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Bau am Holzweg
Der Elektromotor eines Krans surrt leise. Vereinzelte Rufe sind zu hören. Der Motor eines LKWs brummelt träge. Aber das war es auch schon. Sonst: Stille. Vom üblichen Geräuschpegel auf einer Großbaustelle ist nichts zu hören. Dabei ist „groß“ durchaus eine Vokabel, die für dieses Bauvorhaben verwendet werden darf. Wir befinden uns im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Nähe des Donaukanals. Auf einer Fläche von 23.000 m² entsteht hier das Leopold Quartier mit reichlich Platz für Wohnungen, Büros, City-Apartments und Einzelhandel. Das Besondere an dem Projekt: Es ist Europas erstes Quartier in Holzbauweise.
Holzbaufirma mit Betonmischabteilung
Die Bauweise ist auch der Grund für die dezente Geräuschkulisse. Denn man setzt stark auf vorgefertigte Bauteile, die vor Ort montiert werden. Das geht relativ leise vor sich. Aber der Lärmpegel ist nur ein Nebeneffekt und nicht das wesentliche Argument für die Holzbauweise. „Menschen, die sich für das Leopold Quartier entscheiden, liefern damit aktiv eine Antwort auf den Klimawandel“, sagt Peter Schaller, Vorstand bei der UBM Development AG, in deren Auftrag das Quartier errichtet wird. „Holz bietet viele Vorteile, die schwer von anderen Baustoffen zu übertreffen sind, vor allem in Bezug auf die Nachhaltigkeit“, meint Thomas G. Winkler, der CEO des Unternehmens. „Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass Holz der Baustoff des 21. Jahrhunderts ist“, ergänzt er und legt weiter nach: „Die Bau- und Immobilienbranche springt breit auf den Trend auf – auch traditionelle Bauunternehmen. Manche klingen schon als wären sie eine Holzbaufirma mit angeschlossenen Betonmischabteilung.“
Zu diesen „traditionellen“ Bauunternehmungen darf man wohl auch den Porr-Konzern zählen – er besitzt mit der Ortner-Gruppe und der Strauss-Gruppe dieselben Hauptaktionäre wie die UBM und ist der Generalunternehmer des ambitionierten Bauvorhabens. „Insbesondere der Bedarf nach nachhaltig errichtetem Wohnraum für die Städte von Morgen kann mithilfe von Holz gut erfüllt werden“, zeigt sich Porr-CEO Karl-Heinz Strauss von besagtem Material sehr angetan.
Der Holzbau in Österreich wächst stark. Porr und UBM schätzen, dass mittlerweile rund ein Viertel der Hochbau-Nutzflächen in Österreich in Holzbauweise errichtet werden. Die auf den Holzbau spezialisierten Unternehmen expandieren – von Wohnbaukrise keine Spur. „Diese Unternehmen haben volle Auftragsbücher und können derzeit praktisch völlig risikofrei wachsen“, meint UBM-CEO Winkler. „Viele Architekten, die Preise gewinnen wollen, sind auf den Holzbau umgestiegen.“
Aus seiner Sicht werden andere Baumaterialien aber weiterhin „ihre Berechtigung“ haben. „Ich sehe das nicht als entweder oder“, so Winkler. „Wir werden auch noch in 100 Jahren die Tiefgarage und das erste Geschoss in Stahlbeton bauen.“ So ist es auch im Leopold Quartier. Genau genommen, muss man daher auch von einer Holzhybridbauweise sprechen. Das Projekt besteht aus vier Bauteilen. Bauteil A ist ein reines Bürogebäude mit einer Nutzfläche von 22.000 m². Vom ersten Obergeschoss bis zum letzten neunten Geschoss wird das Gebäude als Skelettbau aus Holzelementen und Stahlbeton-Fertigteilen errichtet. Die Fertigstellung ist für Oktober 2025 geplant. Etwas später, Anfang 2026, sollen die übrigen drei Bauteile B, C und D fertig werden. Sie bilden das „Leopold Quartier Living“. Es umfasst 253 Wohnungen und stellt laut UBM und Porr das „größte aus Holz gebaute Wohnbau-Projekt Österreichs“ dar.
Die beiden Unternehmen erwarten sich vom Leopold Quartier-Projekt wertvolle neue Erkenntnisse bei der Umsetzung der Holzhybridbauweise. „Aufgrund der bis dato zu selten umgesetzten Groß-Bauvorhaben“ fehle es neben „flächendeckenden Erfahrungen auch an notwendigen Produktzulassungen und Zertifizierungen“, erläutert Porr-Chef Strauss. Hans Matzinger, Holzbau-Experte der Porr-Tochter PDE Integrale Planung, unterstreicht das. Der gelernte Zimmermann ortet beim Holzbau nach wie vor ein großes Potenzial in Bezug auf Vereinheitlichung und Standardisierung: „Oftmals wird bei jedem neuen Projekt das Holzrad neu erfunden“, meint Matzinger. „Es gibt stets eine neue Planung. Dazu kommt, dass das Bauwerk in der Regel zuerst im Stahlbeton geplant und erst danach auf Holzbau umgeändert wird. Dass das kein optimaler Zugang ist, liegt wohl auf der Hand.“
Die Experten sind sich einig: Gerade beim Holzbau mit seinem hohen Anteil an Vorfertigung im Werk ist die frühzeitige, gründliche Planung entscheidend, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Wenn das Fertigteil einmal auf die Baustelle geliefert worden ist, kann man es nicht mehr verändern. Matzinger: „Kompliziert bauen ist leicht. Die Kunst liegt darin, möglichst einfach und mit hoher Standardisierung zu bauen.“
Genauso sieht das auch UBM-Chef Winkler. Für ihn „ist der Holzhybridbau der Katalysator, um das Bauen neu zu denken. Der Prototypenbau, den wir in den vergangenen 100 Jahren praktiziert haben, kann sich so kaum mehr jemand leisten“, meint er. Die Zukunft liege in der seriellen Vorfertigung. „Es geht darum, so viele Bauteile wie möglich, in der Fabrik zu produzieren. Damit lassen sich enorme Effizienzgewinne erzielen.“ Winkler verweist auf die produzierende Industrie. „Wenn man Autos heute noch so bauen würde wie vor 100 Jahren, würde ein VW Golf 800.000 Euro kosten.“
Aus Sicht des UBM-Managers muss dies auch keine schlechte Nachricht für das heimische Baugewerbe sein. „Ich mache mir um die Baumeister keine Sorgen. Sie sind es gewohnt, mit mannigfaltigen Neuerungen und einer Flut an Vorschriften umzugehen. Dagegen ist die Umstellung auf den Holzbau ein Kindergeburtstag“, so Winkler. Er ist davon überzeugt, „dass die Baumeister das schaffen werden“. Aber der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten werde sich ändern: „Der Baumeister wird weniger mauern und mehr montieren.“