Interview
"Ich rechne mit einer Verdreifachung des Dusch-WC-Marktes"
Herr Wirz, Ihre Designschmiede Vetica hält als Credo "Design of the human touch". Warum?
In einer Welt, die immer komplexer und digitaler wird, entfernen wir uns zunehmend vom Eigentlichen, vom Ursprünglichen, vom Einfachen. Als "human touch" war es von der Natur ursprünglich sicher nicht so gewollt, alles digital zu machen. Je mehr also digitalisiert wird, umso wichtiger wird die analoge Welt, also spüren, riechen, fühlen und sehen. Wenn wir immer mehr Zeit hinter unseren Bildschirmen verbringen, geht zwangsläufig auch fühl- und spürbare Realität verloren. Der "human touch" bedeutet für mich also umgelegt auf unsere Arbeit nichts anderes, als Lösungen zu entwickeln, die das Digitale wieder zurückführt – hin zur haptischen Erlebniswelt. Das ist für uns schon seit Jahren zentral. Es manifestiert sich in der Rückführung hin zur Einfachheit von Produkten sowie in der Art und Weise, wie wir etwas wahrnehmen.
Der 'human touch' bedeutet für mich umgelegt auf unsere Arbeit nichts anderes, als Lösungen zu entwickeln, die das Digitale wieder zurückführt – hin zur haptischen Erlebniswelt.
Sie haben unter anderem für Laufen die Cleanet Modelle entworfen. Was unterscheiden diese von den Mitbewerber*innen? Wo sehen Sie Ihr unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal?
Wir waren die ersten, die versucht haben, den Nimbus der Maschine zu eliminieren. Zu einer Zeit, als alle – vor allem asiatische Hersteller – als Mantra hatten, möglichst viel Technologie möglichst sichtbar in ihre Modelle zu verpacken. Unser Ansatz war von Anfang an, gerade dies nicht zu tun. Auch wieder dem Credo geschuldet "the human touch". Sozusagen das Einfachste der Welt so einfach wie möglich zu erhalten.
Inwieweit unterscheidet sich der europäische Geschmack generell vom asiatischen im Sanitärbereich?
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal ist zweifelsfrei, dass die Asiaten sehr viel Freude an Gimmicks und Features haben. Dies zieht sich durch sehr viele Produktkategorien auch abseits des Sanitärmarktes. In Asien sind beispielsweise Dusch-Toiletten ohne automatische Deckelöffnung, Geräuschunterdrückung, Geruchsabsaugung & Co unverkäuflich. Die Asiaten versuchen, ihre Produkte mit Features zu überladen, wir in Europa trachten danach, diese auf die wesentlichsten zu reduzieren.
Für uns waren jedenfalls immer schon zwei Dinge zentral: Zum einen haben wir Hygiene über alles gestellt. Daher produzieren wir sämtliche Flächen, die berührt werden, aus Edelstahl und nicht aus Kunststoff. Und zum anderen war uns wichtig, Technologie unsichtbar zu machen. Also alles in die Keramik zu integrieren. Wenn man also so will, gilt der europäische Geschmack im Kontrast zur Verspieltheit und dem üppigen Design der Asiaten der reduzierten Eleganz. Weiters geht es uns auch darum, eine Ikonographie, also ein unverwechselbares „Produktgesicht“, zu kreieren. Darum haben wir auch das Navia als Nachfolgeprodukt des Riva ganz eng an dessen Linie angelehnt. Sie unterscheiden sich nur leicht. Die Designsprache bleibt erhalten. Obwohl es günstiger ist, trägt es die wichtigsten Merkmale: kein Kompromiss in der Hygiene und kein Kompromiss in der Einfachheit. Das ist im Übrigen ein weiterer Unterschied zu den asiatischen Anbietern, die immer wieder komplett neue Formen und Designs schaffen. Darum haben diese Unternehmen in Europa auch keinen sonderlichen Erfolg.
Form follows function – gilt dieser alte Designerspruch noch?
Sie haben recht, der Spruch ist wirklich schon sehr alt, hat aber nach wie vor seine Bedeutung. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter und sagen: Design follows systems. Das heißt, dass wir die unwirtschaftliche Ära verlassen haben, jedes einzelne Produkt immer wieder von Grund auf neu zu überdenken. Wenn man eine funktionierende Plattform hat, die auch in hohen Stückzahlen produzieren kann, dann wäre es fatal, diese jedes zweite Jahr neu aufzusetzen. Daher geht es in unserer Arbeit auch darum, längerfristig haltbare Plattformen zu entwickeln, die sich auch untereinander kombinieren lassen. Die Automobilindustrie macht uns dies beispielsweise schon sehr lange vor. Die Sanitärindustrie ist da noch sehr traditionell und muss diesen Ansatz erst implementieren.
Navia bewegt sich im Vergleich zu Riva in einem deutlich günstigeren Preissegment. Ist das dem verschärften Preiskampf in Europa geschuldet?
Keine Frage: Jeder Hersteller braucht die "good, better, best"-Lösung. Denn es gibt verschiedene Märkte und unterschiedliche Benutzergruppen. Somit geht es darum, dass Hersteller, sozusagen im 360-Grad-Radius, diese unterschiedlichen Anspruchsgruppen mit ihren Produkten auch wirklich abholen können. Aber natürlich ohne Kompromisse auf die Qualität in Funktionalität und Design. Deswegen wird auch das günstigere Navia beispielsweise komplett in der Schweiz gefertigt, während andere zur Gewinnmaximierung in Osteuropa oder Asien produzieren lassen.
Glauben Sie, dass das WC mit Duschfunktion auch in Europa zur Erfolgsgeschichte werden kann?
Hygiene ist ja nicht etwas, das an Grenzen haltmacht. Natürlich ist es so, dass vor allem in Japan die Hygiene immer schon einen ganz besonderen, vielleicht sogar übertriebenen Kulturstatus hält. Wir in Europa hatten da bisher einen etwas natürlicheren Zugang. Dennoch ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Durchdringung ordentlich Fahrt aufnimmt. Fakt ist: Jeder, der schon einmal eine Dusch-Toilette benutzt und dessen Vorteile kennengelernt hat, wird darauf nicht mehr verzichten wollen. Ein derartiges Reinheitsgefühl ist mit nichts zu vergleichen. Gerade jetzt in Zeiten, wo Bakterien zum immer größeren Thema werden, ist maximale Hygiene das Gebot der Stunde. Zwar dauert die Marktdurchdringung länger, als wir es uns ursprünglich alle gedacht haben, aber dieser Trend ist zweifelsfrei unaufhaltsam. Sie werden heute beispielsweise als Hersteller kein 5-Sterne-Hotel mehr ausrüsten können, ohne ein Dusch-WC im Sortiment zu haben. Zudem werden sie auch im gehobenen Objektbau zunehmend zum Standard. Bereits heute wird bei den Vorwandelementen bevorzugt zu jenen Modellen gegriffen, die den elektrischen Anschluss bereits vorgesehen haben. Die größere Durchdringung ist also nur noch eine Frage der Zeit. Valide Studien gibt es zwar nicht, aber ich rechne mit einer Verdreifachung der heutigen Stückzahlen innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre.
Zur Person
Der studierte Maschinenbauer Peter Wirz wurde 1960 in Brienz in der Schweiz geboren. Bevor er sich dem Industriedesign zuwandte, war er als Spitzensportler erfolgreich – er nahm zweimal an den olympischen Spielen teil, 1984 wurde er Europameister im Mittelstreckenlauf. Seit 1997 betreut er mit Vetica Kunden aus der Schweiz, aus Europa und aus Übersee. Das Tätigkeitsfeld von Vetica erstreckt sich von der Medizintechnik über Consumer-Products, Sport und Lifestyle, Engineering, Computer-Benutzeroberflächen bis hin zum Interior-Design. Für Laufen hat Vetica seit 2001 mehrere Produktlinien entwickelt; zum Beispiel das international äußerst erfolgreiche Laufen pro oder die Cleanet Serie.