Die Flechtschwestern
Zwei Schwestern halten eine Tradition hoch, die schon fast in Vergessenheit geraten ist: das Flechten. Gemeinsam restaurieren sie in liebevoller Handarbeit Möbelstücke, die für Generationen gedacht sind.

Luise Matuschka und Anna Braendle teilen nicht nur DNA, sondern sie sind auch durch ihre große Leidenschaft sprichwörtlich miteinander verwoben – das Flechten. Die ursprünglich aus Oberösterreich stammenden Schwestern haben das Handwerk von dem in Wien bekannten und mittlerweile verstorbenen Sesselflechter Robert Roth gelernt.
„Ich habe Robert im Fernsehen gesehen und gewusst – genau das möchte ich auch können“, erzählt Luise Matuschka. „Nach einem Schnuppertag war ich schon mit dem Flechtvirus infiziert – und nach zwei weiteren Kursen bei ihm war klar, dass mich dieses Handwerk nicht mehr loslässt.“ Während Luises Leidenschaft rasch Fahrt aufnimmt, ist Anna zuerst skeptisch. „Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie sehr man ins Flechten reinkippen kann“, lacht sie. Flecht-Doyen Robert Roth nimmt die beiden unter seine Fittiche – die Kurse bei ihm und seine Begleitung hinterlassen bei den Schwestern bleibenden Eindruck. „Bis heute reden wir von unserem Meister“, so Luise Matuschka. „Er hat uns immer gefordert und gefördert und uns in allem unterstützt.“ Dreißig Sessel müsse man laut Roth flechten, um sich Sesselflechter*in nennen zu dürfen – und im Laufe der Jahre haben die beiden gemeinsam fast hundert Sessel mit ihrer Fingerfertigkeit geflochten.

Mittlerweile hat Luise das Gewerbe angemeldet und ist nebenberuflich als Flechterin tätig, Anna ist noch in der Übungsphase. Gemeinsam arbeiten sie so oft es geht in ihren Wohnungen an Sesseln und anderen Möbelstücken. „Es ist für uns ein Geschenk, dass wir das Flechten noch bei Robert Roth lernen durften. Er war immer auf der Suche nach Personen, die das Handwerk weiterführen – wir sehen es auch als unsere Aufgabe, sein Erbe am Leben zu erhalten“, so Anna Braendle.
Voll im Flow
„Man muss es lieben, um es umzusetzen“, so Luise Matuschka, die das Korbflechten im Rahmen zahlreicher Kurse in Wien und an der VHS im Stift Schlierbach bei Robert Roth gelernt hat. Während Luise hauptberuflich Legasthenietrainerin ist und nebenberuflich das Gewerbe zur Herstellung von Korb- und Flechtwaren angemeldet hat, ist Anna neben der Flechtleidenschaft im Kulturbereich tätig. „Luise ist meine Chefin“, lacht sie. Aktuell arbeiten sie an den Stücken in den Büros oder Wohnzimmern ihrer Wohnung, beide träumen von einem Atelier oder einer kleinen Werkstatt. Groß müsse sie nicht sein, schließlich brauche man zum Flechten nicht viel Platz. „Die Umsetzung des Handwerks braucht in etwa so viel Raum wie das Möbelstück“, so Luise. Für die beiden ist das gemeinsame Flechten auch wichtige „Schwesternzeit“, wie es Anna nennt. Und diese Zeit bietet Raum für vieles: „Manchmal hören wir Musik, manchmal unterhalten wir uns“, ergänzt Luise. „Und oft flechten wir uns fast in eine Art meditativen Zustand – ich nenne dieses Gefühl den Zustand des ‚kleinen Glücks‘.“

Detail- und materialverliebt
Wie lange es dauert, um einen Sessel zu flechten, ist für die beiden ganz unterschiedlich. „Manchmal sind es bis zu fünfzehn Stunden – das hängt auch davon ab, wie dick die Fäden sind und wie viele Löcher der Sessel hat. Denn jeder Sessel ist anders, hat sein eigenes Geheimnis und hält meistens eine Überraschung bereit“, ergänzt Luise. Das sei das Schöne daran – und auch das Herausfordernde: „Alle Sessel sind handgemacht und jedes Stück wird durch das Geflecht ein Unikat.“ Sowohl in der Materialauswahl als auch bei der Technik gibt es unterschiedliche Anforderungen. „Beim klassischen Wiener Geflecht handelt es sich um die Arbeit mit Rattanfäden, die in sechs Lagen zu einem Wabenmuster geflochten werden“, skizziert Luise. Bis zu zwei Meter lang können die Fäden sein und werden in unterschiedlichen Stärken verarbeitet. Auch auf die Qualität des Materials kommt es an: „Wir verwenden nur die so genannte Goldqualität, die in Wien glücklicherweise noch in einem Fachgeschäft erhältlich ist.“ Freilich gäbe es im Internet zuhauf Quellen für billigeres Material. „Das ist für uns ethisch allerdings nicht vertretbar“, so Luise. Hauptsächlich kümmern sich die beiden um Sessel, die wieder zu neuem Leben erweckt werden sollen und restauriert werden. Beim Wiener Geflecht gibt es dabei entweder handgeflochtene Flächen oder ein Fertiggeflecht. Was zum Einsatz kommt, bestimmt der Stuhl selbst: „Wenn die Sessel Löcher haben, werden die einzelnen Fäden eingeflochten – sobald eine Nut vorhanden ist am Sesselrand wird ein fertiges Geflecht hineingepresst“, erklärt Anna.
Fingerfertigkeit und Feingefühl
Ausgestattet sind die beiden Flechtschwestern mit einem wesentlichen und im wahrsten Wortsinn Handwerkszeug: „Unser wichtigstes Tool sind unsere Hände und Finger.“ Mit Hilfe von Nadeln und Spachtel werden die unterschiedlichen Lagen geflochten, der Einsatz eines Lineals sorgt dafür, dass die Fäden in eine parallele Linie gebracht werden. Während sich Luise dem Wiener Geflecht widmet, das viel Geduld und Feinarbeit erfordert, flicht Anna gerne das sogenannte Dänische Geflecht – hier ist durch die Dicke der Fäden und deren Anordnung viel Kraft gefragt. „Flechten ist sprichwörtlich Handarbeit“, so Anna. Und die ist anstrengend, schließlich braucht es die geschickte Kombination aus Spannung, künstlerischem Geschick und Feingefühl.
Apropos Feingefühl: Emotional wird es oft auch im Kund*innenkontakt – die Stücke, die Luise und Anna restaurieren, haben meist eine lange Geschichte hinter sich und liegen ihren Besitzer*innen sehr am Herzen. „Das Klavierstockerl der Großmutter oder der Thonet-Sessel als Generationenerbstück – jedes Möbelstück bekommt von uns viel Zuwendung“, so Luise. „Der Respekt vor dem Gegenstand, seiner Geschichte und seinen Besitzer*innen ist eine wichtige Grundhaltung für uns.“ Genau hier spiegelt sich auch der hohe Wert des Handwerks wider: Liebevoll restauriert, hält ein Geflecht je nach Nutzung bis zu dreißig Jahre. Damit wird jeder Sessel Faden für Faden zu einem robusten Lebensbegleiter, der von den Flechtschwestern in Handarbeit qualitativ hochwertig restauriert wird. Was sich die beiden für die Zukunft wünschen? „Ein eigenes Atelier wäre wunderbar, damit wir unsere Stücke auch ausstellen können“, so Luise. Damit würde auch die Sichtbarkeit dieses Berufsbildes gestärkt werden. „Viele Menschen haben keine Idee vom Berufsbild der Flechter*innen, es wäre schön, wenn sich das in Zukunft ändern kann.“