Dächer schützen

Hagelschutz in der Baupraxis

Hagelschutz
09.10.2024

Österreich war schon immer bekannt für seine wechselhaften Wetterbedingungen. Durch den Klimawandel nehmen die extremen Wetterphänomene noch mehr zu. Besonders Hagel stellt eine ernste Bedrohung für Dächer dar, weil er erhebliche Schäden an der Dachstruktur verursachen kann. Wie lassen sich Dächer in der Praxis hagelsicher gestalten?
Hagelschäden stehen in der Schadensbilanz bei Naturgefahren regelmäßig an erster Stelle und richten verheerende Schäden – vor allem an Dächern – an.
Hagelschäden stehen in der Schadensbilanz bei Naturgefahren regelmäßig an erster Stelle und richten verheerende Schäden – vor allem an Dächern – an.

Angesichts der zunehmenden Häufigkeit und Intensität von Hagelstürmen, die durch den Klimawandel noch verstärkt werden, wird es immer wichtiger, Dächer vor Schäden zu schützen. Auch die Versicherungen schlagen Alarm: Allein im Jahr 2021 verursachten Hagelereignisse in Österreich eine Schadenssumme von rund 1,1 Mrd. Euro. "Hagel stellt in Österreich eine ernstzunehmende Bedrohung vor allem für Sachgüter und Gebäude dar und hat mittlerweile in punkto Sachschäden sogar eine dominierende Rolle unter den Naturgefahren eingenommen", informiert das Elementarschaden Präventionszentrum (EPZ). Hans Starl, langjähriger Mitarbeiter und Materialprüfer am Institut für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung (IBS) Linz und seit kurzem selbstständig tätig mit seiner Kawumms Naturgefahrenmanagement GmbH, bestätigt: "Hagel ist eine Naturgefahr in Österreich, die jährlich – mittlerweile beinahe konstant mit derzeit steigender Tendenz – viele Millionen Euro an Gebäudeschäden verursacht. Mit ein Grund dafür ist, dass es inzwischen alle Siedlungsräume in Österreich betreffen kann."
Von der Bedrohung Hagel betroffen sind grundsätzlich alle Gebäude, das Ausmaß der Gefährdung unterscheidet trotz der Ausweitung nach Regionen. Fest steht: Das Dach stellt durch seine exponierte Lage immer den am meisten gefährdeten Teil des Gebäudes dar. "Dabei ließen sich Schäden vielfach vermeiden oder zumindest reduzieren, wenn entsprechende Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor Hagel ergriffen würden", ist man beim EPZ überzeugt. Einen wesentlichen Teil der Prävention sehen die Expert*innen in der Sensibilisierung der Bevölkerung selbst und natürlich der bauausführenden Unternehmen hinsichtlich der Möglichkeiten des Hagelschutzes am Gebäude. 

Risiken einschätzen mit Hora

Wie funktioniert nun Hagelschutz in der (Bau-)Praxis? Im ersten Schritt sollte die Hagelgefährdung des Standorts überprüft werden, unabhängig davon, ob es sich um ein Neubauprojekt oder um Renovierungen bzw. Anpassungen bestehender Gebäude handelt. Um die Hagelgefährdung fest-zustellen, müssen die spezifischen Standortbedingungen geklärt werden. Das interaktive Webservice Hora (Hazard Overview and Risk Assessment / Gefahrenüberblick und Risikomanagement) hora.gv.at wird laufend weiterentwickelt und zeigt seit Frühjahr 2024 für jeden Punkt in Österreich mit einer Genauigkeit von ein mal ein Kilometer die Wiederkehrperioden (zehn, 20 und 30 Jahre) von Hagelunwettern und die maximalen Hagelkorngrößen an. "Die für Österreich vorhandene Hagelgefährdungskarte in Hora stellt in Europa derzeit den aktuellsten Stand der Technik in diesem Bereich dar und bildet eine zuverlässige Grundlage standort-basiert eine gefahrenangepasste Bauweise bezogen auf Hagelschlag auszuführen", erklärt Hans Starl.
Die Abfrage für alle Naturgefahren (Hochwasser, Windsturm, Schneedruck, Hagel etc.), die in der  Hora-Plattform enthalten sind, können unkompliziert mittels dem sogenannten Hora-Pass als Zusammenfassung downgeloadet werden und geben auf einer Seite einen umfangreichen Überblick über die am jeweiligen Standort zu erwartenden Naturgefahren. Sind Gebiete rot dargestellt, ist mit Hagelkörnern von fünf Zentimetern Durchmesser und mehr zu rechnen. Das betrifft beispielsweise alle 20 bis 30 Jahre große Teile der nördlichen und südlichen Steiermark sowie Teile Kärntens. Orange eingefärbt werden Gebiete, in denen mit einer Hagelkorngröße von immerhin noch drei bis fünf Zentimetern zu rechnen ist.

Mit dem interaktiven Webservice Hora (www.hora.gv.at) können ganz einfach alle "Einwirkungen auf Tragwerksplanung" in Bezug auf Schnee, Wind, Erdbeben und Hagel abgefragt werden.
Mit dem interaktiven Webservice Hora (www.hora.gv.at) können ganz einfach alle "Einwirkungen auf Tragwerksplanung" in Bezug auf Schnee, Wind, Erdbeben und Hagel abgefragt werden.

Hagelgeprüfte Bauprodukte

Sobald die Hagelgefährdung des Standorts ermittelt wurde, ist es ratsam, für den Bau hagelresistente Materialien auszuwählen. Hersteller können ihre Baumaterialien auf Hagelresistenz testen lassen, um deren Widerstandsfähigkeit zu bestimmen. Die Zuordnung erfolgt anhand des Durchmessers eines Hagelkorns, dem das Material bei einem Testaufprall standhält. Diese Prüfung führt zur Einteilung in Hagelwiderstandsklassen (HW), die von HW 1 bis HW 5 reichen.

Wie läuft eine Hagelprüfung ab?

Eine Hagelprüfung ist spannend! Hans Starl, der viele Jahre hunderte Prüfungen durchgeführt hat, erzählt vom Ablauf: "Mit der Hagelsimulationsmaschine werden die genormten, im Labor hergestellten Eiskugeln bis zu einem Durchmesser von 80 mm pneumatisch auf eine Auftreffgeschwindigkeit über 200 km/h gebracht. Die Geschwindigkeiten entsprechen den natürlichen Fallgeschwindigkeiten von Hagelkörnern ähnlicher Durchmesserklassen." Der Aufbau der Probekörper wird gemäß den Herstellerangaben als Systemprüfung, meist mit über einem Quadratmeter Probekörpergröße, durchgeführt – mit zugehörigen Befestigern oder Anschlüssen an Ecken, sofern diese nicht einfach demontierbar sind. "Ein Beispiel ist die Gebäudekante bei einem Wärmedämmverbundsystem – sie muss geprüft werden, da sie nicht einfach ausgebaut werden kann", erklärt Hans Starl. Ortgangsteine bzw. -ziegel werden z. B. nicht geprüft, da sie ziemlich einfach ersetzt werden können, und wenn sie durch Hagel abbrechen, kann nicht direkt Wasser ins Gebäude gelangen. "Viele Hersteller prüfen sie aber trotzdem, damit sie wissen, wie gut oder nicht sie im Vergleich zur Fläche sind und um ihr Produkt bestmöglich zu kennen", erzählt der Prüfer. 

Die Hagelbeschussanlage demonstriert die Wucht eines Hagelaufpralls auf Dachziegel  der Hagelwiderstandsklasse 5.
Die Hagelbeschussanlage demonstriert die Wucht eines Hagelaufpralls auf Dachziegel  der Hagelwiderstandsklasse 5.

Wird der Probekörper nun durch den Beschuss mit einer bestimmten Kugelgröße bei entsprechender Geschwindigkeit beschädigt, wird ein neuer Probekörper oder eine unbeschädigte Stelle des Probekörpers mit der Kugelgröße und der entsprechenden Geschwindigkeit der nächst tieferen Klassengrenze beschossen. Bleibt der Probekörper unbeschädigt, wird der Versuch auf vier weiteren, den schwächsten Stellen am Probekörper oder an neuen Probekörpern ausgeweitet. Insgesamt gibt es zwischen 30 und 50 Beschüsse. Bleiben die Probekörper nach dem Beschuss unbeschädigt, kann das Bauteil der entsprechenden Hagelwiderstandsklasse zugeordnet werden. "Die Schwachstellen bzw. kritischen Stellen bei den verschiedenen Bauteilfunktionen können an verschiedenen Stellen liegen. Deshalb kann es mehrere Schwachstellen auf einem Probekörper geben", so Hans Starl.

Beurteilung und Einteilung in Hagelwiderstandsklassen

Bei den Hagelprüfungen gibt es kein "Durchgefallen". Das Ergebnis ist immer eine Hagelwiderstandsklasse (Hagelwiderstand in Zentimeter) je Bauteilfunktion. Die Bauteilfunktionen, die angegeben werden, sind:

•    Aussehen: das optische Kriterium. Das Aussehen eines Bauteils beschreibt die Ästhetik, die im Fall einer Beschädigung aber keine relevante Auswirkung auf die Funktionalität des Bauteils hat. Zum Beispiel können Blechelemente an Fassade und Dach Dellen aufweisen, sind aber immer noch wasserdicht.

•    Bei der Funktionalität sieht es anders aus: Das Bauteil erfüllt eine oder mehrere Funktionen. Für jede Bauteilfunktion muss die Energie der Hagel-widerstandsklasse ermittelt werden, ab welcher das Bauteil beschädigt wird. Folgende Bauteilfunktionen werden in den Prüfbestimmungen berücksichtigt: Wasserdichtheit, Lichtdurchlässigkeit, Lichtabschirmung und Mechanik.

Beispielsweise beschreibt die Klasse HW 1 die Resistenz bei einem 10 mm Hagelkorn, HW 2 bei 20 mm, HW 3 bei 30 mm, bis Klasse HW 5 bei einem 50 mm Hagelkorn. Eine Klassifizierung in der Hagelwiderstandsklasse HW 3 bedeutet somit, dass das Bauprodukt beim Aufprall eines Hagelkorns von 30 mm Durchmesser schadenfrei bleibt.

Produktsuche im Hagelregister

"Mit gemäß den im D-A-CH-Raum anerkannten Hagelschlagprüfungen können Schadenbilder und Versagensmechanismen von realen Hagelschäden an Bauprodukten sehr realitätsnah und reproduzierbar nachgestellt werden", sagt Hans Starl. Das Resultat der Hagelprüfung ist der Eintrag im Hagelregister, wo die Klassifizierung bzw. Anerkennung publiziert wird und für Werbung bzw. den Nachweis des Prüfergebnisses Gültigkeit hat und frei zugänglich ist. 

Die Suche nach hagelresistenten Baumaterialien ist online im Hagelregister unter www.hagelregister.at kostenlos und einfach möglich. 
Die Suche nach hagelresistenten Baumaterialien ist online im Hagelregister unter www.hagelregister.at kostenlos und einfach möglich. 

In dem im D-A-C-H-Raum anerkannten Hagelregister hagelregister.at werden alle Bauteile transparent, vergleichbar und standardisiert publiziert. Jede*r Konsument*in, Planer*in und Verarbeiter*in hat objektive Vergleichsmöglichkeiten, welche Resistenz die einzelnen Bauprodukte in Bezug auf Hagelschlag aufweisen und kann diese entsprechend wählen. Anhand eines interaktiven Gebäudes können einfach und intuitiv die gesuchten Baumaterialien bzw. Produkte angeklickt werden (z. B. Dach, Fassade, Beschattung etc.). Über die erweiterte Suchoption können Produkte zusätzlich nach ihrer Hagelwiderstandsklasse, dem Hersteller oder dem konkreten Produktnamen gesucht werden. 

Fazit: Hagelschutz ist möglich

Mit geeigneten, geprüften Materialien, die der  Hagelgefährdung der Region entsprechen, ist bestmögliche Hagelprävention realisierbar. Wichtig ist: "Hagelschutzmaßnahmen an Gebäuden müssen permanent vorhanden sein, denn für eine  Reaktion vor dem Ereignis ist meist keine Zeit", so Hans Starl. So gut ein Gebäude auch vor Hagel und anderen Naturgewalten geschützt ist, ist es dem Naturgefahren-Experten wichtig zu betonen: "Unabhängig vom Gebäudeschutz ist es unumgänglich, dass der Personenschutz während einem Hagelereignis höchste Priorität hat, da Hagelkugeln mit fünf Zentimeter oder mehr bei erwachsenen Personen zu schweren Verletzungen führen bzw. lebensbedrohliche Folgen haben können."

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