Interview
Alles rund ums Sitzen
Seit über zwanzig Jahren führt Günter Grassmann in dritter Generation den auf die Sesselproduktion spezialisierten Familienbetrieb in Kirchberg im Pielachtal. Im Interview spricht er über Neuheiten im Unternehmen, über Trends bei Formen und Farben, über einen hilfreichen Cobot und darüber, warum er trotz herausfordernder Zeiten kein „Schwarzmaler“ ist.
Tischler Journal: Sie konzentrieren sich mit Ihrem Betrieb auf die Produktion hochwertiger Sessel, Tische und Bänke. Wie kam es zu dieser Spezialisierung?
Günter Grassmann: Die Umstellung hat sich Anfang der 1970er-Jahre eher zufällig ergeben. Der Eigentümer eines großen Möbelhauses kam auf uns zu, ob wir nicht Sessel für sein Unternehmen entwickeln und produzieren möchten. In der Folge haben wir auch andere heimische Möbelproduzenten – die es heute nicht mehr gibt – beliefert. Aus der Abhängigkeit von einigen Großkunden haben wir uns mittlerweile gelöst, unserem Vertriebsmodell sind wir allerdings treu geblieben. Das heißt, wir verkaufen nach wie vor nur an Gewerbe- und nicht an Endkund*innen. Unsere Zielgruppe sind Tischler*innen, kleinere Einrichtungshäuser, Möbelstudios und Architekt*innen. Wir beliefern ganz Österreich und das grenznahe Ausland. In einem normalen Jahr verlassen rund 12.000 Produktionseinheiten unsere Manufaktur.
In Zeiten wirtschaftlicher Herausforderungen steuern wir mit guten Produkten und neuen Ideen dagegen.
Was hat sich seit der Komplettübersiedlung 2021 an den neuen Standort geändert?
Davor haben wir an zwei Standorten gearbeitet – das war von den Abläufen natürlich komplizierter. Jetzt haben wir auf 3.000 Quadratmetern Produktion, Oberflächenbearbeitung, Polsterei, Lager und Büroräumlichkeiten unter einem Dach. Das erleichtert vieles, auch die Kommunikation im Team ist viel effizienter.
Gibt es auch die Möglichkeit, ihre Produkte vor Ort anzusehen?
Ein Highlight ist natürlich unser Schauraum am Firmenstandort. Hier können sowohl unsere Kundinnen und Kunden als auch deren Kund*innen unsere Produkte „in echt“ betrachten und probesitzen. Das wird sehr gut angenommen und die Menschen nehmen dafür durchaus weite Anreisen in Kauf. Der zweite Schauraum in Imst wird von unserem Tiroler Außendienstmitarbeiter betreut und macht dort viel Sinn: Wir sind stark im Bereich der Gastronomie- und Hotellerie-Einrichtungen aktiv und im Westen Österreichs gibt es hierfür einen großen Markt. Als Alternative steht der Schauraum auch online zur Verfügung.
Wie gehen Sie mit Sonderwünschen um?
Diese sind natürlich willkommen, denn Sonderanfertigungen sind eine unserer Stärken, sie machen zwischen zehn und fünfzehn Prozent unseres Auftragsvolumens aus. Wir arbeiten hier vor allem mit Architekt*innen und Gastronomieeinrichtern zusammen, auch Ergänzungen oder Nachbauten sind ein Thema. Je nach Aufwand starten wir mit der individuellen Fertigung schon bei relativ kleinen Stückzahlen.
Und was gibt es im Produktsektor Neues?
Unser neuer Sessel Trend 2430 ist eine schöne Kombination aus gepolsterter Schale, Holzarmlehnen und -beinen. Dazu gibt es auch die passende Bank. Mit dieser Linie tragen wir der starken Nachfrage nach Sesseln mit Sitzschale bzw. mit Vollpolsterung Rechnung.
Sonst bietet unser Sortiment alles vom Armsessel bis zum Barhocker, in Vollholz oder in Kombination mit hochwertigen Stoffen oder Leder. Sessel sind unser Hauptthema, seit einem Jahre forcieren wir auch unser Sortiment an freistehenden und Eck-Bänken.
Und bei den Hölzern – ist die Eiche immer noch dominierend?
Ja, wir fertigen rund 80 Prozent unserer Produkte aus Eichenholz. Es lässt sich gut bearbeiten, ist robust und überzeugt durch Optik und Haptik. Ansonsten verarbeiten wir Buche, Esche und Ahorn, Weichhölzer wie Fichte kommen seltener zum Einsatz. Grundsätzlich verwenden wir nur zertifiziertes Holz. Falls möglich beziehen wir die Materialien direkt aus der Region bzw. aus den nahen Grenzregionen.
Welche Tendenzen gibt es bei den Formen und der Holzbearbeitung?
Schlichtheit und gerade Linienführung sind nach wie vor im Trend, wobei die Kanten weicher und runder werden. Das schlägt sich auch in den Abmessungen nieder: Noch vor einiger Zeit haben wir fast nur Kanten mit einer Breite von zwei bis drei Millimetern gefräst, jetzt messen die Radien oft zwischen fünf und sechs Millimetern. Das sorgt für eine geschmeidigere Haptik und passt gut zum aktuellen Retro-Trend, der den Stil der 1960er- und 1970er-Jahre aufgreift.
Apropos Materialien: Wie betreffen Sie Lieferengpässe und hohe Preise?
Der Preis für massives Eichenholz steigt schon länger, das war und ist planbar. Von dem Liefer-Fiasko bei Platten und Schaumstoffen während der Corona-Zeit – das für mich übrigens noch immer nicht ganz verständlich ist – waren wir zum Glück kaum betroffen. Wir verarbeiten zum Großteil Massivholz, da war die Knappheit nicht so eklatant und wir hatten auch keine Probleme bei der Beschaffung – auch, weil wir unser Holz selbst trocknen. Unsere Preise mussten wir aufgrund der Lohnerhöhung und des allgemein hohen Kostenniveaus in den letzten Jahren dennoch im Schnitt um 15 Prozent erhöhen. Wir sind damit auch auf Verständnis gestoßen und momentan habe ich das Gefühl, dass sich die Teuerung einbremst.
Hat das Schwächeln der Baubranche bereits Auswirkungen auf die Tischlerbranche und deren Zulieferer?
Wir beobachten die Entwicklungen und die Marktsituation sehr genau. Uns trifft die Rezension am Bau etwas zeitversetzt, die Tischlerbranche und wir damit auch spüren die Rückgänge bereits in Form einer Stagnation bei der Nachfrage. Das nächste Jahr wird aber wohl noch herausfordernder werden. Wobei ich natürlich hoffe, dass ich mich mit dieser Prognose täusche, denn ich bin eigentlich kein Schwarzmaler.
Ob sich die Prognose eintritt oder nicht: Wie rüsten Sie sich vorausschauend?
Wir steuern mit guten Produkten und neuen Ideen dagegen, uns auf die „Billigschiene“ zu begeben, war und ist für uns keine Option. Zur Erhöhung unserer Sichtbarkeit sind wir seit kurzem auf der ersten firmenübergreifenden Sessel-Plattform www.sesselwelt.at präsent. Zudem vereinfachen und verbessern wir unsere produktionstechnischen Abläufe. Seit gut einem Jahr hilft uns hierbei ein Cobot.
Welche Arbeiten übernimmt der „Kollege Roboter“?
Im Jahr schleifen und fräsen wir rund 180.000 Kanten unserer Leisten-, Sprossen und Zargenteile. Für diese einfache und eintönige Tätigkeit waren unsere qualifizierten Mitarbeiter*innen früher mehrere Stunden am Tag im Einsatz. Nun übernimmt diese der Roboter und die Kolleg*innen können sich auf anspruchsvolle Arbeiten konzentrieren. Nun, da wir uns auch mit dem Gerät vertraut gemacht haben – das hat durchaus eine Zeit gedauert – sind wir auf der Suche nach weiteren Einsatzbereichen.