Glasbau

Wenn ein Föhnsturm ein Ganzglasgeländer prüft

Geländer
23.07.2024

Ganzglasgeländer sind sicherheitsrelevante Bauteile. Daher ist klar, dass ein Glasgeländer nicht nur schön, sondern auch sicher sein muss.

Bernhard Feigl, Glas Marte
Bernhard Feigl, geschäftsführender Gesellschafter bei Glas Marte.

Ganzglasgeländer haben eine magische Ausstrahlung da die Funktion der Absturzsicherung nahezu unsichtbar umgesetzt werden kann. Wenn sich allerdings ein Schadensfall ereignet, ist klar zu erkennen, dass wesentliche Kriterien vernachlässigt wurden. Dieser Bericht spricht eindeutige Empfehlungen aus, was zu beachten ist.

Ganzglasgeländer als Systembauteil

Besonders bei einem Ganzglasgeländer müssen alle Komponenten zusammenpassen. Das Sicherheitsglas, die Befestigung am Baukörper aber insbesondere die Lagerung - Bettung der Gläser - müssen aufeinander abgestimmt und gemeinsam geprüft und als Einheit auch rechnerisch nachgewiesen werden. Nur so können die erforderlichen Sicherheitsstandards verlässlich eingehalten werden. Werden Gläser von Hersteller A bezogen und die Konstruktion und die Befestigungen von Hersteller B und C, können problematische Kombinationen entstehen. Nicht zuletzt können Beratungsfehler, Bestellfehler oder einfach nur Missverständnisse „passieren“. Niemand in der Beschaffungskette kann eingreifen, da die zusammenhängenden Kenntnisse fehlen. So kann es sogar vorkommen, dass komplett falsche Glasarten verwendet werden.

Häufiger ist es jedoch, dass unterschiedliche und irreführende statische Angaben nicht auf die jeweilige Bausituation und das Produkt angepasst sind. Oft wird der Glasausstand, der vorrangig für die Glasdimensionierung entscheidend ist, mit der Gesamthöhe (Glasausstand plus. Einspannbereich) verwechselt. Diese Verwechslung führt zu gravierenden Unterdimensionierungen, insbesondere, wenn während der Detailplanung auf eine bodenbündige Montage gewechselt wird. Aber auch bei der Ermittlung der Anzahl der Dübel oder der örtlicher Justiervorrichtungen findet man in manchen Unterlagen unklare Vorgaben. Leicht werden dann vom Verarbeiter falsche Schlüsse gezogen und eine Unterdimensionierung ist die Folge. Wie groß ist die Versuchung die Zahl von hunderten Einzelteilen bei der Ausführung auf eine günstigere Menge zu reduzieren.

Mit einer seriösen Statik kann die tatsächlich erforderliche Ausführung ermittelt werden.

Bernhard Feigl, geschäftsführender Gesellschafter bei Glas Marte

Problem Spannungsspitzen

Der Experte weiß, dass rund zwei Drittel aller Publikationen mit Punkthalter-Glasgeländer einer statischen Überprüfung nicht standhalten können. Die zulässigen Spannungen sind oft um ein Vielfaches überschritten. Ein Glück, dass die anzusetzenden Lasten in Wirklichkeit höchst selten auftreten. Als Richtwert wird in der ÖNorm 3716 angegeben, dass der Abstand zwischen den Punkthalterpaaren vertikal mindestens 150 mm und horizontal maximal 300 mm betragen sollte. Das bedeutet, dass pro Laufmeter ca. 6 bis 8 Punkthalter vorzusehen sind. Bei punktuellen Glasbefestigungen werden enorme Spannungsspitzen erzeugt - Kräfte die so nicht sein müssten. Durch eine seriöse Statik kann die tatsächlich erforderliche Ausführung einfach ermittelt werden.

Norm als wesentliches Konstruktionsmerkmal

Die Normung hat jetzt aber auch bei der Linienlagerung auf die sich rapid häufenden Glasbruchfälle reagiert, da es sich auch bei den meisten „Linienlagerungen“ in Wirklichkeit um Punkthalter-Befestigungen mit örtlichen Spannungskonzentrationen handelt. In der DIN 18008 ist als wesentliches Konstruktionsmerkmal der Einspannung bei Absturzsicherungen eine durchgehende Zwischenlage aus druckfestem Elastomer in Längsrichtung definiert. Alles andere ist nach Teil 3 (Punktförmig gelagerte Verglasungen) zu bemessen, denn durchgehend heißt: Linienlagerung.

Die Experten der SIA 2057 (s. Ksten) haben klar festgeschrieben, dass bei der Glaseinspannung der Einspannbereich statisch im Detail betrachtet werden muss, da erhöhte Bruchgefahr besteht. Spannungsspitzen sind zu vermeiden. Sollten in der als Linienlagerung deklarierten Glasbefestigung einzelne Druckpunkte meist in Form von Keilen verwendet werden, so sind diese durch eine volldynamische transiente Simulation nachzuweisen. Dabei ist es nicht entscheidend, ob es sich um Dreiecks-, Schiebe.- oder Drehkeile handelt.

Jeder der mit einem Ganzglasgeländer-Glasbruch konfrontiert war, weiß, dass ein Glasbruch natürlich von einem dieser Druckpunkte ausgeht. Damit ist der Beweis erbracht, dass die örtlichen Spannungskonzentrationen von entscheidendem Einfluss sind, was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Glasbruch bei einer tatsächlich gleichmäßig linienförmigen Lagerung erst bei deutlich höheren Kräften passiert wäre.

Zusammenfassung

Bei einer bedenklichen Kombination, bestehend aus falscher Materialwahl durch unterschiedliche Lieferanten, unrealistische statische Grundlagen, Einsparungen bei der Ausführung und imperfekte Baustellensituationen entsteht genau ein gemeingefährliches Bauteil.

Verlassen sie sich als Planer, Bauleiter oder Ausführender steht’s auf gute Systemlösungen und seriöse Berechnungen. Qualität beruht auf Fakten, nicht auf „magischen“ Billig-Preisversprechungen. (gw)

SIA 2057 - Ein Meilenstein für mehr Sicherheit und weniger Schadensfälle im Glasbau

Ganzglasgeländer sind sicherheitsrelevante Bauteile. Daher haben namhafte Schweizer Glasbau-Experten es sich zur Aufgabe gemacht, Qualitätskriterien im Konstruktiven Glasbau klar und eindeutig zu definieren. In dem neu erschienenen Merkblatt SIA 2057 werden bei wichtigen Punkten keine Kompromisse gemacht. Dabei handelt es sich nicht um die berühmte „Schweizer Qualität“, sondern viel mehr um die vorbehaltlose Bewertung von physikalischen, mechanischen und bautechnischen Erfordernissen, die im Fachkreis überall ohne dies schon lange bekannt sind.

Das neue Glasbau – Merkblatt SIA 2057 thematisiert viele Sachverhalte, über die lange oft hinweggeschaut wurden. Konstrukteure, Systemhersteller und Ausführende werden direkt angesprochen. Die SIA 2057 ist eine Grundlage, die eine hohe Qualität im Konstruktiven Glasbaus weit über die nationalen Grenzen hinaus als „Stand der Technik“ positioniert. Die gewünschten Qualitätsstandards sollen immer vom Kunden oder dessen Architekten vorgegeben werden. Als Ausführender ist man gut beraten, Qualitätsunterschiede aufzuzeigen, denn nicht selten bestellt der Kunde das Allerbilligste und behauptet dann beim ersten Anlassfall, das ihm die allerbeste Qualität zugesichert worden sei.

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