Blick hinter die Fassade
Deutlich sichtbare Haltepunkte, herkömmliche Pfosten-Riegel-Konstruktionen und simple Glasflächen gehören im Anforderungsprofil von Architekten und Planern an moderne Glasfassaden der Vergangenheit an. Der Trend geht vielmehr in Richtung gekrümmte Fassaden, spezielle Scheibengeometrien, Verschneidungen, hohe Spannweiten ohne massive Stahlunterkonstruktion – das alles gepaart mit besten Wärme-, Schall- und Sonnenschutzwerten und unter Einsatz der letzten Technologien der Glasindustrie, angefangen bei neuer Planungs-Software bis hin zu Smartglas.
Um die Errichtungskosten, die Bauzeit und den CO2-Abdruck bei einem Neubau so gering wie möglich zu halten, ist die Verwendung einer integralen 3D-Planung Stand der Technik. So können viele Elemente mit einem hohen Vorfertigungsgrad just-in-time auf die Baustelle geliefert werden.
Neue Definition der Glasfassade
Die österreichische forstner glass+ GmbH beschäftigt sich seit acht Jahren mit Produkten rund um Glas und Glasfassaden. Die jüngste Einführung eines innovativen Punkthaltesystems untermauert das große Interesse an neuen Technologien in der Branche. Die Basis des Systems bilden vertikale Aluminiumprofile, die als statisch tragende Elemente ausgeführt werden, sie tragen alle Kräfte, wie Wind, Schnee und eventuelle seismische Lasten, ab.
Laut Hersteller lässt sich mit den Profilen bis zu 13 Meter hoch freitragend spannen, ohne zusätzliche Unterkonstruktionen zu benötigen, die die Transparenz der Gebäudehülle negativ beeinträchtigen. Damit entfallen horizontale Profile, und die Glaselemente werden vollkommen rahmenlos gehalten. Lediglich die Glasränder mit den versiegelten Verbindungen sind sichtbar.
Eine weitere Besonderheit des Systems ist die Möglichkeit, die Halteprofile nach außen zu legen.
Die Glaselemente sind strukturell verklebt und bilden die Wetterbarriere der Gebäudehaut. Das „VS1-System“ hält die Scheiben nahezu unsichtbar mittels Lastenträger und Punktbefestigung im Glasstoßbereich. Damit müssen die Gläser nicht angebohrt werden, und es werden keine besonderen Lasten in die Scheibenfläche eingebracht.
So können nicht nur die Scheibenstärken wirtschaftlich dünn gehalten werden, sondern auch Sondergläser mit speziellen Zusatzfunktionen, wie z. B. Smartglas, eingebaut werden. Die elektrischen Anschlüsse und Kabelzuführungen verschwinden im Falz und im Profil. „Durch die punktuelle Halterung können auch Sonderformen und gebogene Scheiben verarbeitet werden. Kleine Halteplatten übernehmen die mechanische Absturzsicherung. Es können aber auch Vario-Ausführungen zur Anwendung kommen. Der Metallbedarf in der Fassade wird um die Hälfte reduziert“, erläutert Eigentümer Helmut Forstner.
Die neutrale Linie ist die Glasebene. Damit kann die glatte Glasfläche nach innen oder außen verlegt werden. Im Dachbereich können die Gläser auch hängend eingebaut werden. Alle Halterungen sind – bis auf eine Edelstahlschraube – thermisch getrennt. Das System ist in Europa zertifiziert und erfüllt alle modernen physikalischen Anforderungen einer Fassade. Durch den Entfall von Glaselementumrahmungen werden keine komplexen Metallbearbeitungen nötig. Damit werden die Vorlaufzeiten verkürzt. Produziert werden die Hauptelemente in Europa, auftragsbezogen, damit möglichst keine Materialverluste anfallen.
Beim Lambeth Civic Center in London (siehe Galerie) wurde letztes Jahr eine „VS1“ Glasfassade über acht Stockwerke errichtet. Im Rahmen der Renovierung des alten Gebäudes wurden zwei Bauteile mittels Glasfassade verbunden. Aus gebäudestatischen Gründen wurde dabei in rund acht Meter Höhe eine Spange eingebaut.
„Das System musste Bauteilbewegungen in außergewöhnlichem Maß aufnehmen können“, erzählt Helmut Forstner. Die Halteprofile wurden nach außen verlegt, die glatte Glasfläche zeigt ins Rauminnere. Im Dachbereich springt die Fassade noch zusätzlich zwei Meter nach hinten.
„Im Übergang von Vertikal zu Horizontal sind keinerlei Metallprofile eingebaut. Nur eine 25 Millimeter Edelstahlspange stabilisiert die Profile. Der Glasübergang ist durch eine Nurglasecke verbunden. Die Befestigung der Profile am Gebäude erfolgte am Boden und an der um zwei Meter zurückgesetzten Decke“, so Forstner.
Die gesamte Verglasung wurde mit elektrochromen Gläsern ausgeführt, die unzähligen Verkabelungen (Stromversorgung und Steuerung) verschwinden dezent in der Fassade.
Zukunft hinter Glas
Ein weiteres beeindruckendes Beispiel für eine moderne Ganzglasfassade mit höchstem Anspruch ist das „Haus der Zukunft“ in Berlin (siehe Galerie). Die Planung stammt von den Berliner Architekten Richter und Musikowsky. Das Gebäude wurde letztes Jahr fertiggestellt.
Das österreichische Unternehmen Petschenig glastec realisierte das anspruchsvolle Fassadendesign mit seinem neu patentierten Nurglassystem „Nut und Feder“. Es handelt sich dabei um eine Lösung für geklebte Nurglasfassaden, kompatibel mit jeder handelsüblichen Fassadenunterkonstruktion. Aufgrund der unsichtbaren mechanischen Sicherung ist es eine ideale Lösung für Structural Glazing Fassaden, für Holz- und Metallkonstruktionen. In Berlin kam Uniglas Sonnenschutzglas zur Anwendung. Das Künstlerhaus Wien und BMW Wien sind heimische Referenzobjekte für dieses System.
„Nut und Feder“ von Petschenig glastec ist ein fertig konfektioniertes Isolierglassystem, mit unterschiedlichen Glaskombinationen individuell nach den Anforderungen des Architekten bzw. der Bauphysik gefertigt. Die Montage erfolgt mit systembestimmten Eindrehhaltern und sorgt für den nötigen Anpressdruck der Innenscheibe an die Unterkonstruktion.
Durch das werkseitige Einkleben der Inlets und der Sicherungsfeder in den Randverbund und der Nut wird die zwängungsfreie mechanische Sicherung der Außenscheibe gewährleistet. Diese ermöglicht den Einsatz von Float–Float/VSG mit Sicherungs-„Nut und Feder“. Der Einsatz des Adapterrahmens ermöglicht eine minimale Fugenbreite von nur 14 Millimeter. Die zwängungsfreie Verklebung des Isolierglases umlaufend auf den Adapterrahmen ermöglicht einen Glasaufbau ohne vorgespannte Gläser – für einen verzerrungsfreien Durchblick.
Facelifting nach letztem Stand der Technik
Gemäß dem Trend zur Ganzglasfassade erfährt die bisher geteilte Fassade eines Objekts der Generali am Standort Goldschmiedgasse 2, Ecke Stephansplatz, in der Wiener Innenstadt derzeit ein Facelifting. Im Dachgeschoß wurde im Jahr 2005 nach den Plänen des bekannten Architekten Hans Hollein eine außergewöhnliche Glasfassadenkonstruktion errichtet. In dem Glaskubus befindet sich ein exklusives Appartement mit beeindruckendem Blick auf den Stephansplatz und den Dom.
Im Rahmen einer nachhaltigen statischen und bauphysikalischen Verbesserung führt die Wiener Glas&Co Glastechnik GmbH gerade einen besonders heiklen Glastausch am Objekt in 30 Meter Höhe durch.
„Die Glasfassade zeigt seit einigen Jahren eine divergente Entwicklung in zwei Richtungen: Zum einen die industrialisierte Form, die ,OTS‘-Fassadenkonstruktion, sozusagen ,von der Stange’. Der Preis war hier wohl entscheidender Faktor. Dem gegenüber steht die individuelle Fassadenkonstruktion“, erläutert Glas&Co Geschäftsführer Heinz Haring.
Die moderne, exklusive Sanierungslösung: Die bisher in der Höhe geteilten Glasscheiben werden durch ganze Glasscheiben ersetzt, die nun mit einer Höhe von mehr als sieben Metern gleich über zwei Geschoße reichen. Das vertikale Tragwerk besteht ebenso wie die Fassadenebene ganz aus Glas. Die Scheiben werden mit den Glasträgern über die gesamte Höhe verklebt. Das einzelne Scheibengewicht beträgt knapp zwei Tonnen und hat eine Fläche von mehr als 16 Quadratmetern.
Interaktive Fassade mit leistungsstarken Isoliergläsern
Nachhaltig, energiesparend, gesund – der Neubau des Hotels QO im Amsterdamer Amstelquartier zeigt, wie ein nachhaltiges, intelligentes Gebäude aussehen kann. Ein wichtiger Baustein im Energie- und Nachhaltigkeitskonzept ist die „intelligente“ Fassade – hier mit Isolierglaslösungen von Saint-Gobain Glassolutions.
Um die Auswirkungen auf die Umwelt auf ein Minimum zu reduzieren, haben Mulderblauw Architecten, Paul de Ruiter Architects und Arup Consulting und Engineering in enger Zusammenarbeit ein umfassendes Energie- und Nachhaltigkeitskonzept entwickelt. Sie planten das QO als „lebendiges“ Gebäude: Analog zur Natur sollen wie in einem sich selbst regulierenden, biologischen Organismus Wasser, Abfall und Energie in geschlossenen Kreisläufen erzeugt und verbraucht werden.
Bei der interaktiven Fassade ist eine Verknüpfung von Funktionalität, Ästhetik und Energieeffizienz gelungen: Geschoßhohe Verglasungen wechseln sich dort in einem strengen Raster mit dunkelgrau eloxierten Aluminiumelementen ab. 819 bewegliche, goldene Paneele, die der Verglasung vorgeschaltet sind, lockern das Bild spielerisch auf.
Die automatisierten Schiebeelemente reagieren auf das Wetter, die Jahreszeiten und darauf, ob Gäste eingecheckt sind oder nicht. So entsteht eine lebendige und abwechslungsreiche zweite Schicht vor der Raster-Fassade, die zugleich extrem funktional ist. Denn je nach individuellen Wünschen der Gäste bzw. Regelung durch das Gebäudemanagementsystem lassen sich durch Öffnen und Schließen der Paneele die Temperatur und die Tageslichtverhältnisse im Innenraum optimieren.
Die eingesetzten Funktions-Isoliergläser verbinden guten Sonnenschutz, hohe Lichtdurchlässigkeit und Wärmeschutz mit farbneutralem Charakter. So sorgen im Erdgeschoss „Climaplus Planitherm XN II“-Verglasungen für Wärmedämmung, höchstmögliche Transparenz und damit gute Durchsicht.
In den oberen Bereichen gewährleistet die Sonnenschutzverglasung „Climaplus Solar SKN 165 II“, dass die fantastische Aussicht über die Stadt und auch die Außenansicht in keiner Weise beeinträchtigt werden. Um die gleiche visuelle Qualität bei den runden Gebäudeecken wie in den planen Fassadenbereichen zu erhalten, fanden hier „Contour“-Lösungen mit gebogenen VSG-Kombinationen Verwendung.
Neue Formen mit Funktion und Nutzen
Standen vor wenigen Jahrzehnten vor allem Funktion und Nutzen im Vordergrund bei der Planung von Glasflächen, sind es heute zunehmend die ästhetischen und gestalterischen Möglichkeiten, die zählen. Gebogenes Glas spielt dabei eine wesentliche Rolle. Bei der kontinuierlichen Suche nach neuen und außergewöhnlichen Designs für Structural Glazing haben sich runde Formen zu einem nachhaltig und rasant aufstrebenden Trend in der Gestaltung von Glasfassaden entwickelt.
Dabei ist Glas heute nicht mehr das empfindliche und unflexible Baumaterial, das es früher einmal war. Verbesserungen im Herstellungsprozess und in den Verarbeitungstechnologien haben es resistenter, dünner und auch formbarer gemacht als je zuvor. Das bietet Architekten die Möglichkeit, geschwungene, sogar skulpturale Glasfassaden umzusetzen, die früher undenkbar waren.
Mit gebogenem Glas lassen sich viele Ansprüche verwirklichen, denn die Funktionalität der gebogenen Gläser ist heute kaum noch beschränkt: Technisch realisierbar sind gebogenes Flachglas für alltägliche und ausgefallene Ansprüche, gebogenes Einscheiben-Sicherheitsglas, das emailliert, siebbedruckt oder in einer anderen Form bearbeitet werden kann, gebogenes Verbund-Sicherheitsglas für erhöhte Sicherheitsanforderungen sowie gebogenes Zweifach bzw. Dreifach-Isolierglas, das Wärmeschutz mit Sicherheit, Sonnenschutz und Schallschutz kombiniert.
„Gebogenes Glas ist ein faszinierendes und vielfältiges Produkt, die Möglichkeiten reichen von Isolierglas in der Fassade oder Drehtüren bis zum gebogenen Verbundglas für Balkonbrüstungen oder Panorama-Lifte. Bei der Planung einer gebogenen Glasfassade sollten sich die Beteiligten allerdings möglichst früh an einen Tisch setzen, um die Ideen und Vorstellungen mit der Machbarkeit abzugleichen. Das ist bei gebogenen Gläsern noch viel wichtiger als bei planen“, sagt Christoph Wenna vom österreichischen Bogenglas- Spezialisten Wenna Glas.
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von beindruckenden Großprojekten mit gebogenen Fassaden umgesetzt. Dazu zählen auch zwei Projekte, die 2018 in Österreich fertiggestellt wurden. Beides sind aktuelle Beispiele für den großflächigen Einsatz von gebogenem Sicherheitsglas in einer Hochhausfassade, das vom international tätigen Glasbieger Wenna in Oberösterreich produziert wurde.
Beim Ersten handelt es sich um das Ende letzten Jahres von der Signa Holding fertiggestellte Multi-Use-Objekt „The Icon Vienna“, eine neue Landmark am Wiener Hauptbahnhof. Beim Zweiten um den PEMA Tower II in Innsbruck, einem multifunktionalen Geschäfts- und Wohngebäude, das auch die neue Stadtbibliothek beherbergt.
Moderne Strebepfeiler
Die ursprünglich in der Gotik erfundenen steinernen Strebepfeiler oder Mauerbänke dienten zur Verstärkung hoher Mauern und zur Ableitung von Schubkräften. Sie ermöglichten erstmals Bauhöhen in vorher nie möglichen Dimensionen.
Eine Weiterentwicklung kommt von Sedak – und zwar aus Glas. Die 65 Meter breite Ganzglasfassade der medizinischen Fakultät Montpellier – eine extreme und außergewöhnliche Glaskonstruktion, wird von 28 Glasfins, bestehend aus Vierfach-Laminat, getragen. Ein beeindruckendes Beispiel, zu welchen Leistungen der transparente Werkstoff auf dem Gebiet der Fassadentechnik imstande ist. Das Ergebnis in Montpellier ist eine maximal transparente, 680 Quadratmeter große Ganzglasfassade.
Fazit
Die transparente Fassade ist heute das Schlüsselgewerk im modernen Hochhausbau. Primär schützt sie das Gebäude vor meteorologischen und akustischen Einflüssen, sie erfüllt aber noch viel mehr – sie dient dem Architekten als „Leinwand“ für sein Gemälde, ist Visitenkarte des Errichters und im besten Fall ikonische Landmark oder Flagship für ein Unternehmen.
So kann sie neben ihrer klassischen Funktion die Corporate Identity visuell darstellen und gezielt spezifische Botschaften kommunizieren. Die technischen und gestalterischen Anforderungen der modernen Architektur an den ältesten und modernsten Baustoff der Welt in seiner Glanzrolle als Fassade sind – wie ausführlich beschrieben – zahlreich.
Fest steht: Glas wird, nicht zuletzt dank dem Engagement der heimischen Branchenvertreter, mit diesen wachsenden Ansprüchen flexibler, intelligenter und leistungsstärker.
Autor: Maximilian Schuster