahl von anderen Ideen hätten als der Auftraggeber (und dessen Berater).

Angst der Auftraggeber vor Abweichungen

Die meisten Auftraggeber (und deren Berater) stehen Abweichungen von der Ausschreibung skeptisch gegenüber, da die Prüfung und Beurteilung von abweichenden Angeboten aufwendiger und schwieriger ist. Der Wunsch nach Minimierung von Aufwand und Fehlerquellen überwiegt oft die Vorteile, die die Nutzung des Bieter-Know-hows bringen würde. Daneben gibt es tatsächlich Auftraggeber, die sich im alleinigen Besitz des Wissens um die beste Ausschreibung wähnen.

Möglichkeiten für zulässige Abweichungen

Welche Möglichkeiten für zulässige Abweichungen bestehen, hängt stark vom Ausschreibungsinhalt ab. Folgende theoretische Möglichkeiten gibt es:

•    unechte Bieterlücken;

•    Alternativangebote;

•    Abänderungsangebote;

•    Verhandlungsvorschläge.

Im Unterschied dazu sind „Varianten“ andere Ausführungsmöglichkeiten, die vom Auftraggeber selbst vorgegeben werden. Wenn in der Ausschreibung nicht anders festgelegt, müssen die Bieter alle Varianten anbieten.

Unechte Bieterlücken

Bei unechten Bieterlücken gibt der Auftraggeber in bestimmten Positionen „Leitprodukte“ samt einer nachfolgenden Bieterlücke an, in der die Bieter alternative Produkte anbieten können.

Wenn die Bieterlücke nicht ausgefüllt wird, gilt das Leitprodukt als angeboten. Das Alternativprodukt muss genau bezeichnet (Unbehebbarkeit des Mangels nach Angebotsabgabe!) und dem Leitprodukt anhand der Beschreibung im Leistungsverzeichnis gleichwertig sein. Der Bieter kann im Begleitschreiben erklären, dass das Leitprodukt für den Fall als angeboten gilt, wenn das Alternativprodukt nicht gleichwertig sein sollte.

Alternativangebote

Alternativangebote sind nur zulässig, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

•    Sie müssen in der Ausschreibung ausdrücklich zugelassen sein. Wenn die Ausschreibung nichts dazu sagt, sind sie unzulässig.

•    Der Auftraggeber muss sogenannte „Mindestanforderungen“ festlegen, die der Maßstab für die Gleichwertigkeit der Alternativangebote sind. Damit wird festgelegt, von welchen Teilen der Ausschreibung (bzw. von welchen Teilen des Leistungsverzeichnisses) abgewichen werden darf und von welchen nicht. Wenn diese Mindestanforderungen fehlen oder sich in inhaltsleeren Floskeln erschöpfen (z. B.: „Zugelassen sind nur Alternativangebote, die mit der Ausschreibung gleichwertig sind.“), kann kein Zuschlag auf ein Alternativangebot erteilt werden. Dieser Mangel der Ausschreibung wird auch nicht „geheilt“ (d. h. bestandsfest), wenn kein Bieter die Ausschreibung bekämpft.

•    Falls auf Basis der Mindestanforderungen Zweifel über die Gleichwertigkeit eines Alternativangebots mit der Ausschreibung vorliegen, muss der Bieter den entsprechenden Nachweis erbringen (oft sind in der Ausschreibung bestimmte Nachweise festgelegt, die mit dem Angebot oder auf Nachforderung zu erbringen sind).

•    Sie sind nur im Bestbietersystem zulässig, also wenn neben dem Preis noch andere Zuschlagskriterien festgelegt wurden. Dieser Mangel „heilt“ allerdings, sodass Alternativangebote bei Bestandsfestigkeit einer Ausschreibung im Billigstbietersystem zugeschlagen werden können.

•    Sofern in der Ausschreibung nicht anders festgelegt, darf nicht nur ein Alternativangebot gelegt werden, sondern muss auch ein Angebot auf Basis der Ausschreibung (meist „Hauptangebot“ genannt) gelegt werden. Zumindest aber wird das Alternativangebot nicht auch automatisch ausgeschieden, wenn das Hauptangebot ausgeschieden werden sollte.

Theoretisch könnten Alternativangebote auch für rechtliche oder kaufmännische Abweichungen zugelassen werden. In der Praxis kommt dies aber fast nie vor. 

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