Nachhaltigkeit
Dreist Neues denken
Schon genutzte Rohstoffe zu neuem Leben erwecken? Genau das haben drei Achitektur-student*innen gemacht und im Rahmen der Biofabrique Vienna, einem Pilotprojekt der Wirtschaftsagentur Wien und Atelier Luma, einem Programm von Luma Arles, in Partnerschaft mit der TU Wien Ressourcennutzung neu gedacht und erlebbar gemacht. Während der Vienna Design Week 2024 konnte man in der Biofabrique Kantine bestaunen, wie schon benutzte Ressourcen nicht nur recycelt werden, sondern durch ihre Basis für die Ausstattung auch eine neue Identität erhalten.
Der Bioregionalität auf der Spur
Kennengelernt haben sich Luisa Zwetkow, Martin Kohlbauer und Sophie Coqui im Rahmen ihres Studiums an der Technischen Universität (TU) Wien. Das gemeinsame Interesse an bioregionalen Perspektiven hat nicht nur zu einem Austausch geführt, sondern auch zu einer Zusammenarbeit. „Für uns hat sich dadurch irgendwie eine Selbstverständlichkeit entwickelt, Nachhaltigkeit logisch zu denken und das sinnvoll zu nutzen, was schon vorhanden ist“, erzählt Martin Kohlbauer. Und keine Sorge: Geklaut wird hier natürlich nichts. Wo alleine in Wien mehrere tausend Tonnen Reststoffe und urbane Abfälle täglich von Baustellen und Produktionsstätten entsorgt werden, greift das „dreiSt“-Team beherzt zu. Alleine der aktuelle Bau der U-Bahnlinie U2/U5 ist dabei eine veritable Schatzkammer: 1.700 handgefertigte Keramikfliesen wurden so beispielsweise mit dem Aushublehm der Wiener U5-Baustellen glasiert und zieren den freistehenden Tresen des modularen Hospitality-Bereichs in der Biofabrique Kantine. Aber die Kantine soll nicht nur ein experimentelles Materialerlebnis darstellen, sondern auch ein Statement für eine neue Art des Bauens sein: bioregional, recycelbar, adaptierbar – möglich gemacht durch die Zusammenarbeit mit Wiener Bau- und Lebensmittelbetrieben.
Modular & nachhaltig
Ganz egal, ob zersetzbarer Tischsockel oder transportable Bar – jedes Bauelement der Biofabrique Kantine ist so konzipiert, dass es auch über den Nutzungszeitraum der Vienna Design Week hinaus Bestand hat, sei es in neuer Form oder an einem anderen Ort. Neben dem fein gesiebten Lehm der U-Bahn-Baustellen und Carbokalk, die mit ihrer erdigen Textur die Basis für die glatte und goldbraune Oberfläche der Fliesen liefern, werden zusätzliche Elemente wie Carbo Brick, Adobe Brick oder Holzabfälle und andere Reststoffe verwertet. Aus Carbo Brick und Adobe Brick werden so ganz ohne Einsatz eines Brennofens Bauelemente, die „dreiSt“ als modulare Stehtische oder Tresen im Festivalcafé aufgebaut haben. In Ihrer Haptik, Optik und Ästhetik spiegeln sie ihre lokale Herkunft als authentische Wiener Komposition wider: Da fehlt eigentlich nur noch die Melange, die man am Tresen des Hospitality-Bereichs genießen könnte.
Von Holz getragen
Durch das Einbinden lokaler Ressourcen rückt das Thema der Bioregionalität ins Zentrum: Dabei wird nicht nur die Ausbeutung natürlicher Ressourcen hinterfragt, sondern auch gezeigt, wie regionale (Rest-)Materialien in einer kreislauffähigen Bauwirtschaft funktionieren könnten. Auch Holz hat bei der Realisierung der Kantine eine große Rolle gespielt. „Holz ist für uns ein selbstverständliches Material, das fast überall verwendet wird“, so Kohlbauer. Für die Kantine wurden überwiegend Massivholz und Roh-MDF-Platten verwendet. Die Quellen dafür waren Kunst- und Kulturbetriebe, die nach einer Ausstellung, Aufführung oder Installation entweder keine Verwendung mehr für den Werkstoff sahen oder nicht die Infrastruktur zur Verfügung hatten, das Holz aufzubereiten. So wird die Kantine im wahrsten Sinne des Wortes von Holz getragen: „Wir haben fast in jedem unserer Produkte einen Holzanteil – meistens als Unterkonstruktion oder bei Bänken, Hockern und einzelnen Tischplatten auf Sicht.“
Aufbereitung im Fokus
„Das Material ist bei uns in verschiedenen Zuständen gelandet, mit Nägeln, Klammern, lackiert oder stark verschmutzt. Da ist es natürlich ein relativ großer Aufwand, das Holz für die Weiterverarbeitung aufzubereiten. Aber wenn das geschafft ist, ist es ein 1A-Material“, erklärt Kohlbauer. Spannend sei auch die Geschichte, die das Material erzählt: „Es ist schön zu sehen, wenn im Holz noch ein Loch von einer Schraube ist oder die Platten zum Teil noch beschriftet sind. Wir sehen das als Zeitzeugen des Materials und lassen sie ganz bewusst bestehen.“ Potenzial sieht Kohlbauer durch die Erkenntnisse des Projekts auch für den Möbelbau – gerade für Betriebe, die mit kleinen Dimensionen arbeiten. Freilich sei die Aufbereitung aufwändig, das habe man auch am eigenen Leib gespürt: Die Roh-MDF-Platten und das Massivholz wurden von Hand auf Sicht geschliffen, ohne moderne Maschinen. „Und auch ohne entsprechendes Know-how“, lacht Martin Kohlbauer. Er selbst hat zwar zwei Jahre in einem Tischlereibetrieb gearbeitet, allerdings in der Arbeitsvorbereitung. „Wir kommen aus der Theorie und haben keinen Anspruch, handwerklich perfekte Stücke zu bauen, sondern wir wollen das Potenzial von Material aufzeigen. Und wenn dieses Potenzial von Expert*innen aufgegriffen wird, die handwerklich wirklich top sind, kann das viele Möglichkeiten für die Zukunft der Ressourcenschonung aufzeigen.“