Ingenieurholzbau

Rathaus im Quadrat

Holzbau
20.12.2024

Das neue Rathaus im deutschen Hainburg besticht durch schlichte Geometrie und seine strukturierte Gebäudehülle. Stützen, Träger und Deckenscheiben aus Holz in Kombination mit Stahl und Beton ermöglichen den Ausnahmebau mit viel Licht und hoher Aufenthaltsqualität.
Das zweigeschossige Rathaus Hainburg zeichnet sich durch seine klar strukturierten Fassaden aus. Auf nahezu quadratischem Grundriss empfängt es seine Besucher*innen unter der aufgeständerten Gebäudeecke, die atriumähnlich ausgespart ist, mit viel Licht und Luft.
Das zweigeschossige Rathaus Hainburg zeichnet sich durch seine klar strukturierten Fassaden aus. Auf nahezu quadratischem Grundriss empfängt es seine Besucher*innen unter der aufgeständerten Gebäudeecke, die atriumähnlich ausgespart ist, mit viel Licht und Luft.

Die deutsche Gemeinde Hainburg, südöstlich von Hanau gelegen, hat ein neues Rathaus, das sich sehen lassen kann. Das zweigeschossige und nur halb unterkellerte Gebäude liegt an einer Kreuzung mit der Landstraße L3065 und kehrt dieser durch seine Ausrichtung quasi "den Rücken zu". Seine Geschossigkeit und sein Volumen orientieren sich an dem benachbarten Bankgebäude und der Feuerwehr sowie der gegenüberliegenden Wohnbebauung. Der 7,40 m hohe Verwaltungsbau auf quadratischem Grundriss mit Seitenlängen von etwa 36,40 m zeigt, dass auch in kleineren Gemeinden Ämter nicht in einem austauschbaren Verwaltungsbau verschwinden müssen. In dem Neubau aus der Feder des Frankfurter Architekturbüros Studiobornheim kommen 47 Arbeitsplätze unter. Das Ausnahmegebäude mit hoher Aufenthaltsqualität erhielt im Mai 2023 dafür dann auch den Deutschen Holzbaupreis.

Aufgeständerte Gebäudeecke als großzügiger Eingang

Mit etwa 19 m x 19 m ist rund ein Viertel des Rathausgebäudes über seiner südöstlichen Ecke aufgeständert und heißt so die Besucherinnen und Besucher "mit offenen Armen" willkommen. Der Bau wirkt leicht und transparent, sowohl durch den hohen Glasanteil der Fassaden als auch durch die Aufständerung mit an dieser Stelle sehr schlanken Stahlstützen.
Zwei quadratische Öffnungen unterschiedlicher Größe im Grundriss (6,70 m x 6,70 m und 11,70 m x 11,70 m) sorgen zudem für viel Tageslicht im Gebäude: Die eine im zweigeschossigen Bereich als Innenhof, die andere als "Aussparung" im ersten Obergeschoss über der südöstlichen Ecke. Beide schaffen einen fließenden Übergang zwischen innen und außen.
Die Büroräume reihen sich entlang der Außenfassaden. Zum Hof gelegene Gänge erschließen sie. Vom Foyer ins Obergeschoß führt eine repräsentative einläufige Freitreppe. Ins Obergeschoß gelangt man aber auch durch den zentral gelegenen Aufzug oder über zwei Treppenhäuser an der südlichen und der nördlichen Gebäudeecke – als "notwendige Treppenhäuser" sind sie zugleich Fluchtwege, die in der vorliegenden Gebäudeklasse (GK 3) und Nutzung ebenfalls in Holzmassivbauweise realisiert werden konnten.
Im Erdgeschoß kommen die Fachbereiche mit starkem Publikumsverkehr unter, wie etwa der Bürgerservice oder die Abteilung Planen, Bauen und Umwelt. Auch das Trauzimmer, der Multifunktionsraum und der Pausenraum für Mitarbeitende befinden sich hier. Im Untergeschoss befinden sich Lager- und Archivräume sowie die Räume der Haustechnik.

Der Holzbau entlang der Fassaden besteht aus einer Art Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Brettschichtholz.
Der Holzbau entlang der Fassaden besteht aus einer Art Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Brettschichtholz.  

Pfosten-Riegel-Konstruktion und mehr

Das Untergeschoß, eine Teilunterkellerung, ist aus wasserundurchlässigem Beton (WU-Konstruktion) ausgeführt. Darauf setzt der Holzbau auf. Dieser besteht entlang der Fassaden aus einer Art Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Brettschichtholz (BSH, GL 24c). Mit 12 cm Breite und 20 cm Tiefe bilden die Stützen im Abstand von 1,25 m die Grundstruktur des äußeren und inneren Erscheinungsbildes. 20 cm breite und 24 cm bzw. 32 cm hohe Unterzüge überspannen sie als Riegel, sind aufgrund der abgehängten Decken nach Fertigstellung jedoch nicht mehr sichtbar.
Im Gebäudeinneren setzten die Tragwerksplaner auf Brettsperrholz (BSP)-Wände bzw. Abfangkonstruktionen aus Unterzügen und Stützen, ergänzt durch aussteifende Wandscheiben aus BSP mit Längen von rund 12,40 m, 6,40 m und 5,20 m. Für die Geschoßdecke über dem Erdgeschoß bzw. die Dachdecke über dem Obergeschoß nutzten sie 26 cm bzw. 18 cm dicke BSP-Elemente. Zu schubfesten Scheiben verbunden sorgen sie zusammen mit den BSP-Wänden und dem zweigeschoßigen Stahlbetonkern (für Aufzug, sanitäre Anlagen und EDV) für die Aussteifung des Gebäudes. Die Längswände der notwendigen Treppenhäuser sind ebenfalls aus BSP und Teil des Aussteifungskonzepts.
Die BSP-Decken spannen in den umlaufenden Regelbereichen jeweils etwa 7,30 m von der Fassadenachse nach innen. Bei der Decke über dem Mehrzweckraum im Erdgeschoß beträgt die Spannweite sogar 9,50 m. Diese Spannweite führt dazu, dass das Deckenfeld zusätzlich eine Wandachse aus dem Obergeschoß abtragen muss und dadurch Zusatzlasten erhält. Aufgrund der größeren Spannweite in Kombination mit der erhöhten Belastung und dem Planungsziel eines möglichst geringen Materialverbrauchs, entschieden sich die Planenden hier für die Ausführung einer Hohlkastendecke.
Die Lastabtragung der Decke über dem Erdgeschoß bzw. der Dachdecke über dem Obergeschoß erfolgt über die tragenden Fassadenstützen sowie über Stahlbetonverbundstützen im Bereich der Fassaden der beiden Innenhöfe. Die BSP-Elemente liegen in den Regelbereichen kontinuierlich auf Unterzügen aus BSH auf. In den weit spannenden Bereichen wurden die Unterzüge aus Buchen-Furnierschichtholz (Buchen-FSH), kurz BauBuche, ausgeführt bzw. in Bereichen, wo deckengleiche Anschlüsse erforderlich waren Unterzüge als Stahlträger. Letztere schließen mitunter an dem aussteifenden Betonkern an.

Auskragendes Eck als Brücke mit rechtem Winkel

Durch die atriumähnliche Aussparung des Obergeschosses im Eingangsbereich entstehen zwei rechtwinklig zueinander liegende brückenartige Riegel, die auf Stahlstützen aufgeständert sind.
Durch die atriumähnliche Aussparung des Obergeschosses im Eingangsbereich entstehen zwei rechtwinklig zueinander liegende brückenartige Riegel, die auf Stahlstützen aufgeständert sind.  

Für die das Erdgeschoss überkragende Süd-Ost-Ecke mit großer "Aussparung" (11,70 x 11,70 m) haben die Ingenieure eine spezielle Konstruktion entwickelt. Denn das in diesem Bereich auf den Stahlstützen ruhende Obergeschoß bildet aufgrund des großen Atriums in dieser Ebene eine 7,30 m breite und an den Außenseiten 19 m lange Brücke mit rechtem Winkel aus. Das brachte die Tragwerksplaner zunächst auf die Idee, geschoßhohe Fachwerkträger in beiden Fassadenachsen einzusetzen. Aufgrund der exponierten Lage der Brücke im Grundriss, aber vor allem wegen der hohen gestalterischen Anforderungen an eine möglichst offene Fassade, die keine Diagonalen vorsah, verwarfen die Ingenieure diese Idee wieder. Weiterhin sollte eine gleichmäßige Stellung der Stützen im Erdgeschoss realisiert werden, weshalb es galt, die Lasten aus der auskragenden Ecke entsprechend umzuverteilen.
Daher wurden die Decken des Brückenstegs als einachsig spannende BSP-Elemente, die jeweils entlang der Fassadenachsen auflagern, ausgeführt. Im Eckbereich wurden zwei Stahlträger im "Brückensteg" vorgesehen, die beidseitig der Ecke diagonal angeordnet wurden. Die Spannrichtung der BSP-Elemente im Brückeneck wurde um 45 Grad gedreht, sodass diese senkrecht zu den Stahlträgern spannen und auf diesen auflagern können.
Die Deckenlasten der dazwischen eingefügten BSP-Elemente werden so in die Stahlträger eingeleitet und von dort in die Stahlstützen. Durch diese Maßnahme konnte ein Richtungswechsel im Lastabtrag erreicht werden. Die Gründung erfolgte hier über Streifenfundamente.

Brandschutz für Holz und Stahl

Die gesamte Konstruktion erfüllt die Feuerwiderstandsklasse REI 30. Dabei wurden die sichtbaren Holzbauteile auf Abbrand bemessen und alle Stützen als Verbundstützen in Form von ausbetonierten Quadratrohrprofilen ausgeführt. So ließen sich die Stützen ohne Bekleidung oder Beschichtung schlank und mit entsprechend ansprechender Ästhetik ausführen.

Vom Foyer ins Obergeschoss führt eine repräsentative einläufige Freitreppe.
Vom Foyer ins Obergeschoss führt eine repräsentative einläufige Freitreppe.  
Zum Innenhof gelegene Gänge erschließen die Büroräume, die sich entlang der Außenfassaden reihen. Der Innenhof sorgt gleichzeitig für optimale Ausleuchtung der Erschließungsbereiche mit Tageslicht.
Zum Innenhof gelegene Gänge erschließen die Büroräume, die sich entlang der Außenfassaden reihen. Der Innenhof sorgt gleichzeitig für optimale Ausleuchtung der Erschließungsbereiche mit Tageslicht.

Raumeindruck als Gesamtkunstwerk

Eichenparkett, Unterzüge aus BSH, Holz-Aluminium-Fenster und Wandbekleidungen aus Weißtanne bestimmen im Zusammenspiel mit den Glasflächen sowie den opaken, weißen Flächen der Decken in den Gängen und im Foyer die Atmosphäre des Gebäudes. In einigen statisch stark beanspruchten Bereichen kam auch BauBuche zum Einsatz. Sie tritt aber nicht sichtbar in Erscheinung.
Die Anmutung der Fassade hingegen wird durch eine Metallbekleidung in Baubronzeblech definiert. Dabei handelt es sich zum einen um die Abdeckung der vertikalen und horizontalen Lisenen auf einer Unterkonstruktion aus Aluminium, zum anderen um die hinterlüftete, vorgehängte Metallfassade der opaken Flächen der Außenwände. Die Lisenen bestehen aus relativ dünnen gekanteten Bronzeblechen, wodurch eine wirtschaftliche Lösung mit geringem Materialeinsatz und hochwertiger Gestalt realisiert werden konnte.

Die Anmutung der Fassade wird durch eine Metallbekleidung in Baubronzeblech definiert.
Die Anmutung der Fassade wird durch eine Metallbekleidung in Baubronzeblech definiert.

Strom, Wärme und Wasser vom Dach

Auf dem Flachdach mit einer Deckung aus beschieferter Bitumenabdichtung wurden annähernd flächendeckend Photovoltaik-Paneele installiert. Die Stromversorgung des Rathauses wird durch die PV-Anlage in hohem Maße unterstützt. Die Dachfläche ist an ein Zisternen- und Versickerungssystem angeschlossen, über das Regenwasser gesammelt, zurückgehalten und zu einem späteren Zeitpunkt dem Bewässern der Grünanlagen in Hainburg dienen soll.
(bt)

Photovoltaik-Paneele auf dem Flachdach decken einen Großteil des Strombedarfs des neuen Rathauses.
Photovoltaik-Paneele auf dem Flachdach decken einen Großteil des Strombedarfs des neuen Rathauses.