Entwässerungslösungen

Alles im Fluss?

Abwassertechnik
01.09.2024

Regional begrenzte Starkniederschläge und lange Dürreperioden fordern das Abwassermanagement in Wohngebäuden sowie die öffentliche Kanalisation heraus. Wie lässt sich die Effektivität von Entwässe­rungsanlagen verbessern? Und was bedeutet das für die SHK-Sanierungspraxis?
Hybrid-Hebeanlage
Hybrid-Hebeanlagen eignen sich für die freie Aufstellung im Gebäude und ebenso für die Installation in einem Kunststoffschacht außerhalb des Hauses

Aktuelle Studien belegen, dass Unwetter und Regenfälle mit überdurchschnittlichen Niederschlagsmengen in den letzten Jahren rapide zugenommen haben. Innerhalb kürzester Zeit kommen dadurch enorme Wassermengen zusammen, die zur Überlastung von bestehenden Kanälen führen oder als Hangwasser in ein Gebäude eindringen. Bei einem solchen Starkregenereignis kann es zu einem Rückstau aus dem Straßenkanal und zu einem massiven Austritt von Abwasser in das Gebäude kommen – und zwar dann, wenn Ablaufstellen innerhalb des Gebäudes (z.B. WC, Bodenabläufe, Waschbecken) tiefer liegen als die maßgebliche Rückstauebene. So wird in Fachkreisen jene Höhenlage bezeichnet, bis zu der das Abwasser im Straßenkanal ansteigen kann, bevor es über den nächsten Kanalschacht austritt. Ein sicherer Schutz vor zurückdrückendem Wasser aus der Kanalisation spielt deshalb sowohl beim Neubau als auch in der Sanierung eine immens wichtige Rolle. Eine besonders effiziente und umweltschonende Lösung hat kürzlich der deutsche Entwässerungsspezialist Kessel mit seiner neuen Hybrid-Hebeanlage „Ecolift L“ vorgestellt.
Mit der anteilig aus Rezyklat hergestellten Erweiterung der „Ecolift“-Produktfamilie bietet das Unternehmen nun eine flexible Alternative zu klassischen Hebeanlagen mit einer Pumpenleistung von 1,35 kW und 6 l/sec. Die Hybrid-Hebeanlage nutzt im Normalbetrieb die Schwerkraft und pumpt nur bei Rückstau. So spart die „Ecolift L“ im Vergleich zu klassischen Hebeanlagen rund 70 % Strom bei geringerem Verschleiß, niedrigerer Lärmemission, reduziertem Wartungsaufwand und hoher Betriebssicherheit.

Maximale Sicherheit für Bewohner und Eigentümer

Neben kleineren Abwasser-Hebeanlagen wie DrainLift Sani Cut von Wilo oder reinen Schmutzwasser-Hebeanlagen wie Sanivite + und Sanifast S der SFA Marke Sanibroy für den häuslichen Bereich bieten auch Rückstauverschlüsse bei ausreichendem Gefälle zum Kanal eine sichere Lösung. Viele moderne Varianten sind heute bereits mit Zusatzfunktionen ausgestattet, die bei Rückstau Alarm auslösen und angeschlossene Wasserverbraucher wie Waschmaschinen abschalten.

Bei angeschlos­senen Toiletten sind gemäß ÖNORM B 2501 nur Rückstauverschlüsse vom Typ 3 zulässig.

Erich Mathä, Sachverständiger

Erich Mathä, Sachverständiger
Erich Mathä, Sachverständiger  

Warum für die Absicherung bei angeschlossenen Toiletten gemäß ÖNORM B 2501 nur Rückstauverschlüsse vom Typ 3 zulässig seien, erklärt Erich Mathä, gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Heizung und Sanitär: „Wird ein Rückstauverschluss mit rein mechanischen Pendelklappen (Typ 2) für fäkalienfreies Abwasser eingebaut, obwohl die Leitung auch Fäkalien mitführt, dann kann dies schnell zu Verstopfungen und Funktionsstörungen führen. Tritt dann zusätzlich ein Rückstaufall ein, versagt die Rückstausicherung.“ Vor allem die Art des Abwassers ist entscheidend für die Produktwahl von Hebeanlagen und Rückstauverschlüssen. Denn hier kommt es auf die angeschlossenen Entwässerungsgegenstände an.
So lässt sich z. B. fäkalienfreies Abwasser (Grauwasser) aus Waschmaschinen, Duschen und Badewannen mit einer Schmutzwasser-Hebeanlage entsorgen. Beim zusätzlichen Transport von fäkalienhaltigem Abwasser (Schwarzwasser) aus Toiletten und Urinalen hat sich etwa das als Mono- oder Duoanlage verfügbare Modell Aqualift F von Kessel in der Installationspraxis bewährt.

Effiziente Entwässerungslösungen im Sanierungsfall

Nicht nur aus hygienischen Gründen gehören professionelle Abwasserinstallationen zu den wichtigsten Aufgaben in der Gebäudetechnik. Gerade während einer kostspieligen Gebäudesanierung stellt die Sicherstellung einer möglichst effizienten und langlebigen Entwässerung einen wichtigen Faktor dar, um Verunreinigungen und Bauschäden zu vermeiden.

Bei der Sanierung sind Entwässerungslösungen mit einer geringen Aufbauhöhe und einer hohen Ablaufleistung gefragt.

Mario Kokot, Vertriebsleiter

Mario Kokot, Vertriebsleiter
Mario Kokot, Vertriebsleiter

Das weiß auch Mario Kokot, Vertriebsleiter beim oberösterreichischen Edelstahlspezialisten Aschl: „Undichte Entwässerungskomponenten wie Bodenabläufe und Rinnensysteme können Wasserschäden an der Bausubstanz sowie Schimmel verursachen. Wenn verunreinigte Substanzen in den Abwasserkanal gelangen, kann dies auch relativ rasch zu Hygieneproblemen in Lebensmittelbetrieben führen.“ Bestandsgebäude stellen häufig besondere Anforderungen, da normalerweise nur geringe Bodenaufbauten zur Verfügung stehen. „Deshalb sind in der Sanierung Entwässerungslösungen mit einer geringen Aufbauhöhe und einer hohen Ablaufleistung gefragt“, erklärt Kokot.
Die patentierte Badrinne SPArin und die Parkdeckrinne Securin von Aschl besitzen beispielsweise zusätzliche Drainagelöcher, die die obere Dichtebene entwässern. Ein verschweißter Anschlussflansch sorgt zudem für eine maximale Verkrallung mit dem Bodenbelag. Somit kann sich im Bodenaufbau keine Stau- oder Sickernässe mehr bilden und Schäden an der Bausubstanz werden vermieden.

Abwasser als Ressource stärker nutzen

Stolze 1.094 Millionen Kubikmeter Abwasser produziert unser kleines Land Österreich pro Jahr, welches von den Vereinten Nationen als “eine große Ressource, die noch nicht ausreichend genutzt wird” bezeichnet wird. Immer lauter werden daher die Stimmen, die daraus wertvolle Pflanzennährstoffe wie Stickstoff und Phosphor zurückgewinnen wollen. Denn obwohl etwa 72 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt sind, eignet sich nur 0,3 Prozent davon als Trinkwasser. „Angesichts dessen ist Abwasser kein Abfall. Es enthält thermische Energie, chemische Energie in Form von Kohlenstoffverbindungen und wertvolle Pflanzennährstoffe. Jetzt gilt es, neue Verfahren und Prozesse zu entwickeln, die es erlauben, diese Ressourcen auch tatsächlich zu nutzen“, sagt Helmut Lehn vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). So könne die Abwärme häuslichen Abwassers zum Beispiel mittels Wärmetauschern in Kanalrohren verwertet werden. „Noch effektiver ist es, das warme Abwasser aus Waschmaschine und Bad direkt im Haus zu nutzen, um etwa frisches Wasser zum Duschen vorzuwärmen“, ergänzt Witold Poganietz, der mit Lehn eine gemeinsame Forschungsgruppe leitet. Eine solche Anlage sei in einem Berliner Wohnblock bereits in Betrieb.

Energie erzeugen durch Grauwasser

Aber auch in Wien wird gerne Neues ausprobiert: In einem kürzlich sanierten Gründerzeitgebäude in Rudolfsheim-Fünfhaus wird künftig mit Abwasser aus 31 Wohnungen wertvolle Energie produziert, die im Gebäude für Warmwasser sorgt und eine Bäckerei im Erdgeschoss kühlt. Ermöglicht wird dies über eine innovative Grauwasseranlage, die fäkalienfreies Abwasser aus Bädern, Duschen oder Waschmaschinen zuerst filtert, dann über Wärmetauscher leitet und dadurch Warmwasser und Kühlung herstellt. „Wir haben eine vom Bund geförderte Abwasserwärmerückgewinnung eingebaut und decken damit hundert Prozent des Warmwassers“, sagt Projektleiter Helmut Schöberl. Darüber hinaus soll das Grauwasser auch für WC-Spülungen und Grünflächen-Bewässerung verwendet werden.

Energie durch Grauwasser - Gründerzeithaus in Wien
Innovative Sanierung: Gründerzeithaus in Wien 15 erzeugt jetzt Energie durch Grauwasser.

Die Bereitstellung energiesparender Systemlösungen und Services mit hohem Klimaschutzpotenzial im Bereich Trink- und Abwassermanagement ist auch das vorrangige Ziel des weltweit tätigen Pumpenspezialisten Wilo, berichtet Österreich-Geschäftsführer Gernot Kammerhofer: „Unsere Hocheffizienzpumpen, die für den Einsatz in Ein- und Mehrfamilienhäusern sowie öffentlichen und gewerblichen Gebäuden konzipiert sind, sind alle elektronisch geregelt und passen sich dem tatsächlichen Bedarf des Systems an. Durch den Permanentmagnetmotor verbraucht eine solche Pumpe heute um bis zu 80 Prozent weniger Strom als eine vergleichbare ungeregelte Pumpe.“

Professionelle Planung und Ausführung sind unverzichtbar

Zahlreiche Vorschriften und Normen – z.B. DIN 1986-100 oder ÖNORM B 2501 – regeln bis ins letzte Detail, wie eine Entwässerungsanlage geplant und gebaut werden darf. Gefälle, Querschnitt und Durchmesser der Rohrsysteme sowie Anordnung, Abstände und Einmündungswinkel der Leitungen müssen ganz genau aufeinander abgestimmt werden. Die Dimensionierung hängt wiederum von der Zahl der Bewohner bzw. von der Zahl der angeschlossenen Objekte ab. Hier gilt es naturgemäß sehr viele technische Details zu beachten, weswegen Planung und Ausführung einem zertifizierten Fachbetrieb überlassen werden sollte. Das vollständige Abfließen des Abwassers hängt auch vom richtigen Durchmesser der unterschiedlichen Rohrleitungen ab. In einem zu kleinen Querschnitt staut sich das Abwasser, auch die Entlüftung funktioniert nicht. Ist der Querschnitt zu groß, können Feststoffe wegen des zu flachen Wasserstroms nicht weggespült werden. „Es wird bei Sanierungen ebenfalls oft vergessen, dass sich Abwasserleitungen bei Erwärmung ausdehnen und bei Abkühlung zusammenziehen“, erzählt Johann Reisner, Sachverständiger für Abwassertechnik aus der Steiermark. „Diese temperaturbedingten Längenänderungen müssen ausgeglichen werden, da mitunter enorme Schub- und Zugkräfte entstehen, die zu Beschädigungen an den Abwasserleitungen führen können. Größere Längenänderungen gerade verlaufender Abwasserleitungen müssen – zum Beispiel durch Schiebemuffen oder Dehnungsausgleicher – kompensiert werden.“

Klimaneutralität heißt das Zauberwort

Abwassernetze stellen bedeutende Anlagenwerte dar, die im privaten, gewerblichen und öffentlichen Bereich überdurchschnittlich viel elektrische Energie verbrauchen. Und deshalb lautet die zentrale Frage auch beim Abwassermanagement: Wie kann man die Energieeffizienz erhöhen, die Betriebskosten senken und die Umweltauswirkungen minimieren?

100 Prozent klimaneutrale Kunststoff-Abwassersystem „nevoPP“ von Rehau
Leistet einen aktiven Beitrag zur Kreislaufwirtschaft: Das erste 100 Prozent klimaneutrale Kunststoff-Abwassersystem „nevoPP“ von Rehau.

Mit der Präsentation des ersten 100 Prozent klimaneutralen Kunststoff-Abwassersystems „nevoPP“ auf der heurigen IFAT in München führte beispielsweise der deutsche Innovationsführer Rehau vor, wohin die Reise geht. „Kommunen erhalten damit einen wirksamen Hebel, um ihren CO2-Fußabdruck im Tiefbau entscheidend zu reduzieren und einen aktiven Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten“, sagt Fabian Listringhaus, Vertriebsleiter Water Infrastructure International und argumentiert: „Bei der Herstellung wird ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt und bis zu 80 Prozent des verwendeten Polypropylens kommen aus Industrierezyklaten.“

Branchen
Haustechnik