BIM
"BIM ist tot! Es lebe BIMM!"
Heinz-Michael Ruhland denkt mit einem gewissen Schaudern an ein Erlebnis zurück, das er als junger Mitarbeiter eines Ingenieurbüros vor vielen Jahren gemacht hat: „Ich musste eine Planungsunterlage vervielfältigen. Beim Kopieren habe ich festgestellt, dass ein und dieselbe Information x-fach in den unterschiedlichsten Ordnern abgelegt worden war. Den Datensatz für ein Ventil habe ich fünfzigmal kopiert“, erinnert sich der BIM-Experte des Bausoftware-Anbieter Nevaris.
Mit BIM – die Kurzform für „Building Information Modeling“ – sollten Erfahrungen wie diese eigentlich der Vergangenheit angehören. Doch BIM hat die hohen Erwartungen, die es vor rund zehn Jahren bei seiner Einführung geweckt hat, nicht erfüllt. Laut einer Studie der Baumanagement-Plattform PlanRadar aus dem Jahr 2021 in acht europäischen Ländern setzen nur 20 Prozent der heimischen Bauunternehmen BIM ein. Damit liegt Österreich auf einem Level mit der Schweiz und Kroatien aber hinter Polen und Deutschland. Spitzenreiter bei der BIM-Nutzung in Europa ist Großbritannien mit einer Quote von 80 Prozent.
Etwas positiver fällt das Ergebnis einer Studie der ZAB Zukunftsagentur Bau zum digitalen Reifegrad in der österreichischen Baubranche aus dem Jahr 2023 aus. 30 Prozent der Befragten sind demnach der Meinung, dass BIM in den kommenden drei Jahren in ihrem Unternehmen eine „hohe Bedeutung“ haben wird. 70 Prozent gehen allerdings davon aus, dass BIM nur „teilweise“ oder „niedrige“ Bedeutung haben wird, oder sie können die Fragen nicht einschätzen.
Aus Sicht von vielen Experten wird die verhaltene Begeisterung dem Potential, das BIM entfalten könnte, nicht gerecht. „Wir stehen erst am Anfang der Akzeptanz“, meint Nevaris-Manager Ruhland, der auf seiner Visitenkarte die aus dem englischen Sprachraum stammende Bezeichnung BIM „Evangelist“ verwendet. „Wenn Sie sich in der Baubranche umhören, werden Sie auf viele kritische Stimmen stoßen: BIM sei zu kompliziert. BIM funktioniere nicht. In Großbritannien oder den skandinavischen Ländern ist man da schon viel weiter“, so Ruhland. Aus Sicht von Otto Handle, Geschäftsführer von Inndata, „ist ein funktionierendes digitales Gebäudemodell ein unfassbarer Schatz an Informationen“. Eine der zentralen Fragen in einem Bauprojekt, so der Digitalisierungsexperte für das Bauwesen, der selbst konzessionierter Baumeister ist, laute: „Wie kommt die richtige Information zur richtigen Zeit über welches System an den richtigen Adressaten?“
Auf diese Frage soll BIM die passenden Antworten geben. BIM sieht vor, dass ein dreidimensionales digitales Modell von dem geplanten Bauwerk erstellt wird. Auf dieses Modell, dem sogenannten „Digital Twin“, haben alle beteiligten Projekt-Partner Zugriff. Und sie arbeiten konsequent mit ihm – vom Planer über die ausführenden Bauunternehmen und die Handwerker bis zum Nutzer. Das BIM-Modell verschafft ihnen Zugang zu allen relevanten Informationen. Das bedeutet am Beispiel einer Wand: Man sieht nicht nur, wo diese steht, sondern auch, welche exakten Abmessungen sie hat, dass sie aus Beton ist, welche Qualität der Beton hat oder dass eine Bewehrung enthalten ist. „Ein funktionierendes BIM-Modell ist der Single Point of Truth“, formuliert es Adriane Gasteiger, Geschäftsführerin des Bauunternehmen AGA Bau und des Consultingunternehmens b.i.m.m.
BIM kann viel
Anhand des dreidimensionalen BIM-Modells können Planer oder Ausführende das Gebäude aus verschiedenen Blickwinkeln auf dem PC oder am Tablet betrachten. So lassen sich komplexe geometrische Zusammenhänge schneller vermitteln und Missverständnisse vermeiden. In einem funktionierenden BIM-Prozess können bauliche Kollisionen frühzeitig erkannt werden. Der Stahlträger, der genau dort steht, wo der Lüftungsschacht verlaufen soll, wird im BIM rasch entdeckt. Erweitert man das dreidimensionale Modell um eine vierte Dimension, die Zeit, kann man auch den Bauablauf darstellen und zeitliche Kollisionen verhindern. Dazu werden BIM-Modell-Elemente mit Bauzeitplänen verknüpft und Reihenfolgebedingungen für die Bauausführung definiert. Und auch eine fünfte Dimension ist abgedeckt: Kosten und Ressourcen. Dazu verknüpft man Geometriedaten mit den erforderlichen Ressourcen – Baumaterialien, Maschinen, Fahrzeuge oder Personal. Logistische Prozesse können so besser geplant und gesteuert werden.
Als besonders hilfreich hat sich der Einsatz vom BIM in der Abrechnung erwiesen. „In einem traditionellen Prozess ohne BIM werden die notwendigen Mengen für ein und dasselbe Gewerk ohne Weiteres bis zu fünfmal berechnet“, meint AGA Bau-Geschäftsführerin Gasteiger – „von der Ausschreibung über die Angebotslegung bis hin zur Abrechnung, bei der oftmals Abweichungen festgestellt werden und erneut alles durchgerechnet werden muss“. In einem funktionierenden BIM-Prozess fallen diese doppelten Arbeiten weg. Gasteiger: „Es wird ein Modell geplant und daraus werden die Mengen gezogen. Der hat über den ganzen Prozess Gültigkeit.“
Falls im Zuge des Projekts Planänderungen notwendig sind und Anpassungen vorgenommen werden, kann und soll dies im BIM-Modell erfasst werden. So wissen alle Involvierten Bescheid und sind jederzeit am letzten Wissensstand. Entspricht das digitale Modell dem tatsächlichen gebauten Stand, sprechen Experten von einem „As-built-Modell“. Vor allem für den späteren Nutzer des Gebäudes ist ein derartiges As-built-Modell von großem Wert: Er weiß genau, was wirklich wie gebaut und verbaut worden ist und wo er die Daten findet, die er für den Betrieb benötigt. Nevaris-Experte Ruhland spricht daher auch lieber nicht von BIM, sondern von BIMM. „BIM impliziert, dass es nur um Modeling, also die Planung, geht. Das stimmt aber nicht. In einem funktionierenden Prozess werden die Daten geplant und laufend gemangt“, erläutert Ruhland. Ihm gefällt der Ausspruch eines Branchenkollegen: „BIM ist tot! Es lebe BIMM.“
Ob nun BIM oder BIMM – wie die diversen Studien zeigen, kann man noch nicht von einem Siegeszug des digitalen Konzepts sprechen. Die Ursache dafür machen Experten in mehreren Hürden aus, die seiner Popularität in der Bauwirtschaft im Wege stehen. Ein großes Hindernis besteht darin, dass die einzelnen Akteure jeweils ihre eigenen Programme und Systeme verwenden, die einander nicht verstehen. Was beim Planer „Beton“ heißt, wird beim ausführenden Bauunternehmen möglicherweise „Concrete“ genannt oder umgekehrt. Dies führt dazu, dass der Baubetrieb, der ein Modell vom Planer erhält, dieses oftmals komplett nachbauen muss. Und dessen Sublieferant geht es genauso.
„Vor allem die größeren Bauunternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre eigenen Systeme und Standards entwickelt“, erklärt Monika Ilg, Geschäftsführerin der ib-data GmbH, Anbieter der am Markt weit verbreiteten Baumanagementsoftware ABK. „Jedes Unternehmen möchte natürlich seinen eigenen Standard behalten.“ An einer Lösung dieser Problematik arbeitet die Österreichische Bautechnikvereinigung (ÖBV). Sie plant, am Baukongress im April in Wien das „Merkmal Service“ vorzustellen.
Dabei handelt es sich um ein Tool, das in den vergangenen gut drei Jahren unter Federführung des ÖBV entwickelt worden ist. Das „Merkmal Service“ arbeitet vereinfacht gesagt wie ein Übersetzer. Es sorgt für das sogenannte „Matching“ zwischen zwei unterschiedlichen Systemen: Was in dem einen System „Beton“ heißt und im anderen „Concrete“ wird von beiden als das gleiche Merkmal verstanden. Peter Krammer, Vorstandsvorsitzender der Swietelsky AG, und Robert Schedler, Geschäftsführender Gesellschafter des Wiener Ingenieurbüros FCP, versprechen sich durch das Merkmal Service einen großen Schub für BIM in Österreich (siehe Interview auf Seite 20/21).
Inndata-Geschäftsführer bezweifelt das. Seiner Meinung nach wird auch das Merkmal Service das Problem nicht lösen – und zwar deshalb, „weil BIM viel zu komplex geworden“ sei. Handle verweist auf eine Zahl: Das Manual, in dem die Informationselemente definiert werden, die laut der neuen ISO-Norm IFC 4.3 im BIM möglich sind, ist mehr als 6.000 Seiten lang. „Diese Komplexität ist nicht mehr zu bewältigen. Das kann nur in die Hose gehen“, so Handle. Er plädiert daher dafür, das Informationsvolumen, das in BIM erfasst wird, deutlich zu reduzieren. „Das ist möglich. Im BIM sollten nur jene Informationen vorgehalten werden, die für die Planung und Ausführung wirklich notwendig sind“, argumentiert Handle. Alle übrigen Daten, so der Inndata-Chef weiter, könne man über Verlinkungen zugänglich machen. Handle: „Es müssen nicht alle Informationen im BIM-Silo stecken. Es genügt zu wissen, wo ich sie finde, wenn ich sie brauche.“
Neben den Verständigungsproblemen und der Komplexität steht der flächendeckenden Verbreitung von BIM noch ein weiteres Hindernis im Weg: BIM funktioniert dann am besten, wenn das Modell, das der Planer entwickelt, Bauunternehmen und Sublieferanten möglichst exakte Informationen zur Ausführung gibt. „Oftmals ist in den Planungsbüros das notwendige Know-how dafür aber noch nicht vorhanden“, erläutert ib-data Geschäftsführerin Ilg. Die Lösung würde darin bestehen, dass man die ausführenden Unternehmen frühzeitig in den Planungsprozess einbindet. Ilg: „In den USA und in Großbritannien ist das üblich. In Österreich hält man bislang immer noch an einem sequentiellen Prozess fest: Der Planer entwirft das Modell. Das Bauunternehmen führt aus. Diese Trennung hat auch Vorteile, die man nicht missen möchte.“ Ohne eine neue Form der Zusammenarbeit – da sind sich die Experten einig – wird BIM in Österreich weiterhin der große Durchbruch verwehrt bleiben.
Dabei steigen die Anforderungen an die Bauwirtschaft stetig. Aus Sicht von Inndata-Geschäftsführer Handle stellen allein die Vorgaben der EU zum Nachhaltigkeits-Reporting die Branche vor enorme Herausforderungen. Sein Urteil: „Ohne digitale Modelle wie BIM sind sie nicht zu bewältigen.“