Ingenieurholzbau
Feuerwehrhaus mit Kurven
Das alte Feuerwehrgebäude der freiwilligen Einsatzabteilung Lustnau, eine ungedämmte, ehemalige Omnibushalle, die seit den 1970er Jahren als Interimslösung gedacht, dann aber zur "Einrichtung" geworden war, entsprach nicht mehr den modernen Anforderungen an ein Feuerwehrgebäude und lag zudem verkehrstechnisch relativ ungünstig. Die Stadt benötigte daher ein zeitgemäßes Funktionsgebäude mit einer besseren Verkehrsanbindung. Der Neubau an der Ecke Alberstraße / Stuttgarter Straße liegt nun näher an den zu versorgenden Wohngebieten und hat zudem eine direkte Anbindung an die B27.
Form und Ausrichtung des Gebäudes ergaben sich in erster Linie aus den notwendigen Funktionsabläufen der Feuerwehr. So müssen die Fahrzeuge in kurzer Zeit erreicht werden und umgehend starten können. Dafür sollen die Feuerwehrleute auf kurzen Wegen von ihren Privatfahrzeugen auf dem Parkplatz oder aus den Aufenthaltsräumen im Gebäude in die Umkleiden und in die Halle gelangen können. Optimierte Bewegungs- und Funktionsabläufe waren also wesentliche Parameter des Entwurfs.
Gebäudekonzept für kurze Wege
Das Gebäude mit Grundrissabmessungen von etwa 32 m x 14 m besteht aus einer knapp 7 m hohen Fahrzeughalle, die leicht schräg auf dem Grundstück platziert wurde und als Durchfahrthalle konzipiert ist. In der 464,38 m2 großen Halle finden fünf Einsatzfahrzeuge und zwei Wechsellader Platz. Die transparenten, rund 5,10 m hohen Tore bringen an den Längsseiten mit Ihrem hohen Glasanteil viel Licht in den Raum, so dass dieser von der Feuerwehr auch für Veranstaltungen genutzt wird.
An die Halle grenzt an der Nordseite ein eingeschossiger, etwa 4,50 m hoher Gebäudefinger, in dem ein Lager, eine Werkstatt und der Trockenraum für Kleidung untergebracht sind. Am anderen Ende der Halle, auf der Südseite, schließt sich ein zweigeschossiger Gebäudeteil an, der mit einer Attikahöhe von rund 7,70 m die Höhe der Halle aufnimmt. Über den zweigeschossig verglasten Eingang wird das Verwaltungsgebäude an der Nordostseite erschlossen. Lange Fensterbänder und große Fensteröffnungen sorgen für Transparenz. Durch die Gesamtform entstehen im Außenbereich zwei relativ offene Höfe unterschiedlicher Qualitäten. Während in dem öffentlicheren Bereich vor dem Gebäude unter anderem Parkmöglichkeiten angeboten werden, kann der ruhigere rückwärtige Hofbereich unter anderem von den Mitarbeitenden als Treffpunkt und Kommunikationsfläche genutzt werden.
Unterschiedliche Holzkonstruktionen ergänzen sich
Fast der gesamte Bau wurde aus Holz gefertigt, lediglich die Bodenplatte sowie der Erschließungskern aus Aufzugsschacht und Treppenhaus sind zur Aussteifung von Halle und Schulungsbau in Stahlbeton ausgeführt. Bereits von außen ist das Feuerwehrgebäude mit einer hinterlüfteten Verschalung aus unterschiedlich breiten Lärchenholzlatten deutlich als Holzbau zu erkennen. Das Gebäude ist eine Mischung aus Holzrahmenbau und Ingenieurholzbau, das heißt, es kombiniert Holzrahmenbauwände mit Einblasdämmung mit einem Tragwerk aus Trägern und -Stützen, für das sowohl Brettschichtholz, als auch Buchen-Furnierschichtholz (Buchen-FSH, auch Baubuche genannt) genutzt wurde.
So besteht das Tragwerk der Fahrzeughalle aus "Trägern auf zwei Stützen" in Reihung, das heißt 14 m lange und 28 cm breite Brettschichtholz-Träger in Fischbauchform, deren Höhe am Auflager 84,5 cm misst und in Bindermitte 1,14 m, liegen auf 28 cm breiten und 44 cm tiefen Brettschichtholz-Stützen auf und bilden im Achsabstand von 4,50 m die Halle. Die übrigen Gebäudeteile bilden Holzrahmenbau-Wände mit deckengleichen Unterzügen und Stützen aus Brettschichtholz. Im Gebäudeinneren werden die BauBuche-Träger mit 40 cm Höhe und 24 cm Breite von quadratischen BauBuche-Pfosten (18 cm x 18 cm) gehalten.
Speziell ist die Brandwand zwischen Verwaltungsbau und Halle: eine Ständerkonstruktion mit einer mittigen 18 cm dicken Glaswolleschicht, jeweils links und rechts mit OSB-Flachpressplatten sowie zementgebundenen Bauplatten beplankt. Die Brandwand verspringt im Erdgeschoss Richtung Verwaltungsfinger, weshalb die Decke hier als F60-Brettsperrholz-Decke (Element: 10,60 m x 1,20 m) mit Brettschichtholz-Überzug ausgebildet wurde. Der gesamte übrige Deckenbereich ist als Brettschichtholz-Decke ausgebildet, ebenso wie ein Großteil der Decken im Obergeschoss. Bei den Decken der Schulungs- und Aufenthaltsräume handelt es sich um Lignotrend-Decken mit Akustikbekleidung.
Sämtliche Holzrahmenbau-Wände wurden im Werk vorgefertigt und als Elemente auf die Baustelle geliefert. Der insgesamt hohe Vorfertigungsgrad aller Holzbauteile und -elemente ermöglichte eine sehr kurze Bauzeit von nur eineinhalb Jahren.
Nahezu ein Passivhaus
Die Flachdachfläche des Baus ist überwiegend extensiv begrünt und zudem sowohl mit einer Photovoltaik-Anlage als auch mit Solarthermie-Panel ausgestattet. Letztere ergänzen eine Holz-Pellet-Heizungsanlage. Obwohl das Gebäude nicht gleichmäßig beheizt werden muss, erreicht der Verwaltungstrakt nahezu den Passivhausstandard. Für Halle und Lager sind sogar lediglich 12°C Raumtemperatur vorgesehen. Dementsprechend wurde beispielsweise die Perimeterdämmung des Daches im Bereich der Halle von 35 cm auf 23 cm reduziert. In der Halle kann bei Bedarf über Deckenstrahlheizkörper nachgesteuert werden.
Zeitsparen beim Feuerwehreinsatz dank optimalem Gebäudekonzept
Die Wagen fahren auf der Nordostseite in die Halle hinein und verlassen sie auf der gegenüberliegenden Seite ohne in der Halle rangieren zu müssen. Das spart Zeit. Am ersten Tag nach Inbetriebnahme des Gebäudes zeigte sich, dass von der Alarmierung bis zum Ausrücken der Einsatzkräfte lediglich acht Minuten benötigt wurden. Zudem ist so auch die Lärmbelastung deutlich geringer.
Für das dahinterliegende Wohngebiet dient das im Grundriss S-förmige Gebäude außerdem als Lärmschutzwand gegenüber der Stuttgarter Straße. Die abgerundeten Gebäudeecken lassen den Bau gefälliger wirken und sorgen außerdem für bessere Einsicht in die Verkehrsumfahrung. Alles in allem überzeugte das Gebäude auch die Jury des Iconic Awards Innovative Architecture, mit dem das Feuerwehrhaus ausgezeichnet wurde.
Durch seinen Vorbildcharakter als nahezu kompletter Holzbau unterstützte das deutsche Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Stadt Tübingen im Rahmen des Holz-Innovativ-Programms (HIP) mit 300.000 Euro aus Mitteln des REACT-EU-Programms bzw. aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
(bt)
Bautafel
Projekt: Feuerwehrhausmit Verwaltungsgebäude, D-73074 Tübingen-Lustnau
Fertigstellung: 2022
Bauherr: Universitätsstadt Tübingen, Fachbereich Hochbau und Gebäudemanagement
Architektur: Gaus Architekten, D-73033 Göppingen
Tragwerksplanung: Schneck Schaal Braun, Ingenieurgesellschaft Bauen mbH, D-72070 Tübingen
Holzbau: Zimmerei Hämmerle, D-72072 Tübingen-Bühl
Abbundplanung: DC-Planungsbüro, Christian Dolt, D-76863 Herxheim
Auszeichnungen: DMK Award für Nachhaltiges Bauen, Iconic Award – Innovative Architecture 2023